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Meinung

Wissenschaft zum Selberbasteln

Wissenschaft ist ein Teamsport.

Pete Hegseth, der von Donald Trump für das Amt des US-Verteidigungsministers vorgeschlagen wurde, glaubt nicht an Krankheitserreger. „Ich kann sie nicht sehen, deswegen sind sie nicht real“, sagte er vor laufenden Kameras. Daher, so erklärte er, wasche er sich auch nie die Hände.

Dahinter steckt ein verführerischer, aber gefährlicher Gedanke, auf den man in Verschwörungstheorie-Kreisen erstaunlich häufig stößt: „Ich glaube nur, was ich selbst beobachtet habe!“ Egal ob man sich mit der Klimawandel-Leugner-Szene befasst, mit Flacherdlern oder mit Impfgegnern: „Do your own research - mach deine eigene Forschung!“ ist ein beliebter Schlachtruf in dieser Szene. 

Eigentlich wirkt das auf den ersten Blick richtig sympathisch, rational und wissenschaftlich. Was soll daran denn falsch sein, sich auf sich selbst zu verlassen? „Lass dir nicht von irgendwelchen Experten etwas einreden, glaube nur, was du mit deinen eigenen Sinnen wahrgenommen hast!“ Das hört sich höchst vernünftig an. Es erinnert stark an Immanuel Kants berühmten Ausspruch „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ War das nicht der Ausgangspunkt aufgeklärten Denkens? Der Startschuss für die moderne Wissenschaft?

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Ganz so einfach ist es nicht. Hier versteckt sich ein entscheidender Denkfehler: Natürlich soll man als rational denkender Mensch nicht einfach glauben, was einem vorgesetzt wird. Man soll alles kritisch in Frage stellen, auch wenn es von überragenden Autoritäten kommt. Das heißt aber nicht, dass es sinnvoll ist, alles selbst zu erforschen. Und schon gar nicht, dass man eigene Erfahrungen wichtiger nehmen soll als wissenschaftliche Ergebnisse, die aus systematisch zusammengetragenen und vielfach überprüften Erfahrungen vieler Menschen bestehen.

Megatrend Individualismus

Individualismus liegt im Trend. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen verliert an Bedeutung, dafür hat jeder seinen eigenen Instagram-Kanal. Religionen sind egal, dafür kann man im Esoterikladen zwischen hunderten Spiritualitätsmodellen wählen. Der große Lebenstraum ist das kleine Haus mit Garten, den man mit mächtigen Thujenhecken von den hundert exakt identischen Nachbargärten abschirmt, um sich ungestört als einzigartiges Individuum fühlen zu können.

Und dieser Individualismus wird nun auch auf die Wissenschaft übertragen: Wenn mir die Fakten der abgehobenen Elite nicht gefallen, dann suche ich mir eben meine eigenen! Ich verlasse mich nur auf das, was meine eigenen Sinne mir sagen und schirme mich ab, in meiner eigenen kleinen Biedermeier-Schrebergarten-Wohlfühlwissenschaft, in der ich garantiert Recht habe! 

Flacherdler studieren nicht etwa Fachliteratur aus der Geodäsie, sie finden Wege, die Scheibenform der Erde ganz individuell zu Hause zu beweisen. Klimawandelleugner beschäftigen sich nicht etwa mit atmosphärischen Temperaturmodellen, sie erzählen von persönlichen Erinnerungen aus ihrer Kindheit, als es auch schon mal sehr heiß war. Impfgegner reden nicht über epidemiologische Studien, sondern über Onkel Walter, der zwar geimpft ist, aber seither alle paar Wochen Kopfschmerzen hat.

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Wissenschaft ist immer Teamsport

Das ist eine grobe Verdrehung dessen, was Wissenschaft eigentlich ist: Eigene Beobachtungen zu machen ist zwar tatsächlich der Beginn jeder Wissenschaft – aber noch lange nicht das Ende. Wenn wir unseren eigenen Verstand nutzen, dann bedeutet das auch: Unsere eigenen Wahrnehmungen in Frage zu stellen, sie mit Wahrnehmungen anderer Leute zu vergleichen, zu verknüpfen und daraus Schlüsse zu ziehen.

Wissenschaft ist ein Teamsport. Die Vorstellung, man könne sich eine individuelle Privatwissenschaft zurechtbasteln, ist ein Widerspruch in sich. Selberdenken ist gut. Aber dabei das zu ignorieren, was andere Leute gedacht haben – insbesondere solche, die sich mit dem Thema vielleicht viel intensiver beschäftigt haben – ist ein grober Fehler. Wichtig bleibt der Grundsatz: Glaube nicht alles, was man dir sagt. Aber glaube auch nicht alles, was du denkst.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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