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Wissenschaft & Blödsinn

Die flachste Theorie der Welt

Dass man im Mittelalter die Erde für eine Scheibe hielt, ist ein verbreiteter Irrglaube. In Wirklichkeit waren sich gebildete Leute schon seit der Antike ziemlich einig darüber, dass wir auf einer Kugel leben. Heute ist die Sache natürlich völlig klar: Wir haben Fotos der Apollo-Missionen, auf denen die runde Erdkugel klar zu erkennen ist, wir können mit Flugzeugen in kurzer Zeit den Globus umkreisen, wir können mit unseren Freunden in Australien telefonieren und uns versichern lassen, dass dort tatsächlich die Sonne scheint, während es bei uns stockdunkel ist.

Trotzdem gibt es auch heute Menschen, die das alles für eine bösartige Verschwörung halten. Sie sind davon überzeugt, dass die Erde eine flache Scheibe ist. In der Mitte ist der Nordpol, ringsherum sind die Kontinente angeordnet, so wie auf der offiziellen Flagge der UNO. Ganz außen ist die Antarktis, als unüberwindbarer eisiger Ring, der die Erde begrenzt. Die Erde dreht sich auch nicht, sondern Sonne und Mond fliegen in Kreisbahnen über die Erdscheibe hinweg, und darüber wölbt sich eine Halbkugel mit Sternen.

Ernsthaft jetzt?

Da fragt man sich natürlich: Soll man diesen Leuten Physik erklären, oder lieber gleich ärztliche Hilfe holen? Eigentlich sollte man Verschwörungstheoretiker nicht als dumm hinstellen, sondern geduldig Gegenargumente liefern. Aber die Behauptungen der Flacherdler sind so haarsträubend daneben, dass andere Verschwörungstheoretiker, die an den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang, an Chemtrails oder an die Weltherrschaft der Reptilien-Aliens glauben, plötzlich fast wie seriöse Intellektuelle wirken. Kann die Flache-Erde-Theorie wirklich ernst gemeint sein? Oder handelt es sich vielleicht um ein riesengroßes Satireprojekt?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Tatsächlich scheinen Satire und echter Glaube bei den Flacherdlern ineinanderzufließen. Die „Flat Earth Society“ in den USA wurde als schrullige und weitgehend bedeutungslose Vereinigung eigentümlicher Sonderlinge gesehen, bevor sich ihre Ideen in den letzten Jahren im Internet dramatisch ausbreiten konnten. Dazu trugen Leute, die das Ganze für einen lustigen Spaß hielten wohl genauso bei, wie echte überzeugte Flacherdler.

Prominente Unterstützung

Dass sich einige Promis für die Flache-Erde-Theorie aussprachen, brachte immer wieder neue Medienpräsenz – der ehemalige Basketballstar Shaquille O’Neal ist ein Flacherdler, ebenso wie das Model-Sternchen Tila Tequila (die auch schon mit Hitler-Sympathien für Aufsehen gesorgt hatte), und auch von Xavier Naidoo (stolzer Preisträger des Goldenen Bretts vorm Kopf) wird erzählt, er vertrete die Theorie der flachen Erde.

Fotos von der Erdkugel sind im Flacherdler-Weltbild natürlich ausnahmslos gefälscht. Astronauten, Geodäten und Flugzeugpiloten werden alle für ihre Lügen bezahlt. Von wem eigentlich? Von der mächtigen Lobby der Globus-Hersteller?

Derart flache Gedankengänge sind zumindest ein Zeichen für eine gewisse Kreativität. Aber wer der Wahrheit näher kommen möchte, hätte unzählige Möglichkeiten, die Kugelgestalt der Erde zu überprüfen: In größerer Höhe kann man tatsächlich gut sehen, dass der Horizont gekrümmt ist. Weit entfernte Schiffe senken sich allmählich unter den Horizont, bis nur noch die Spitze des Segels zu sehen ist. Man kann Foucaultsche Pendel untersuchen, um die Erdrotation zu messen. Man kann sogar Neutrinos durch unseren Planeten schießen, die sich exakt geradlinig ausbreiten. Sie dringen kilometerweit in die Erde ein und kommen dann aufgrund der Erdkrümmung anderswo wieder heraus – genau wie es die Formeln der Kugelgeometrie vorhersagen.

Würde die Flacherdler-Theorie tatsächlich stimmen, müsste die Bahn von Sonne und Mond am Himmel völlig anders aussehen. In der Nacht dürfte es niemals völlig finster werden. Eine Sonne, die über der Erdscheibe ihre Kreise zieht, wäre ja noch immer sichtbar, auch wenn sie manchmal weiter weg ist. Der Mond müsste zur gleichen Zeit von unterschiedlichen Kontinenten aus betrachtet unterschiedlich aussehen. Jahreszeiten und Mondphasen wären nicht zu erklären, und Flüge in der Nähe des Südpols, etwa von Südafrika nach Australien, wären völlig unmöglich.

Religiöser Fundamentalismus

Doch wie kann es dann sein, dass diese abstruse Theorie im einundzwanzigsten Jahrhundert plötzlich populär wird? Wieso erscheint plötzlich manchen Leuten eine völlig sinnlose Weltverschwörung glaubwürdiger als seit Jahrtausenden akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnisse? Warum vermehren sich Flacherdler-Webseiten wie Masernviren in der Waldorfschule?

Auffallend oft wird in Flacherdler-Propaganda auf Religion Bezug genommen. Man will nicht hinnehmen, auf einem winzigen Planeten in einem astronomisch gesehen ziemlich gewöhnlichen Sonnensystem am Rand einer durchschnittlichen Galaxie zu leben. Wenn die Erde aber eine Scheibe ist, dann kann man sie als Zentrum des Universums betrachten, so wie das auch in heiligen Schriften beschrieben wird. (Ob sich Jesus bei seiner Fahrt in den Himmel dann irgendwann den Kopf am äußeren Himmelsgewölbe angestoßen hat, scheint nicht überliefert zu sein.) Die katholische Kirche hat die Erkenntnisse der modernen Astronomie zwar längst anerkannt – aber manche religiöse Fundamentalisten hinken offenbar ein paar Jahrhunderte hinterher.

Man kann die Flacherdler also als mahnendes Beispiel verstehen, auf welche Weise sich in der scheinbar aufgeklärten Gesellschaft unseres Jahrhunderts abstruseste Thesen verbreiten können: Eine neuer religiöser Fundamentalismus paart sich mit einer irrational antiautoritären Elitenfeindlichkeit, die Wissenschaft als verschwörerisches Lügenprogramm ablehnt. Und elektronische Medien, in denen sich jeder Unfug ganz ohne Qualitätsfilter ausbreiten kann, liefern den nötigen Nährboden, um den Unfug wild wuchern zu lassen.

Diese Mechanismen müssen wir im Auge behalten. Über die Flacherdler kann man vielleicht noch lachen. Doch ganz Ähnliches kann auch mit anderen Theorien geschehen, bei denen uns das Lachen dann vielleicht doch ganz rasch vergeht.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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