© Wikipedia / Jakob Steinschaden (twitter.com/jakkse) / CC-BY-SA 3.0

Whistleblowerin

Annie Machon: "Es ist schwer, ein Leben danach aufzubauen"

Annie Machon ließ sich von ihrem Vater im Jahr 1991 dazu überreden, nach ihrem Studium an der Cambridge University in die Dienste des britischen Nachrichtendienstes Security Service (MI5) zu treten. „Das MI5 hatte bereits damals einen schlechten Ruf“, erzählt Machon, die im Rahmen der Veranstaltung „No more secrets“ in Wien zu Gast war, im futurezone-Interview. Allerdings gab es damals rund 20.000 Bewerber, wovon lediglich fünf genommen wurden. Machon nennt den „James Bond“-Faktor als Grund dafür. Spione hatten durch die Film-Figur einen guten Ruf.

Geheime Akten veröffentlicht

Machon arbeitete lange Zeit in der Abteilung für Spionage- und Umsturzabwehr, bevor sie zur globalen Aufklärung von Terrorismus eingesetzt wurde. 1997 verließ sie den Nachrichtendienst zusammen mit David Shayler, ihrem Boss und damaligen Lebensgefährten, um als Whistleblowerin Interna aus dem Geheimdienst an die Öffentlichkeit zu tragen. Das waren unter anderem Informationen über geheime Akten über Regierungsmitglieder, illegale Abhörmaßnahmen bei Journalisten sowie wissentlich falsche Verurteilungen zum Terroranschlag von 1994 auf die Israelische Botschaft in London. „Es waren damals eine Reihe von Leuten sehr entsetzt über die Ereignisse. Als wir darüber diskutiert hatten, hieß es einfach: Haltet den Mund“, erzählte Machon. „Dabei waren die 1990er-Jahre im MI5 eigentlich noch eine sehr legale Zeit. Erst seit 9/11 wurden die Gesetze der Reihe nach gebrochen“, so Machon.

Machon ließ sich den Mund jedoch bereits schon damals nicht verbieten. „Es war sehr schwer, alles aufzugeben und hinter sich zu lassen“, erinnert sich die Whistleblowerin. Nur mit Hilfe von Freunden und Familie habe sie die Zeit in Paris, wo sie ihr Leben verbrachte, als sie von London geflüchtet war, überstanden. Die Dokumente waren vermeintlich sicher in einem Safe der „Mail On Sunday“ gebunkert, galten aber, als die Polizei die Dokumente beschlagnahmte, als verloren. Die Regierung sprach daraufhin nur noch von „Fantasie-Storys“. „Genau deswegen bin ich eine große Unterstützerin von Plattformen wie WikiLeaks. Das wäre für uns bereits damals extrem wichtig gewesen, dass es derartige Portale im Netz gibt, wo Dokumente sicher gelagert werden können“, sagt Machon. In weitere Folge habe sie zumindest von cryptome.org profitieren können.

"Schwierig, ein Leben danach aufzubauen"

Wie der NSA-Aufdecker Edward Snowden sich jetzt fühlen muss, kann Machon sehr gut nachvollziehen. „Snowden fühlt sich sicher isoliert. Allerdings ist der jetzige Zustand sicherlich besser als eine Gefängniszelle, wo er keinen Zugang zum Internet mehr hat. So kann er immerhin mit der ganzen Welt in Verbindung treten, wenn er will“, sagt Machon. Die MI5-Geheimdienstagentin hat selbst zahlreiche Gerichtsverfahren hinter sich, ins Gefängnis musste sie jedoch nicht.

Für die 46-Jährige war es allerdings sehr schwer, nach ihrer Zeit als Whistleblowerin ein „Leben danach“ aufzubauen. „Mein Leben ist jetzt sehr verrückt. Mein Hauptfokus liegt darauf, öffentlich aufzutreten. Außerdem bin ich für zahlreiche Organisationen tätig“, erzählt Machon. Darunter eine Organisation, die gegen Anti-Drogen-Prohibition auftritt sowie eine Organisation für Whistelblower. „Es sind interessante Aufgaben und ich kann von etwas, für das ich mich gerne einsetze, leben.“

Für Verschlüsselung

Machon verzichtet auf die Benutzung eines Smartphones und setzt bei ihrer Kommunikation im Netz seit langem auf Kryptografie. „Wir müssen die Verantwortung für uns selbst übernehmen“, so Machon. Zur E-Mail-Verschlüsselung setzt Machon auf PGP (Pretty Good Privacy), sowie auf die Linux-Distribution „Tails“, mit der auch Edward Snowden seine Kommunikation vor der NSA schützte. „Viele verwenden jetzt auch wieder IBM Thinkpads, die vor dem Jahr 1998 erzeugt worden sind. Da besteht ein reger Handel damit auf eBay. Zu diesem Zeitpunkt war die Hardware noch nicht infiltriert“, erzählt Machon.

Weniger technikaffine Leute würden auf sogenannte „Cryptopartys“ Rat von Experten finden. Für Machon wäre es wichtig, dass immer mehr Leute auf Kryptografie setzen. „Ich verschlüssle sogar meine E-Mails, die nichts anders als Einkauszettel enthalten, aus Prinzip. Je mehr Leute ihre E-Mails verschlüsseln, desto mehr Schutz haben wir“, meint Machon.

"MI5 eine repressive Gruppe"

Dass sich das MI5 mittlerweile seit ihrem Abgang zum Besseren gewandelt hat, glaubt die ehemalige Agentin nicht. „Seit ich das MI5 verlassen habe, hat sich die Situation noch einmal drastisch zum Schlechteren verändert.“ Der britische Nachrichtendienst sei noch einmal eine Spur mehr paranoid geworden, zudem würden wieder vermehrt Foltermethoden zum Einsatz kommen, die seit den 1970er-Jahren eigentlich als unethisch und kontraproduktiv galten. „Das MI5 ist zu einer repressiven Gruppe geworden.“ Heutzutage würden nicht mehr nur linke Gruppen oder irische Terroristen überwacht, sondern auch Aktivisten oder politische Dissidenten. „Das ist ein großes Problem. Und: Sie brechen Gesetze, um das tun zu können.“

Machon glaubt jedoch fest daran, dass sich durch die Enthüllungen durch Edward Snowden global etwas getan hat. Auch wenn Snowden selbst hauptsächlich die amerikanische Konstitution ändern wollte, habe es auch in Europa viele ernstzunehmende Debatten gegeben, so Machon. Vor allem Deutschland habe die Geheimdienst-Überwachung aus historischen Gründen sehr ernst genommen. Warum die Verhandlungen zwischen Angela Merkel und Barack Obama dennoch nichts ergeben hätten, kommentiert Machon folgendermaßen: „Merkel stand unter großem Druck, ihrem Volk Antworten zu präsentieren. Aber ihr ist passiert, was die Amerikaner so gerne machen: Sie wurde geschickt abgelenkt. Das können die Amerikaner gut.“

Annie Machon war auf Initiative des SPÖ-Europaabgeordneten Josef Weidenholzer am Dienstagabend an der Wiener TU zu Gast und nahm an der internationalen Konferenz „No more secrets? Die offene Gesellschaft und ihre digitalen Feinde“ teil.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

mehr lesen
Barbara Wimmer

Kommentare