Stattdessen legt die britische Telekom BT jedes Jahr zahlreiche der Kultobjekte still - und verkauft sie. Zum Preis von einem Pfund (ca. 1,25 Euro) können Gemeinden und Gruppen die ehemaligen Fernsprecher erwerben. Sie verpflichten sich beim Kauf, die Häuschen zu pflegen.
Stattdessen legt die britische Telekom BT jedes Jahr zahlreiche der Kultobjekte still - und verkauft sie. Zum Preis von einem Pfund (ca. 1,25 Euro) können Gemeinden und Gruppen die ehemaligen Fernsprecher erwerben. Sie verpflichten sich beim Kauf, die Häuschen zu pflegen.
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Peter Glaser: Zukunftsreich

Die erste Zelle im Netz

Als diese Website online ging, hieß das Internet noch WWW und war in den Augen der meisten Menschen gerade vom Himmel gefallen. Zentrales Element der Online-Präsenz ist die Original Mojave Phone Booth Site, die Mutter aller Websites über die Mojave-Telefonzelle - ein gottverlassenes Telefonhäuschen im kalifornischen Teil der Mojave-Wüste, der heute ein Naturschutzgebiet ist.

Obwohl es diese Telefonzelle seit nunmehr 15 Jahren nicht mehr gibt, ist sie im Netz nach wie vor präsent – unter anderem auf Google Maps: Die Dezimalkoordinaten zur Eingabe bei Google lauten 35.2858 N, 115.6844 W.

Die niedrigstmöglichen Karten beim Pokern

Ende der Achtzigerjahre gab Godfrey Daniels - er trägt den Spitznamen „Doc“ - kleine, schräge Magazine heraus. In einem davon ging es um die Abenteuer einer Büste von Richard Wagner, die ihn stets begleitete.

Ein anderes hieß „Deuce of Clubs“. So nennt man die niedrigstmöglichen Karten beim Pokern, so hieß die Straße in Daniels Heimatstadt in Arizona, in der er aufwuchs, und sein Spitzname Doc ist die Abkürzung davon. Als es den ersten Webbrowser mit einer grafischen Benutzeroberfläche gab (na, wie hieß er?), wurde der Print-Magazinist zum Online-Publizisten. Deuce of Clubs - der Titel blieb („und auch der etwas wirre Inhalt“).

Und los ging’s

Dass die Website durch eine einsame Telefonzelle im Nichts berühmt wurde, war reiner Zufall. In einem Leserbrief in einem Fanzine stand etwas über ein funktionierendes Telefonhäuschen in der Mojave-Wüste, mehr als 10 Kilometer von der nächsten Durchgangsstraße entfernt. Kurz nachdem Daniels auf seiner Website schrieb, dass er dort anrufen wolle, interviewte ein Reporter der New York Times einen Mann, der eine Website über Münztelefone betrieb. Der erwähnte das Projekt. Und los ging‘s.

Wochenlang rief Daniels in der Telefonzelle in der Wüste an. Dann nahm endlich eine Frau ab. Sie hatte eine Mine in der Nähe. Als er später hinfuhr, hörte das Telefon gar nicht mehr auf zu klingeln. Es waren Leute aus aller Welt, die nun anriefen.

Liebevoll an ein Telefonhäuschen denken

Drei Jahre lang war die Mojave-Telefonzelle eines der ersten Internet-Phänomene. Im Mai 2000 wurde sie plötzlich abgerissen. Das Gebiet, auf dem sie steht, ist Naturschutzgebiet und der Behörde wurde der Rummel zu viel. Die Telefonzelle ist an ihrem eigenen Erfolg zugrunde gegangen. „Doc“ Daniels kümmert sich nun um ihr Andenken, „und ich bin glücklich zu sehen, dass die Menschen immer noch etwas über sie wissen wollen und liebevoll an sie denken“, sagt er.

Seit der Zeit der Mojave-Zelle hat sich das Telefonieren sehr verändert. Daniels hat ein Smartphone, aber er bespricht normalerweise wenig am Telefon - „auch wenn sich das vielleicht seltsam anhört, aber das war schon so, als ich hunderte Meilen durch die Wüste gefahren bin, um an der Mojave-Telefonzelle zu telefonieren“.

„Das war eine merkwürdig poetische Angelegenheit mit dieser Telefonzelle“, schrieb der Schriftsteller J.G. Ballard. Für Daniels ging es dabei „um Connection“. Zu Menschen. Und zur Wüste. Er war in der Wüste Sonora aufgewachsen und er mochte es, jeden Tag da in der Mojave-Wüste anzurufen und auf das Freizeichen zu hören. Eine Art geistiger Besuch in der Wüste.

Abenteuerfaktoren

Seit zwei Jahren ringt er mit einem Crowdfunding-finanzierten Buchprojekt („Adventures with the Mojave Phone Booth“), in dem auch seine Vorliebe für Art Cars, also konventioneller Fahrzeuge, die in Kunstwerke verwandelt wurden, eine Rolle als Abenteuerfaktor spielt: Einmal ist mein Auto in der Wüste zusammengebrochen - es ist ein fahrendes Kunstwerk, das dem Trompeter Herb Alpert gewidmet ist - und meine Begleiter wurden von einem Wüstenwahnsinnigen mit einer Pistole bedroht“. Zu seinem Buch meint er, er würde nun schon so lange daran arbeiten, „dass es so monumental wie „Krieg und Frieden“ werden müsste, bloß nicht so dick.“

Einige Zeit hatte Daniels eine Telefonzelle in seinem Wohnzimmer stehen. Er hatte sie sogar einmal rausgeschleppt zu der Mojave-Telefonzelle, um sie da beide nebeneinander stehen zu sehen. Als er danach seine Sachen an einen abgelegenen Ort brachte, an den er umziehen wollte, wurde sie ihm gestohlen. Nun bleibt ihm noch die Mojave-Telefonzelle, die es nicht mehr gibt.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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