By Michael Kleiman, US Air Force [Public domain],
By Michael Kleiman, US Air Force [Public domain], via Wikimedia Commons
© Michael Kleiman, US Air Force [Public domain], via Wikimedia Commons

Wissenschaft & Blödsinn

HAARP: Todesstrahlen aus Alaska

Wenn mir die Suppe nicht schmeckt, kann ich über den Koch schimpfen. Wenn mich ein Hund beißt, kann ich den Besitzer verklagen. Aber wer um alles in der Welt ist schuld an verheerenden Wirbelstürmen, an katastrophalen Erdbeben oder an meiner allgemein schlechten Laune?

Für manche Leute ist auch in diesen Fällen die Antwort einfach: In einem finsteren Wald in Alaska verbirgt sich eine geheimnisvolle Radiowellen-Sendeanlage. Und diese Anlage, so wird behauptet, dient dunklen Mächten rund um die US-Regierung dazu, die ganze Welt zu tyrannisieren. Sie sendet Strahlen aus, die das Wetter kontrollieren, Wirbelstürme verursachen oder Erdbeben auslösen. Und nicht nur das: Auch unsere Gedanken können mit diesen Strahlen aus der Ferne gesteuert werden.

Radiowellen in der Ionosphäre

Aus wissenschaftlicher Sicht ist das natürlich vollkommener Unfug. Die besagte Anlage gibt es tatsächlich: HAARP (High Frequency Active Auroral Research Program) ist ein Forschungszentrum mit 180 Radioantennen, die elektromagnetische Wellen in den Himmel schicken. Damit wird die Ausbreitung von Funkwellen in der Atmosphäre erforscht. Geheimnisvoll, mysteriös oder gar gefährlich ist daran rein gar nichts.

Ursprünglich wurde die Anlage vom Militär finanziert. Man wollte herausfinden, wie man mit Radiowellen Funksignale an weit entfernte U-Boote schicken kann. Mittlerweile hat das US-Militär sein Interesse an HAARP verloren, das Forschungszentrum wurde der Universität von Alaska in Fairbanks übergeben. Mit den Radiowellen der HAARP-Anlage wird heute die Ionosphäre untersucht – die äußere Schicht unserer Atmosphäre. Diese Schicht ist interessant, weil sie viele geladene Teilchen enthält, an denen Funkwellen von der Erde zum Boden zurückreflektiert werden können. HAARP kann geladene Teilchen in der Ionosphäre zum Schwingen bringen, sogar künstliche Polarlichter lassen sich mit HAARP erzeugen.

Nichts an der Forschung, die dort durchgeführt wird, ist geheim. In wissenschaftlichen Publikationen kann man die Messergebnisse nachlesen, auf der offiziellen Homepage bekommt man aktuelle Daten präsentiert, am Tag der offenen Tür kann man die Anlage besuchen. Doch für Verschwörungstheoretiker auf der ganzen Welt ist HAARP noch immer ein Synonym für Tod, Verderben und dunkle Bedrohung.

Als Anfang September der Hurrikan Irma über die USA fegte, wurden die Verschwörungstheorien wieder besonders laut: Der Wirbelsturm sei nicht auf natürliche Weise entstanden, sondern von HAARP künstlich erzeugt worden, behaupteten HAARP-Gegner. Als Beweis wurde ein Video des amerikanischen Physikers Michio Kaku verbreitet, in dem er angeblich HAARP-Wettermanipulationen zugibt. Dass Kaku in dem Video in Wirklichkeit über etwas völlig anderes spricht, ist zwar leicht zu erkennen, aber ein echter Verschwörungstheoretiker lässt sich durch Fakten nicht aus dem Konzept bringen. Das harmlose Video wurde fleißig mit angsteinflößenden Überschriften versehen und online verbreitet.

Ähnliches war bereits im Jahr 2010 zu beobachten, nachdem in Haiti ein Erdbeben schwere Verwüstungen angerichtet hatte. Auch damals gab es wirre Spekulationen über HAARP als angebliche Ursache der Katastrophe.

