© Remy Labesque

Peter Glaser: Zukunftsreich

Immer älter, immer schöner

In Japan gibt es einen Begriff dafür, wenn benutzte Dinge mit der Zeit schöner werden: Wabi-sabi. Patina nicht als Zeichen von Abnutzung, sondern als Zeichen der Vervollkommnung. Um das zu verstehen, muß man kein Zen-Buddhist sein, sondern bloß ein Lieblingshemd haben oder gern Jeans tragen: je bleicher und weicher die Hose wird, desto enger ist die Beziehung, die man zu ihr hat. Nicht einmal die Firma Apple schafft es, in schicken Schachteln diese eine, ganz besondere Qualität zu verkaufen, die aus einem Ding ein besonderes Ding machen kann: Zeit.

Apple – die moderne Gestaltungsmacht
Altgediente Apple-Freunde werden sich an Frog Design erinnern. Es ist die Firma des deutschen Industriedesigners Hartmut Esslinger (die Abkürzung FROG steht für "Federal Republic Of Germany"), die in den frühen achtziger Jahren aus gewöhnlichen Apple-Computern elegante Maschinen machte. Frog Design begründete den Ruf der Firma Apple als moderne Gestaltungsmacht.

Remy Labesque, der für die Frog Design-Niederlassung in San Francisco arbeitet, hat im Firmenblog „design mind" eine in mehrfacher Hinsicht schöne Beobachtung festgehalten. Sie wird jeden ansprechen, der ein Stück Hardware schon länger als nur ein paar Tage besitzt. Labesque hat seinen Fotoapparat, eine alte analoge Canon, und sein iPhone fotografiert, um die Abnutzungsspuren der Geräte zu zeigen – und dass sie ein Leben gelebt haben. Beide Geräte waren auf dem Weg in den Ruhestand. Die Kamera wurde nach sieben Jahren durch eine digitale ersetzt und das iPhone, dessen Bildschirm nach drei Jahren zu funktionieren aufgehört hatte, durch eines der neuen Generation.

Angenehm abgewetzte Hochtechnologie
Da das iPhone eine Hosentasche gemeinsam mit einem Schlüsselbund bewohnte, waren einige der Geräterundungen stark abgewetzt. Unter dem Silberfinish war das dunkle Aluminium zutage getreten. Als ich die Bilder sah, hatte ich mein MacBook vor mir. An ein paar häufig benutzten Tasten sind schattige Flecken freigescheuert, und wenn Licht auf die Flächen neben dem Trackpad fällt, auf denen sich gewöhnlich meine Handballen aufhalten, ist ein filigranes Muster aus feinen Kratzern zu sehen.

Man sollte sich nicht von der Apple-Werbeästhetik auf eine falsche Fährte locken lassen. Auf Reklamefotos sehen die Maschinen von Apple gern so aus, als müßten die Kunden sich beim Kauf dazu verpflichten, diese lackglänzende Reinheit immerfort zu erhalten. Dass man das iPhone, um es zu bedienen, antatzen muß, das iPad gar großflächig und unter Hinterlassung von Schmierwolken aus Fingerfett auf dem Bildschirm, erscheint geradezu frivol.

Eine digitale Maschine ist nicht einfach ein Ding
Die Zeit, in der ein Rechner oder ein Gadget neu ist, ist sehr kurz; die eigentliche, lange Zeit, die wir mit dem Gegenstand verbringen, ist die Zeit, in der er sich abnutzt. In der ein Benutzer und seine Lebensweise spezielle Spuren hinterlassen. In seinem Buch "Rolltreppe oder Die Herkunft der Dinge" erzählt der amerikanische Schriftsteller Nicholson Baker einen Tag aus dem Leben eines Angestellten, der damit beginnt, dass dem Helden innerhalb kurzer Zeit erst der linke und dann der rechte Schnürsenkel beim Zubinden reissen und er sich zu fragen beginnt, ob er ein so langweiliges Leben führt, dass sogar seine Schnürsenkel gleichförmig durchscheuern.

Eine digitale Maschine, die man besitzt, ist nicht einfach ein Ding. Es ist ein unsichtbares Gefühlsgewächs, das zu sprießen beginnt, wenn wir es zum ersten Mal in die Hand nehmen. Der Zustand der Produktionsfrische, den wir "neu" nennen, hält nur einen Augenblick lang an. Ab da bewegt das Objekt sich mit uns durch die Zeit. Es wird älter, wie wir. Es bekommt Gebrauchsspuren, wie wir. Die Illusion des Neuen zu erhalten ist etwas, mit dem sich auch Apple-Freunde ausführlich beschäftigen. Es gibt lange Forendebatten darüber, ob und wie man Gehäusekratzer wieder wegpolieren kann. Sie erinnern an das zeitgenössische Interesse an kosmetischer Chirurgie.

Sehen, dass die Zeit die Dinge berührt hat
Neues hat immer etwas von der schimmernden, leeren Schönheit in den Gesichtern von 17jährigen Models. Ich mag das Angelebte, das Patinierte. Die in Monaten und Jahren durch ebenso sachte wie ausdauernde Berührungen freigelegten Flecken in der eloxierten Oberfläche meines Rechners. Ich fühle mich durchaus in staubfreien und unvergilbten Wohnungen wohl, aber es gibt Tage, an denen will man sehen, dass die Zeit die Dinge berührt hat. Dass man etwas, das einem flüchtigen Blick schäbig erscheinen mag, als eine wie im Eichenfaß gereifte Qualität empfindet. Der milde Verfall macht auch vor den Tiefen der Maschine nicht halt. Von Datensedimenten überlagert, werden Festplatten und Startvorgänge mit der Zeit immer langsamer. Was noch fehlt ist, dass Daten wie Laub mit der Zeit verwelken und verschwinden. Wir brauchen Jahreszeiten in der digitalen Welt – und einen Wandel, der auch die analoge Welt berührt.

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