Negativpreis für digitale Jobvermittler
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Die Taxi-Vermittlungsplattform Uber ist nur eine Spielart der so genannten Crowdworking-Plattformen. Dank der Online-Vermittlung von digitalen Arbeitsmöglichkeiten konkurrieren Arbeitswillige aus aller Welt direkt miteinander, nicht selten zu fernöstlichen Dumpinglöhnen und ohne jede soziale Absicherung. Sie standen in diesem Jahr im Fokus des deutschen Big Brother Awards.
Welche Technik-Trends höhlen digitale Grundrechte aus? Wer verletzt am schlimmsten die Privatsphäre? Diesen Fragen geht in Deutschland der Negativpreis Big Brother Awards -mittlerweile seit fünfzehn Jahren nach. Die diesjährige Auszeichnung in der Kategorie „Wirtschaft“ greift mit digitalen Jobvermittlungsplattformen einen tief greifenden Trend auf. „Er wird nicht nur unsere Arbeitswelt, sondern unsere Gesellschaft insgesamt umkrempeln,“ glaubt Rena Tangens vom Bielefelder Verein Digitalcourage, der den Preis ausrichtet.
Für die Realisierung des „digitalen Tagelöhnertums“ wurden exemplarisch die US-amerikanischen Vermittlungsplattformen Amazon Mechanical Turk und Elance-o-Desk ausgezeichnet. Die Plattformen stehen für zwei Enden der Skala: Während Amazon Mechanical Turk sich laut Tangens an das Prekariat wendet, zielt Elance-oDesk auf die digitale Boheme.
Digitale Schachtürken
Amazon vermittelt mit der wohl selbstironisch benannten „Mechanical Turk“-Plattform so genannte „Human Intelligence Tasks“, als Arbeiten, die nicht von Computern selbständig erledigt werden können, die aber Menschen mit Computern bewerkstelligen können. Rund 500.000 Freiberufler klassifizieren hier für Cent-Beträge Fotos, fertigen Übersetzungen an, tippen Gesprächsaufnahmen ab oder beschriften Präsentationen. Sie schreiben auch Kommentare zu Blogartikeln oder fertigen positive oder negative Produktbewertungen an.
Amazons „Mechanical Turk“ kann als „Schachtürke“ übersetzt werden. Konstruiert die Schachtürken-Maschine erstmals 1769 von einem österreichischen Mechaniker, wobei sie den Eindruck erweckte, dass sie selbständig Schach spielen konnte. Tatsächlich war aber einer menschlicher Schachspieler im engen Maschinengehäuse versteckt. Dieses Geheimnis wurde jedoch erst Jahrzehnte später gelüftet. Der Schachtürke ist daher Ursprung für die Redewendung „getürkt“.
Die „Turker“ - so bezeichnen sich die Arbeitnehmer selbst - halten laut einer Umfrage der New York University 41 Prozent der Aufträge für „Spam“. Sie richten beispielsweise falsche E-Mail-Adressen oder unechte Identitäten auf Facebook und Twitter ein, um „geturkte“ Bewertungen und Kommentare abzugeben. Es gibt aber auch ganz andere Mechanical-Turk-Projekte: So heuerte der Künstler Aaron Koblin 10.000 Turker an, um Schafe zu malen, die er dann in seinem Projekt „The Sheep Market“ veröffentlichte, um auf die Bedingungen des neuen Arbeitsmarkts aufmerksam zu machen.
Arbeitnehmer ohne Rechte
Obwohl nur Jobs mit Mini-Entgelten vermittelt werden, müssen sich die Auftragnehmer zunächst mit Gratis-Tätigkeiten qualifizieren. Sie werden vom Auftraggeber bewertet und erhalten nur dann Geld, wenn dieser zufrieden war. Aufgrund der erhaltenen Bewertung können dann weitere Arbeitgeber an sie herantreten. Möglich ist auch die Vergabe eines Auftrags an mehrere Personen, wobei nur die beste Ausführung bezahlt wird. Amazon kassiert dabei immer 10 Prozent Provision. „Die Auftragnehmer werden bei jedem Mikrojob bewertet, dagegen sind die Zahlungsmoral und sonstiges Verhalten der Auftraggeber auf der Plattform nicht sichtbar“, kritisiert Tangens. Sie können ohne jede Begründung die Ergebnisse ablehnen und die Zahlung verweigern.
Abhilfe kommt nur rudimentär, und nicht von Amazon: Zwei Wissenschaftler der University of California haben die Browser-Erweiterung „Turkopticon“ entwickelt, mit der Arbeitnehmer die Zahlungsmoral und die Kommunikationsfähigkeit ihrer Arbeitgeber bewerten können. Genutzt wird das Tool aber nur von etwa 5 Prozent der Turker. Amazon hat bis heute entgegen der Erwartung der Wissenschaftler kein eigenes Reputationssystem für Arbeitgeber in die Plattform integriert.
Tangens prangert auch das orwellianisch ansprechende Neusprech an, mit dem die „freie Arbeit“ vermarktet wird. Tangens: „Job-Häppchen ohne Mindestlohn, ohne Krankenversicherung, ohne Urlaubsanspruch und ohne Solidarität werden als Freiheit, Flexibilität und flache Hierarchien verkauft.“ Damit aber nicht genug – diese Arbeitsbedingungen werden mit einer elektronischen Komplettüberwachung verbunden, der die Arbeitnehmer „freiwillig“ zustimmen. So bei eLance-oDesk: Auftragnehmer müssen das Programm „TeamApp“ auf ihrem Rechner installieren. Es registriert Tastaturanschläge, Mausbewegungen und erstellt sechsmal die Stunde in nicht vorhersehbaren Abständen einen Screenshot vom Bildschirm, den es an den Auftraggeber schickt.
