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Joel Tenenbaum

"Durchs Filesharing droht mir der Bankrott"

Joel Tenenbaum streitet sich seit geraumer Zeit mit der Recording Industry Association of America (RIAA), dem Verband der Musikindustrie in den USA, vor Gericht. Der Grund dafür: Er hat als Schüler 30 Musikfiles zum Tausch über ein Filesharing-Netzwerk angeboten und wurde mittels IP-Adresse ausgeforscht. Im Juli 2009 wurde Tenenbaum dafür zu einer Schadenersatzleistung von 675.000 US-Dollar - das sind 22.500 US-Dollar pro Song - verdonnert. Es kam zu mehreren Berufungsverfahren und der Fall wurde erst kürzlich vom obersten Gericht der USA abgelehnt. Ein Ende des Verfahrens ist nicht in Sicht. Mit der futurezone sprach der US-Bürger mit "österreichischen Wurzeln" ausführlich über Filesharing und seinen Prozess.

Ihr Fall wurde vor wenigen Wochen vom obersten Gericht in den USA abgelehnt. Wie geht es jetzt weiter?
Der Fall geht am Bezirksgericht weiter mit einem neuen Richter und wird aus einer neuen Perspektive betrachtet. Der Richter hat auch die Möglichkeit, der RIAA die Option eines neuen Verfahrens anzubieten. Es geht also definitiv weiter.

Sind Sie darüber erleichtert, weil dadurch die hohe Strafe vielleicht hinfällig werden könnte, oder ärgern sie sich, weil das Verfahren dermaßen in die Länge gezogen wird?
Ich habe das Ganze auf der High School gemacht und jetzt bin ich Doktor und werde ab Herbst unterrichten. Das Verfahren zieht sich schon sehr lange. Es schwebt über mir und scheint sich da festzusetzen. Ehrlich gesagt, würde ich mir wünschen, dass es bald vorbei ist, weil es mich stresst.

Angenommen, Sie müssten die 675.000 US-Dollar tatsächlich zahlen. Wie würden Sie das bewerkstelligen?
Ich wäre zahlungsunfähig und bankrott. Ich habe die letzten sechs Jahre als Assistent an der Uni gearbeitet und da verdient man nicht viel. Aber auch wenn ich nichts zahlen müsste, mein Leben geht jetzt erst einmal weiter.

Glauben Sie, dass Sie vonseiten der Internet-Community Unterstützung bekommen würden?
Auf meiner Webiste joelfightsback.com gibt es die Möglichkeit, für den Fall via PayPal zu spenden. Bisher sind rund 4000 US-Dollar an Spenden zusammengekommen, obwohl ich diese Möglichkeit nie groß angepriesen habe. Diese Summe deckt in etwa die Gerichtskosten. Für die Schadenssumme wird es sicherlich nie ausreichen. Aber viele Menschen können sich mit meinem Fall identifzieren und helfen mir.

Haben Sie sich das jemals gedacht, dass Filesharing diese Konsequenz für Sie haben könnte?
Nein, niemals. Davor habe ich Songs aus dem Radio aufgenommen. Ich habe niemals das Gefühl gehabt, etwas grundlegend Falsches zu machen. Das ist so, wie wenn ich mein Auto wo abstelle, wo kein offizieller Parkplatz ist. Man erwartet, wenn überhaupt, einen kleinen Strafzettel, aber keine 10000-Dollar-Gebühr. Aber eigentlich habe ich mit gar keinen Konsequenzen gerechnet - und zwar aus demselben Grund, wie wenn man mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Autobahn unterwegs ist - fast jeder macht das einmal.

Werden Leute durch ihren Fall und das hohe Strafmaß, das ihnen angedroht wird, vom Filesharing abgehalten?
Nein, das glaube ich nicht. Statt Napster, Kazaa, Limewire verwenden die Leute heutzutage einfach BitTorrent.

Finden Sie es fair, dass andere Filesharer nicht erwischt und angeklagt werden und weiterhin frei unlizensierte Songs tauschen können?
Nein, das finde ich nicht fair. Aber es ist auch nicht fair, dass rund 20.000 Menschen in den USA fürs Filesharing angeklagt wurden. Ich habe ja Glück, weil mich meine Eltern, Familie und Freunde unterstützen, mein Anwalt gratis für mich arbeitet, aber das hat nicht jeder.

Wie stehen Sie jetzt zu Filesharing? Tauschen Sie noch immer Songs übers Netz?
Nein.

