Chaos und Schwachsinn: Wie Algorithmen Social Media zerstören
Algorithmen bestimmen mittlerweile einen guten Teil unseres Lebens. Mal fällt das mehr, mal weniger auf. Egal, ob Musikkonsum, Serienschauen, Online-Einkauf oder Vernetzung auf sozialen Medien - alles wird uns vorgeschlagen, gelenkt und geleitet, angepasst an unsere vermeintlichen Vorlieben. Angeblich. Das hat in vielerlei Hinsicht durchaus Vorteile gebracht, kann manchmal sogar nützlich sein für uns Nutzerinnen und Nutzer. Und natürlich geht es für die Plattformen und Internetriesen zuerst mal immer um das gute Geschäft. Stichwort Werbung.
Doch inzwischen fühlen sich viele Social-Media-Angebote wie chaotische, vermüllte Schatten ihrer selbst an. Am stärksten fiel es zuerst auf Facebook auf, wo man in den persönlichen Timelines kaum noch engere Kontakte oder Freunde findet, sondern eine seltsame Mischung aus Werbung, Gruppenvorschlägen und Profilen, von denen man gar nicht wusste, dass man sie irgendwann einmal in der Freundesliste akzeptiert hat.
Mit einigem Abstand folgte eine ähnliche Entwicklung auf Instagram (ebenfalls aus dem Hause Meta), wo Postings in der Timeline häufig regelrecht verschluckt werden, sodass man kaum noch etwas mitbekommt, das man einst eigentlich sehen wollte. Brauchbar sind hier eher noch die Stories, wobei auch nicht immer klar ist, welchen Logiken die Reihungen und die Präsenz der Accounts eigentlich folgen. Individuelle Vorlieben? Eigentlich eher nicht.
Todsünde Reload
Zu all dem kommt hinzu, dass die Algorithmus-gesteuerten (News)feeds einerseits wenig Wert auf Aktualität legen - 4 oder 5 Tage alte “Breaking” News sind da keine Seltenheit - und andererseits jeden Reload mit einer völlig neu zusammengesetzten Timeline belohnen bzw. bestrafen (Ansichtssache). Passiert es also beispielsweise unabsichtlich, dass man seine Feeds refresht, findet man Postings im Grunde nie wieder. Außer, man macht sich auf die Suche nach einem Profil oder verbringt kleine Ewigkeiten damit, die Suchleisten mit möglicherweise zum Ziel führenden Begriffen zu strapazieren.
Blasen und Bläschen
Altbekannt in diesem Zusammenhang ist natürlich auch das Thema Blasenbildung. Auf Twitter etwa (heute besser bekannt unter dem Namen X) wurde darüber schon jahrelang diskutiert. Wem folgen, was lesen, welche Meinungen “zulassen” - wie sehr drängen uns die Algorithmen zum immer gleichen, den immer gleichen? Soll man die automatisierte Timeline überhaupt benutzen oder sich doch lieber alles unter der chronologischen selbst zusammenstellen? Und was verursacht mehr Einigelung - der Mensch oder die Maschine?
Da versprach der Schutzheilige der Aggressionsgeladenen, Elon Musk, nach seiner Übernahme für Veränderung zu sorgen. Und so viel muss man sagen, das Versprechen hat er gehalten. Inzwischen sorgen die Algorithmen auf X nämlich dafür, dass die automatisch generierten Feeds garantiert nichts mehr anzeigen, das irgendwie brauchbar wäre. Ein Mix aus Trollaccounts, Werbung, schwachsinnigen Videopostings und dem Hausherren selbst wird da präsentiert. Noch mehr übrigens, wenn man die aktive Nutzung deutlich einschränkt bzw. komplett einstellt. Man befindet sich auf X also heutzutage vielleicht nicht mehr in der alten Blase, bekommt dafür aber Bläschen (Ausschlag) vom jetzt dominierenden Content.
Meinungsmanipulation
Das alles klingt - und ist ja auch - einerseits ein bisschen lustig. Gleichzeitig können die Algorithmen tatsächlich zum ernsthaften Problem werden. Etwa, wenn man an TikTok denkt, wo sie ganz besonders stark zur Verengung in kleine Kreise führen und Meinungen dadurch massiv beeinflussen und steuern können. Vor allem für die Hauptzielgruppe der Jugendlichen stellt das mitunter reale Gefahren dar, man denke etwa an islamistische Prediger oder frauenhassende, sexistische Incel-Accounts.
TikTok fängt die Userinnen und User so leicht ein und drängt die angezeigten Inhalte derart stark in eine bestimmte Richtung, dass es oft schon genügt, nur ein oder zwei Videos zu einem Thema zu konsumieren und man bleibt hängen.
Back to the roots?
Bleibt die Frage, wie wir in Zukunft damit umgehen wollen und sollen. Einerseits bieten die Empfehlungssysteme (wie eingangs erwähnt) natürlich auch die einen oder anderen Vorteile. Zudem kann man sich zumindest auf manchen Plattformen den Algorithmen ein Stück weit entziehen, wenn man Optionen für chronologische Timelines nutzt. Vielerorts sind die Nutzerinnen und Nutzer aber tatsächlich “ausgeliefert”.
Momentan sticht die Twitter-Alternative Bluesky (noch) damit hervor, dass der Hauptfeed sehr “klassisch” funktioniert. Das macht sich etwa in höheren Interaktionen trotz meist noch geringeren Followerzahlen im Vergleich zu X bemerkbar. Auch Links auf Artikel werden deutlich besser geklickt, weil nicht heruntergestuft, wie auf den meisten anderen Plattformen mittlerweile üblich.
Letztlich wird es darauf ankommen, ob die Nutzungszahlen aufgrund der chaotischen und vielfach von immer mehr Werbung verstopften Timelines zurückgehen, oder ob es sich für die Plattformen unter dem Strich weiterhin lohnt. Ab einer gewissen Größe sterben soziale Netzwerke nicht so einfach, selbst wenn sich Unmut breit macht. Gewohnheit, aufgebaute Reichweiten und auch Bequemlichkeit spielen da eine Rolle.
Aber niemand sollte sich zu sicher sein, denn nichts hält ewig. Mitunter kann es dann auch schnell gehen mit dem Ruin einer Plattform, wie einstige Größen von MySpace bis StudiVZ gezeigt haben.
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