Überwachung kommt schlecht an
Überwachung kommt schlecht an
© novy gilbert

Überwachung

"Ein Gefühl, das man nur aus totalitären Staaten kennt"

Der Bestseller-Autor Marc Elsberg, CCC-Vorstandsmitglied Dodger und die Berliner Überwachungs-Expertin Anne Roth diskutierten auf der Privacy Week in Wien mit Moderatorin Dagmar Streicher über das Thema „Überwachung – alles nur Fiktion?“ und die Auswirkungen der Veröffentlichung des Materials des Whistleblowers Edward Snowden zur Massenüberwachung der NSA.

„Man war danach plötzlich kein Verschwörungstheoretiker mehr, sondern gefragter Experte“, erzählte Dodger vom Chaos Computer Club (CCC). „Wir waren maximal überrascht über das Ausmaß der Überwachung. Früher dachten wir: Den Aufwand würden die nicht betreiben. Aber danach wussten wir: Sie tun es, weil sie es können. Sie haben unlimitierte Ressourcen.“

Dagmar Streicher (l.) diskutierte mit Marc Elsberg, Dodger und Anne Roth.

Konformitätsdruck

Beststeller-Autor Marc Elsberg, der mit „Zero“ etwa einen Thriller über Datenhandel geschrieben hat, erklärte: „In einer überwachten Gesellschaft entsteht automatisch ein Konformitätsdruck. Wir versuchen dadurch, nicht mehr zu sehr ‚out of the box‘ zu sein, sondern hineinzupassen.“ Als Beispiel bringt er etwa ein Experiment mit Büchern und Luftballons im Kindergarten. „In drei Büchern ist der abgebildete Luftballon blau, in einem vierten Buch rot. Wenn die Kindergartentante die Kinder abfragt, was sie gesehen haben, wird auch das vierte Kind, das einen roten Luftballon gesehen hat, sagen, dass er blau gewesen sei. Aus Konformitätsdruck. Wir verlieren unsere Individualität“, so Elsberg.

„Das Wissen, überwacht zu werden, schafft bestimmte Ängste und Bedrohungen und führt dazu, dass Menschen ihr Verhalten verändern“, sagte auch Anne Roth, die sich in Berlin mit den NSA-U-Ausschuss befasst. „Wir müssten hier noch viel länger und viel mehr aufklären.“

Angriff auf Demokratie

Dodger sieht durch Massenüberwachung einen „direkten Angriff auf die Demokratie“. „Bei einer Mobilisierung für eine Demo gegen den BND und seinen erwiesenermaßen grundrechtswidrigen Praktiken haben wir Menschen auf der Straße Flyer in die Hand gedrückt. Ihre Reaktion war: Nein, das ist mir zu heiß. Die wissen, dass ich da war und dagegen war. Es setzt ein Gefühl ein, das man nur aus totalitären Staaten kennt, weil man Angst hat, dabei kontrolliert zu werden. Die Frage ist jetzt nur: Soll man Leute mit Kryptopartys zur digitalen Selbstverteidigung erziehen oder doch lieber mit Fackeln vor die Parlamente ziehen, um unsere Demokratie zu retten?“

Anne Roth meinte dazu: „Beides. Wir müssen Firmen dazu kriegen, Privacy by Design zu implementieren. Es braucht auch hier beides: Politik und Gesetze.“ Marc Elsberg fügte hinzu: „Wir haben einige Gesetze, auf deren Basis man etwas könnte. Es wird aber zu wenig getan derzeit. Wir müssen uns fragen, warum hier so wenig passiert. Und es braucht noch einige neue Gesetze, um neuen Technologien gerecht zu werden.“

Digitales Gemeingut

Die Überwachungs-Expertin aus Berlin wünscht sich, dass technologische Grundversorgung einmal nicht mehr als Teil von Monopolen wie Google oder Facebook stattfindet mit Profit für Unternehmen, sondern dass öffentliches Gemeingut wird. „Die Tools, die wir in der virtuellen Welt benutzen sollten genauso funktionieren wie die Wasserversorgung.“ Auch Dodger fordert: „Wir müssen weg von den Großkonzernen. Es müssen mehr genossenschaftliche Strukturen entstehen, hinter denen keine großen Konzerne dahinterstehen.“

Die Privacy Week findet noch bis 30.10. im Wiener Volkskundemseum statt.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

mehr lesen
Barbara Wimmer

Kommentare