In der Zwischenzeit hat sich bezüglich Musik im Internet ja einiges geändert. Es gibt legale Streaming-Services, erfolgreiche Shops wie iTunes. Man könnte meinen, die Musikindustrie hat dazu gelernt. Glauben Sie nicht, dass die RIAA das Interesse verliert, Sie zu verklagen und das Verfahren fallen lassen wird?
Nein, dazu hat die RIAA viel zu viel Geld und Mühen hineingesteckt. Sie haben mehrere Millionen Dollar dafür verwendet, mich zu verfolgen. Mehr, als sie je von mir bekommen können. Mehr, als ich je in Musik investieren kann. Es ist ja nicht so, dass ich immer nur alles kostenlos runtergeladen und nicht Tausende an Dollar für Musik ausgegeben hätte. Als ich noch ein Kind war, habe ich Zeitungen ausgetragen, um mir meine CDs kaufen zu können.

Sie sind also ein großer Musik-Liebhaber. Es gibt Studien, die besagen, dass Filesharer mehr Geld für Musik ausgeben als der Rest der Bevölkerung. Können Sie das bestätigen?
Ja, das trifft bei mir definitiv zu. Es gibt einen ganzen Haufen von Bands, deren Alben ich nur gekauft habe, weil ich mir davor einen Song im Netz runtergeladen habe, oder mir mein Zimmergenosse am College Songs zum Anhören gegeben hat.

Gibt es Beispiele?
Elliott Smith. Mein Freund hat mir drei Songs gegeben und danach habe ich mir jedes Album auf iTunes gekauft. Auch Nirvana und Nine Inch Nails kannte ich nicht, bevor ich mir ein paar Songs von den Bands runtergeladen hatte. Ich glaube wirklich, dass der Gratis-Download dazu führt, dass man danach Geld in die Musik von den Bands investiert.

Als Sie noch auf die Schule gingen, gab es im Netz noch nicht so viele Möglichkeiten. Jetzt gibt es diese aber schön langsam. Nutzen Sie Streaming-Services?
Ja, ich nutze Pandora, Grooveshark und YouTube. Von lokalen Bands höre ich mir Songs auf MySpace an. Meine damalige Playlist, die 30 Songs wegen denen ich verklagt wurde, lassen sich jetzt über Streaming-Services zusammenstellen und auf legalem Weg im Netz teilen. Das ist für mich Ironie pur. Die Sache, wegen der ich verklagt werde, ist auf diesem Weg erlaubt. Das fühlt sich merkwürdig an.

Glauben Sie, dass Streaming-Services dem Filesharing den Rang ablaufen werden?
Das hängt vom Zweck ab, für den man die Musik braucht. Wenn man in der Arbeit sitzt und einen bestimmten Song sucht, reicht Pandora oder ein anderer Streaming-Dienst. Am iPod im Fitnesscenter reicht Streaming nicht. Außerdem wird es immer Leute geben, die Musik sammeln.

Kaufen Sie noch Musik?
Ja, definitiv. Aber ich kaufe CDs und zwar gebraucht über Amazon.

Auf diesem Weg wird das Geld allerdings nie bei den Künstlern ankommen..
Das stimmt. Aber bei mancher Musik - wie bei Kurt Cobain (Anmerkung: Frontman von Nirvana, ist 1994 verstorben) - ist das nicht mehr relevant. Es gibt außerdem noch andere Wege, Künstler zu unterstützen. Entweder über Merchandising oder Konzert-Besuche. Das mache ich beides ebenso.

Studien zeigen außerdem, dass wenn Leute, die Möglichkeit haben, ein Produkt zu einem fairen Preis zu kaufen, sie dies auch tun. Wenn ein Song 99 Cent in guter Qualität kostet, wird man für den Musik-Download zahlen. Denn Filesharing kann oft viel Arbeit sein - man muss hier auch aufpassen, sich nicht mit Viren zu infizieren. Ich glaube aber nicht, dass man Filesharing jemals stoppen kann. Immer, wenn man ein Stück mit Informationen an einem Computer kreiert, schreit das regelrecht nach einer Kopie. Es ist viel zu einfach, als dass es gestoppt werden könnte.

Hören Sie die 30 Songs, von denen jeder 22.500 Euro wert ist, jetzt eigentlich noch?
Nein. Ich finde nur noch Nirvana und Nine Inch Nails gut davon.

Angenommen, man würde Filesharing legalisieren und statt dessen eine Festplattenabgabe oder Gebühren auf Medienspeicher einführen...
Ich glaube nicht, dass das in den USA funktionieren würde. Man würde immer Probleme haben mit den Leuten, die gar keine Musik oder Medienfiles runterladen. Das ist denen gegenüber nicht fair, für etwas Extra-Gebühren zu verlangen, wenn sie das gar nicht nutzen. Ich bin dagegen.

Wenn Sie der Musikindustrie eine Empfehlung geben könnten, was würden Sie raten?
Wenn die Musikindustrie wirklich ihre Lektion gelernt hätte, würden sie aufhören, mich zu verklagen. Ich raten ihnen daher, genau diesen Schritt zu tun.

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Joel Tenenbaum war anlässlich der Wiener Musikwirtschaftstage in Wien zu Gast. Er ging am Freitagabend in einer Podiumsdiskussion der Frage "Are File Sharers Pirates?" nach.

 

 

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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