Peter Glaser: Zukunftsreich

Elektronisches Spießertum: Die Kerze ohne Kerze

Es gibt Dinge, die aussehen wie etwas, das sie aber nicht sind. Es ist die dem Menschen zutiefst innewohnende Lust an Verkleidungen (gemeint sind Textilien, nicht Gehäuseverkleidungen), die er auch gern auf die von ihm geschaffenen Artefakte überträgt. Was seine Wurzeln in der Überlebenstechnik des Tarnens hat, ist inzwischen zu einem zentralen Feature der digitalen Welt geworden: Simulationen haben das So-tun-als-ob universal gemacht.

Ein Spiegelei als Schlüsselanhänger

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg nahmen die voranschreitende Individualisierung und die Idee, sich ständig neu zu erfinden, auch materielle Formen an. Schlüsselanhänger etwa wollten sich nicht länger damit zufriedengeben, einfach nur Objekte in guter Greifgröße zu sein – ein Schlüsselanhänger konnte nun auch ein Spiegelei aus Weichplastik sein. Flauschkissen nahmen die Form von Ölfässern an, Radios sahen aus wie Sputniks oder Coladosen und Aschenbecher wie kleine Autoreifen. Die Popkultur war die große, analoge Vorübung für das, was uns heute an spielerischem Anderssein in digitaler Form entgegenstürmt. Und dann sind da noch die flammenfreien elektrischen Kerzen mit Fernbedienung.

Heimelektronik a la Schrecksperma

Sie erinnern an den Grazer Kabarettisten Martin Puntigam und seinen jungen Entrepreneur, der eine Erfindung vorstellt: Schrecksperma, gedacht als konsequente Weiterentwicklung von Schrecktinte. Die Kerzen-Emulationen verweisen stolz darauf, sozusagen den Anschluss an den Stand der modernen Heimelektronik geschafft zu haben. Nachdem praktisch alle Haushaltsgeräte vom Fernseher bis zur Funksteckdose über eine Fernbedienung verfügen, war es nur noch eine Frage Zeit, bis die fernbedienbare Kerze kommt.

Nichts an ihr kann verschmort stinken oder anbrennen, nichts wird mit Wachs vollgetropft und muß dann mühsam mit Löschpapier wieder ausgebügelt werden. Es ist eine Kerze ohne Kerze, die aussieht wie eine Kerze oder das jedenfalls gern möchte. Es ist eine Kerzenandeutung, eine Kerzenabstraktion, ein von allem Störpotential einer echten Kerze bereinigter, ungeschickter Kerzenrest. Mit Fernbedienung.

Ein feiges Ding

Alles, was an türkischen drehbaren, regenbogenbunten und mit Glasfasergamsbärten bestückten Fernsehlampen, an thailändischen batteriebetriebenen Plastikaquarien mit rundlaufender Fischtapete oder an afghanischem LKW-Schmuck noch Empfindungen an den Grenzflächen zum Irrwitz zum Klingen bringt, kollabiert in der fernbedienbaren Kerze zu einem Inbild elektronischen Spießertums.

Für jene kühle Schlichtheit, für die sonst gern blanko der Begriff Design vergeben wird, ist sie zu angekitscht, und für einen Ausritt in die enthemmteren Regionen des Farbreichtums zu mutlos. Das Ding ist einfach feige. Dieses Stück Technik ist ein lauwarmes Garnichts. Es erinnert, und zwar auf unangenehme Weise, daran, dass Gadgets nicht nur funktionieren müssen. Sie versorgen uns auch mit einer Stimmung und färben die Zeit, die wir mit ihnen verbringen. Und das Gefühl, das von der elektrischen Kerze kommt, ist das einer Mickrigkeit - störungsfreie, widerstandslose, abenteuerferne, risikoentkernte Anpassung in Kerzenform.

Der natürliche Feind des coolen Gelingens

Es ist nicht einfach schlechter Geschmack oder falsche Gestaltung – der Wurm in diesem wie in manchem anderen technischen Objekt sitzt tiefer. Es ist das Ungeschick, der natürliche Feind des coolen Gelingens, eng verbunden mit der Peinlichkeit, die je kein Gefühl ist, sondern ein fataler Phasenübergang, der jede Art von Gefühl erfassen kann. Peinlichkeit ist der Moment, in dem die Milch sauer wird. In Geräten wie der fernbedienbaren, flammenlosen Kerze nistet das Ungeschick. Sie halten einen Zustand, aus dem man sich möglichst umgehend herauswinden möchte, für immer fest: 50.000 Stunden Lebensdauer verspricht ein Hersteller und zeigt, dass er auch den melancholischen letzten Genuss an einer Kerze nicht verstanden hat – das Abbrennen und den kleinen Abschied, wenn sie verlischt.

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Beispiel:

Flammenlose Echtwachs-LED-Kerze

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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