"Nicht einfach so passiert"
Für Rena Tangens ist klar: „Das ist nicht ein Trend, der einfach so passiert. Das ist neoliberale Strategie, die Arbeit auf Zuruf verfügbar und jeden jederzeit kündbar macht. Sie spart Sozialabgaben und Steuern und ist vor allem billig.“ Sie glaubt auch, dass Kreativität Vertrauen ohne Kontrolle braucht. „Wie soll sich Kreativität entfalten, wenn jede Regung messbar gemacht und jedes Tun oder Nicht-Tun überwacht, registriert und bewertet wird?“ Die Dauerüberwachung schwäche im Gegenteil die Produktivität, da sie die Energie auf das stetige Vortäuschen von Betriebsamkeit verlagere.
Die Auftragnehmer produzieren bei eLance-oDesk keinen Spam, sondern erstellen Softwareprogramme, gestalten Grafiken und Websites, verfassen Marektingkonzepte und Businesspläne. Für eine müssen sie den Lebenslauf mitteilen, ihre Qualifikation nachweisen und Referenzkunden angeben. Vermarktet wird die Plattform mit den Vorteilen für die Arbeitgeber: Bezahlt werden nur die Leute, die man gerade jetzt braucht. Bezahlt wird nur für die tatsächlich sichtbare Arbeit. Tangens: „Pausen, Nachdenken, Arbeitsvorbereitung, ein Gespräch beim Kaffee, bei dem wir neue Einfälle haben, zählen nicht dazu.“ eLance-o-Desk sichert für die anspruchsvollen Arbeiten übrigens einen Mindestlohn von 3 Dollar zu – für jemand, der in Asien arbeitet, ein durchaus annehmbares Entgelt. In den Foren finden sich dagegen sogar Proteste der Auftraggeber.
Gleichwohl wird die Plattform nicht von allen Auftraggebern wegen seiner Team-Tools oder seinen niedrigen Preise geschätzt, sondern wegen der guten Leute, die sie vermittelt. Christian Kreutz etwa setzt anspruchsvolle Open-Data-Projekte, Bürgerbeteiligungsplattformen und internationale Projekte um. Schon seit Jahren arbeitet er mit Freelancern zusammen, die er über eLance gefunden hat und zahlt guten Leuten ähnliche Preise wie in Deutschland. Die Überwachungsfunktion hat er gerade ein einziges Mal genutzt, er hält sie für wenig aussagefähig. Kreutz sagt: „Es gibt richtig gute Leute in Elance und Co. Aber man muss wissen, wie man die findet. Das kann ich sagen, weil ich am Anfang auch mal „abgezockt“ worden bin: Die richtige Auftragsvergabe, Kenntnis vom Thema und so weiter sind wichtig, sonst machen manche fast nichts und kassieren ab.“
Die Plattformfunktionalitäten von eLance hält Kreutz im Übrigen angesichts der eher „unterirdischen“ Funktionalitäten wie einer kaum brauchbaren Suche für „enttäuschend“. Kreutz: „Die haben einfach nur Glück, gute Leute zu haben.“ Wobei er die Regel, dass man mit den bewährten Mitarbeitern außerhalb von eLance nicht arbeiten darf, für unsinnig hält: "Im Grunde darfst du nie außerhalb eLance mit der Person zusammenarbeiten, was natürlich totaler Quatsch ist. Denn die Plattform verdient ja gerade am Misstrauen. Denn so lange man sich misstraut, geht man wegen der Bezahlungsabwicklung eben lieber über eLlance."
Weitere Preise
Bei der diesjährigen Preisverleihung wurde Amazon noch für eine andere Besonderheit ausgezeichnet: Zwei deutsche Unternehmenstöchter erhielten ebenfalls den Preis, da sie von ihren Beschäftigten verlangen, einer Verarbeitung ihrer Gesundheitsdaten in den USA zuzustimmen. Außerdem schreiben die Unternehmen vor, welche Ärzte sich jederzeit ein Bild über den Gesundheitszustand der Beschäftigten machen dürfen.
Die Durchdringung von Alltagsgegenständen mit intelligenten Spracherkennungstechnologien thematisiert der Preis für die Schnüffelpuppe „Hello Barbie“, wie von den Firmen Mattel und Toytalk entwickelt wurde. Ausgestattet mit Mikrofon und WLAN zeichnet das blonde Püppchen Gespräche mit ihren Spielpartnerinnen auf und verschickt sie an einen Internetrechner, um passende Antworten formulieren zu können. Doch damit nicht genug: Laut Linus Neumann vom Chaos Computer Club können Eltern sogar über die Gespräche täglich einen Bericht anfordern. Erhältlich ist die Puppe noch nicht.
Die weiteren Preisträger kamen aus der Politik: Der deutsche Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe erhielt den Preis für sein eHealth-Projekt, das die Vertraulichkeit zwischen Arzt und Patient „massiv gefährdet“. Der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maizière und sein Vorgänger Hans-Peter Friedrich wurden von Max Schrems für die „systematische Sabotage“ der geplanten Europäischen Datenschutzgrundverordnung gewürdigt, die unter dem Vorzeichen von Big Data zur Abschaffung der Datensparsamkeit und der Zweckbindung führen soll. Der deutsche Bundesnachrichtendienst wurde wegen seiner engen Verbundenheit mit der NSA ebenfalls auf die Liste der Preisträger gesetzt.
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