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Netzpolitik

E-Government: "Kopiert Estland und macht eure eigene Version"

Seit Mai 2015 gibt es in Estland die E-Residency, für die man sich von überall auf der Welt bewerben kann. Die Menschen, die ihren virtuellen Wohnsitz nach Estland verlegen, können dort ganz ohne Papier ein Unternehmen gründen. Sie zahlen dann allerdings auch ihre Steuern in Estland. Davon profitiert das kleine, baltische Land.

Estland als E-Nation

In ein paar Jahren will Estland 100.000 Menschen mit virtuellem Wohnsitz verzeichnen, derzeit liegt man bei zirka 50.000, wie Taavi Kotka, ehemaliger Chief Information Office (CIO) der estnischen Regierung, auf dem GovTech-Pioneers erzählt. Als man vor zwölf Jahren mit der Umsetzung der Digitalisierung in Estland begonnen habe, sei dies aus einer Notwendigkeit heraus geschehen, und nicht etwa zum Spaß, so Kotka. „Wir sind mit 45.227 km2 ein vergleichsweise großes Land, haben aber mit 1,3 Millionen Einwohner vergleichsweise wenig Einwohner“, erklärt Kotka. „Wir wollten niemals zu einer E-Nation werden, aber wir mussten.“

Neben der E-Residency besteht in Estland seit 2005 auch die Möglichkeit, online mittels ID-Karte abzustimmen und zu wählen. Dazu identifiziert sich der Wähler auf der Webseite der Wahlbehörde per PIN-Code, stimmt ab und verifiziert die Wahl mit einem zweiten Code. „Rund ein Drittel wählt bereits auf diesem Weg, zwei Drittel bevorzugt es, persönlich zum Wahllokal zu gehen“, sagt Kotka.

Sicherheit: "Es ist nichts passiert"

Vergangenes Jahr wurde ein Sicherheitsrisiko beim elektronischen Personalausweis offengelegt, bei dem der öffentliche Schlüssel der digitalen Identität auch ohne ID-Karte und PIN ermittelt werden konnte. Rund 760.000 ID-Karten waren davon betroffen, es dauerte Monate, bis wieder alle Bürger ihre ID-Karte nutzen konnten. Ist das elektronische wählen daher wirklich sicher? „Das wichtigste ist, dass hier nichts passiert ist“, entgegnet Kotka im Gespräch mit der futurezone.

„Wir haben außerdem eine Konferenz, den nationalen Sicherheitsrat, abgehalten, wo wir unsere Erkenntnisse zu dem Vorfall breit diskutiert haben. Wir haben daraus gelernt.“ Es sei außerdem viel einfacher, Wahlen via Facebook zu beeinflussen, als das E-Voting-System zu hacken, so der Ex-CIO, der jetzt als Berater im E-Government-Bereich tätig ist. „Ich mache mir viel mehr Sorgen, dass es ein großes Datenleck bei Facebook gegeben hat, aber das nicht einmal die Gewinne des Unternehmens beeinträchtigt hat.“

Datenzugriff leicht feststellbar

Digitale Systeme seien nicht zwingend unsicherer als die auf Papier, fügte Kotka hinzu. „Schließlich machen es die auch möglich, genau nachzuvollziehen, wer auf Daten zugegriffen hat. Wenn man hier etwa einen unrechtmäßigen Zugriff feststellt, kann man die Person leicht ausfindig machen und bestrafen“, meint Kotka im Bezug auf die elektronische Krankenakte.

Neben dem E-Voting gibt es nämlich noch viele weitere Services, die in Estland digitalisiert wurden. Die bei den Esten beliebteste Anwendung sei das E-Rezept, so Kotka. Man könne beim Arzt anrufen und dann das Medikament aus der Apotheke holen.

"Österreich ist berühmt"

Auch bei der Verwaltung kam es zu einigen Bürokratieerleichterungen. „Wenn ein Baby geboren wird, bekommt die Mutter das Kindergeld automatisch auf ihr Konto. In vielen anderen Ländern ist es noch so, dass diese zuerst ein Formular ausfüllen müssen mit all ihren Daten“, so Kotka. In Österreich gibt es das ebenfalls bereits – seit Mai 2015. „Österreich ist berühmt für seine digitales eGovernment-System“, sagt auch der Este.

In einem Randgespräch mit Markus Kaiser, CEO vom Bundesrechenzentrum, lobt dieser zudem den automatischen Steuerausgleich, den es seit Juni 2017 gebe. „In drei Jahren haben wir die Esten überholt“, meint Kaiser. In Österreich tut sich gerade sehr viel auf der Front. Digitalministerin Margarete Schramböck will noch im Juni die neue österreich.gv.at-Plattform vorstellen, wie sie ebenfalls am GovTech-Pioneers vorangekündigt hat.

Vertrauen der Bürger wichtig

Kotka wiederum wünscht sich, dass möglichst viele Staaten das digitale Verwaltungssystem von Estland kopieren. „Kopiert Estland und macht eure eigene Version davon“, war sein Rat an die offiziellen Behördenvertreter, die am GovTech-Pioneers teilnahmen. „Natürlich ist es wichtig, das System zu lokalisieren und an den jeweiligen Verwaltungsapparat anzupassen. Aber die Idee lässt sich übertragen“, sagt der estische CIO.  

Für die Umsetzung von staatlichen Digitalprojekten sei es auf jeden Fall wichtig, sich das Vertrauen der Bürger zu verdienen. „Menschen müssen dem Staat vertrauen. Keiner gibt heutzutage seine Daten her, ohne etwas dafür zurückzubekommen. Das müssen gute Lösungen sein, die den Bürgern einen Mehrwert bringen. Und als Regierung muss man hier sehr transparent mit allem umgehen“, gibt Kotka noch als kleinen Ratschlag im futurezone-Gespräch mit. Er selbst sei derzeit als Berater in diesem Bereich „sehr beschäftigt“. „Die Kunden finden mich, nicht ich meine Kunden.“

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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