Haarföns und Staubsauger

Wie absurd das ist, erkennt man leicht, wenn man sich ein paar Zahlen ansieht: HAARP hat eine Sendeleistung von 3.6 Megawatt. Das entspricht der Leistung von ungefähr zweitausend Haarföns oder dreitausend Staubsaugern. Dass man damit weder einen Wirbelsturm noch ein Erdbeben auslösen kann, versteht sich von selbst.

Ein schweres Erdbeben setzt Energie in der Größenordnung von zehn hoch sechzehn Joule frei – das entspricht der Explosionsenergie von Millionen Tonnen TNT oder tausenden Hiroshima-Atombomben. Würde man es schaffen, zumindest zehn Prozent der HAARP-Sendeleistung auf einen Punkt zu fokussieren (was völlig unrealistisch ist, weil sich die HAARP-Radiowellen über die ganze Erde ausbreiten), dann müsste HAARP immer noch ungefähr 1000 Jahre lang strahlen, um dort die nötige Energiemenge für ein Erdbeben zu liefern. Die Idee, mit HAARP ein Erdbeben auszulösen, ist ungefähr so absurd wie der Gedanke, einen Presslufthammer durch eine Schar hoppelnder Kaninchenbabys zu ersetzen.

Die in einem Wirbelsturm gespeicherte Energiemenge ist um einiges geringer, aber auch sie übertrifft alles, was man mit einer Megawatt-Sendeanlage zustande bringen kann, um viele Größenordnungen. Abgesehen davon verstehen wir heute gut, wie Erdbeben und Wirbelstürme entstehen – hier sind Naturkräfte am Werk, die mit Radiowellen überhaupt nichts zu tun haben. Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht keinen auch nur ansatzweise plausiblen Mechanismus, über den elektromagnetische Wellen solche Naturkatstrophen auslösen könnten.

Noch absurder als diese Spekulationen ist die Behauptung, HAARP könne in unsere Psyche eingreifen. Unsere Gedanken sollen durch die HAARP-Strahlen manipuliert werden, die Stimmung ganzer Völker könne man auf diese Weise steuern, behaupten die HAARP-Gegner und basteln sich schützende Aluhüte.

Tatsächlich können Radiowellen unsere Gedanken beeinflussen – wenn wir ein Radiogerät haben, das die Wellen empfängt und in für uns hörbare Abendnachrichten umwandelt. Aber HAARP ist kein Nachrichtensender und die Radiowellen selbst haben natürlich keinen Einfluss auf unser Gehirn und unsere Gedanken. Es stimmt zwar, dass elektrische Vorgänge in unserem Gehirn eine zentrale Rolle spielen, aber unser Gehirn ist keine Radioantenne. Die Wellen von HAARP beeinflussen uns genauso wenig wie der Wechselstrom in unseren Stromleitungen, die Wärmestrahlung aus dem Kachelofen oder das Licht einer Leuchtstoffröhre.

Die Suche nach dem Bösen

Wenn man die HAARP-Verschwörungstheorie nüchtern betrachtet, dann muss man sich wundern: Wie kann ein derartig substanzloses Hirngespinst so viele Leute jahrelang beschäftigen? Es gibt wenige Verschwörungstheorien, die so konsequent ohne echte Argumente auskommen. Es geht bloß um das diffuse Gefühl, dass alles Übel in der Welt irgendwie von bösen Mächten gesteuert wird.

Vermutlich ist genau das die Ursache für solche Gedanken: Man möchte einfach einen Schuldigen für das Böse in der Welt finden. Niemand will nach dem Erdbeben einen anklagenden Protestartikel gegen die Grausamkeit der Plattentektonik lesen. Ein Blog-Artikel über die verbrecherischen Erdbeben-Technologien, die von der Regierung verheimlicht werden, spricht die Emotion der Leser viel besser an. Das Böse bekommt einen Namen und ein Gesicht – damit kann man es besser einordnen.

Aber so funktioniert die Welt eben nicht. Manchmal passieren schlimme Dinge, ohne dass wir jemanden dafür verantwortlich machen können. Das muss man akzeptieren. Wir sollten unsere Energie nicht für die Suche nach Schuldigen vergeuden, sondern lieber nachdenken, wie wir uns vor Naturkatastrophen schützen und betroffenen Regionen helfen. Damit haben wir genug zu tun.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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