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Peter Glaser: Zukunftsreich

Wir werden Wearables

Ich stritt mit einem Bekannten, ob Apple mehr Hardware ist oder mehr Software. Der Bekannte, ein wuchtiger Mensch, der aus einer Menge Material besteht, verteidigte naturgemäß die Hardware-Seite.

„Sie ist das Fundament“, sagte er. „Die Software ist…“, er suchte nach einem passenden Vergleich. „Die Balkonbegrünung!“ Ich fragte ihn, wie man ein Fundament revolutioniert. „Das ist ja das Besondere an der Apple-Hardware. Es ist ein… ein dynamisches Fundament!“

„Die erste Nervenheilanstalt der USA wurde in Virginia eröffnet“, rief der Fernseher aus dem Nebenzimmer. Während wir debattierten, digitalisierte mein Bekannter eine Videokassette. Ich starrte auf den Rekorderschlitz wie auf einen Millionen Jahre alten Ammoniten. Leises Knistern von dem Magnetband war zu hören.

Der Hardware-Mythos

Ich setzte meinen Bekannten damit auseinander, was ich den Hardware-Mythos nenne. Dass die Mikrocomputer-Revolution nur vermeintlich mit Hardware begonnen habe. Ich versuchte pantomimisch einen Macintosh in die Luft zu malen. Damals hatte sich der Mac anfangs bei weitem nicht so toll verkauft, wie von Steve Jobs prognostiziert. Geschäftsleute hielten ihn für ein Spielzeug, die Lötkolbenleute für ein Damenhandtäschchen mit Bildschirm. Die Rettung brachten ein paar Programme, die ganze Industrien auf den Kopf stellten.

Marmelmarmel, machte der Videorekorder. Ich spürte eine Spannung wie neben einem kleinen, wilden Tier, bei dem man nicht sicher sein konnte, ob es im nächsten Moment das Magnetband fressen würden.

Software gibt es eigentlich gar nicht

„Was haben wir gelernt?“, fragte mich mein Bekannter. „Hardware ist das, was einem auf die Füße fallen kann. Und Software das, was einem auf die Nerven fallen kann. Die Hardware ist das Greifbare“, sagte er, weil er wusste, dass ich ein Freund des Verschwindens von Hardware bin. „Software gibt es ja eigentlich garnicht. Die tut ja nur so, als würde es sie geben.“

Wenn man es positiv ausdrücken will, waren wir uns darüber einig, dass die Weiterentwicklung von Apple-Produkten, egal 0b Hardware oder Software, immer mehr ins Detail ging. Manche empfinden das als überbordend. Gestrüpp. Diese fordernde Sehnsucht nach dem nächsten großen Ding, nach der nächsten Neuerfindung nach iPod, iPhone, iPad, hat auch immer mit dem unstillbaren Wunsch nach Purifizierung zu tun. Alles soll wieder ganz einfach werden. Aber die ganzen neuen Features sollen auch irgendwie dableiben.

Ich schaute auf den Bildschirm des Rechners, der vor meinem Bekannten stand, und auf dem neben dem Digitizer ein Twitter-Client lief. Die NSA wollte, dass er ihr folgt. Das Anstrengende am modernen Leben sind die zunehmenden Mikroentscheidungen, die man ständig treffen muss.

„Und was kommt dann, wenn die Hardware ganz diffundiert?“, fragte mein Bekannter. „Google Gas? Die Weltwolke von Apple?“

„Vielleicht“, sagte ich, „ist Apple in ein paar Jahren eine Autofirma. Aber du brauchst für vernetzte Autos der neuesten Generation oder gar fahrerlose Fahrzeuge eine massive neue Infrastruktur. Die Autos vor, hinter und neben dir sind dann zugleich deine Sensoren. Sie sehen schon über den Hügel, den du erst hochfährst. Die Daten müssen völlig verzögerungsfrei und sicher fließen, jeder Aussetzer kann zu einem Unfall führen. In Zukunft fahren wir also nicht mehr durch eine Landschaft, sondern durch Software. Die könnte gut von Apple sein.“

iWatch, iWeg

„Du glaubst also, die Hardware verschwindet“, konstatierte mein Bekannter. „Alles wird immer kleiner - iPhone, iWatch, iWeg. Aber mit den Autos kehrt sich das vollkommen um. Das Fundament wird wieder revolutioniert“, sagte er triumphierend. „Nicht mehr die Rechner werden immer wearabler, sondern wir werden Wearables der fahrbaren, uns umschließenden Rechner.“

„Solange wir souverän bleiben, ist das ok“, sagte ich, und mein Bekannter nahm die Videokassette aus dem Rekorder und spielte den digitalisierten Film an, der ohne jedes Knistern lief.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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