Der Beipackzettel zum AMS-Algorithmus
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Sehr geehrte Wissenschafterinnen und Wissenschafter der TU, WU und Universität Wien, das AMS schätzt eine sachliche und fundierte Auseinandersetzung mit seinem Algorithmus, um die sie sich in Ihrem Beitrag auf futurezone.at auch sichtbar bemühen. Danke dafür, dass Ihnen dies auch über weite Strecken gut gelingt.
Zuerst ein paar Anmerkungen zu den drei wichtigsten Punkten Ihres Beitrags:
Transparenz
Wir haben bereits sehr frühzeitig, nämlich im Oktober des Vorjahres - also schon lange vor der aktuellen Diskussion - unseren Algorithmus für die Öffentlichkeit transparent gemacht. Warum wir dies nur für ein Leitmodell und nicht alle Detailvarianten gemacht haben, hat ganz pragmatische Gründe. Um die Differenziertheit des Arbeitsmarktes abbilden zu können, gibt es insgesamt inkl. aller Teilvarianten mehr als 7.500 unterschiedliche Teilmodelle. Und bei einer derartigen Vielfalt an Modellen ist die beispielhafte, genaue Beschreibung einer Variante sicherlich der bessere Weg Transparenz herzustellen, als ein unübersehbarer Anhang mit allen Teilvarianten. Abgesehen davon wäre eine detaillierte Beschreibung aller Teilvarianten - vergleichbar mit dem Leitmodell - schlicht und einfach wegen des damit verbundenen Aufwandes kaum sinnvoll möglich.
Einsatz von Algorithmen als Grundsatzfrage
Wie und wie intensiv Arbeitsuchende unterstützt und gefördert werden, ist eine sicherlich nicht einfache, tägliche Aufgabe unserer Beraterinnen und Berater. Hier gibt es keine starren Muster. Unsere Beraterinnen und Berater müssen dafür ständig eine Vielzahl von Daten, Fakten und Eindrücke einer Person analysieren, einschätzen und bewerten. Diese persönlichen Einschätzungen können richtig oder auch falsch sein. Da es sicherlich die Stärke IT–unterstützter Algorithmen ist, komplexe Daten systematisch zu analysieren und auszuwerten, hat sich das AMS entschlossen, beides zu kombinieren. Nämlich die persönliche Einschätzung unserer Beraterinnen und Berater unterstützt durch einen IT Algorithmus.
Die zentrale Fragestellung ist also nicht, ob der Algorithmus manchmal irrt, sondern ob die Kombination von Algorithmus und persönlicher Einschätzung durch die Beraterin oder den Berater das Potential hat, im Vergleich zu einer rein persönlichen Einschätzung die Treffsicherheit nochmals zu verbessern. Und davon sind wir überzeugt.
Diskriminierung
Unsere Algorithmen bilden die jeweilige Arbeitsmarktchance möglichst realitätsgerecht ab, da es wichtig ist, die wirklichen Reintegrationschancen von Arbeitsuchenden auch zu erkennen. Wir wissen, dass der Arbeitsmarkt nicht diskriminierungsfrei ist, aber es hätte keinen Sinn hier weltfremde Bilder „vorzugaukeln“. So gibt es in unseren Algorithmus Konstellationen (Teilmodelle), bei denen das Merkmal „Frau“ die Arbeitsmarktchancen verschlechtert aber auch solche, bei denen dieses Merkmal die Chancen verbessert, eben ein realitätsgerechter Spiegel der Vielfältigkeit des Arbeitsmarktes. Die realitätsgerechte Abbildung der Arbeitsmarktchancen inkl. der Diskriminierungen ist ja gerade die Basis dafür, gezielt Unterstützungsmaßnahmen zu setzten, kann aber auch helfen, die Grenzen der Sinnhaftigkeit des Einsatzes besonders teurer arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen aufzuzeigen. Wie und wo diese Grenzen der Sinnhaftigkeit von Förderung gezogen werden, ist eine (arbeitsmarkt)politische Frage, hat aber nichts damit zu tun, dass unser Algorithmus Realitäten des Arbeitsmarktes gut abbildet.
Soweit kurz zu einigen Diskussionspunkten Ihres Beitrages.
Abschließend: Wir befürworten es sehr, wenn die Diskussion über unseren Algorithmus auf soliden Fakten und weniger auf Vermutungen beruhen. Danke nochmals für den von Ihnen gewählten Zugang. Neben der von uns geplanten Evaluation gibt es auch bereits von unabhängiger Seite – der Arbeiterkammer Oberösterreich (AKOÖ) – einen Auftrag an die Österreichische Akademie der Wissenschaften unseren Algorithmus genauer zu durchleuchten. Wir haben der AK OÖ und der Akademie natürlich unsere volle Unterstützung bei diesem Vorhaben zugesagt und wie ich erfahren habe, ist auch bereits vereinbart, dass Herr Cech und Herr Fischer aus Ihrer Wissenschafter/innenrunde an einem Work-Shop der Akademie mit dem von uns mit dem Algorithmus beauftragten Wirtschaftsforschungsinstitut Synthesis zur detaillierten Darlegung des Modells teilnehmen.
Wir hoffen damit mehr als den von Ihnen vermissten „ Beipackzettel“ zu liefern und versprechen bestmögliche Transparenz auch in Zukunft.
Mit freundlichen Grüßen
futurezone-Serie zum AMS-Algorithmus:
Teil 1: Der AMS-Algorithmus ist ein „Paradebeispiel für Diskriminierung“
Teil 2: Warum Menschen Entscheidungen von Computerprogrammen nur selten widersprechen
Teil 3: Wie ihr euch gegen den AMS-Algorithmus wehren könnt
Teil 4: Wo Algorithmen bereits versagt haben
Interview: AMS-Chef: "Mitarbeiter schätzen Jobchancen pessimistischer ein als der Algorithmus"
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