EU: Digitale Binnenmarktstrategie sorgt für Zündstoff
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Am Mittwoch hat die Europäische Kommission ihre Pläne zur Schaffung eines digitalen Binnenmarkts vorgestellt (PDF). „Wir leben in einer digitalen Revolution. Deshalb brauchen wir eine europäische Strategie, die uns digitale Souveränität zurückgibt, damit wir weltweit wettbewerbsfähig bleiben“, sagte Guenther Oettinger, der für Digitalwirtschaft zuständige EU-Kommissar. Er präsentierte die bereits lang erwartete Strategie gemeinsam mit dem dafür zuständigen Vizepräsidenten Andrus Ansip.
Derzeit würden nur 15 Prozent der Bürger ihre Online-Einkäufe in anderen EU-Ländern tätigen, auch Internetunternehmen und Start-Ups können die Wachstumschancen des Online-Geschäfts laut den EU-Kommissaren nicht voll nutzen. Das Ziel des digitalen Binnenmarkts sei es, regulierungsbedingte Barrieren zu beseitigen und die 28 nationalen Märkte zu einem einzigen zusammenzuführen. Konkret setzt die EU-Kommission dabei an 16 Punkten an.
Lösung für Geoblocking
Konkret sollen etwa die Vorschriften über vertragliche Aspekte sowie den Verbraucherschutz bei Online-Käufen harmonisiert werden und die Kosten für Paketzustelldienste gesenkt werden. Auch „ungerechtfertigtem Geoblocking“ soll ein Riegel vorgeschoben werden. „95 Prozent der Europäer sind bereits schon einmal am Besuch von Websites eines anderen EU-Landes gehindert worden, oder auf andere Seiten mit höheren Preisen umgeleitet worden“, erklärte Ansip. „Wir wissen, dass dies ein Problem ist und dafür müssen wir eine Lösung finden“, sagte der Kommissions-Vizepräsident.
Aufgrund solcher Geoblocking-Sperren müssten beispielsweise Kunden von Autovermietungen für den gleichen Mietwagen am selben Anmietort in einem bestimmten Mitgliedstaat möglicherweise mehr als Kunden in anderen Mitgliedstaaten zahlen. Guenter Oettinger, der vor kurzem im futurezone-Interview Geoblocking noch verteidigt hatte und als Beispiel für notwendiges Geoblocking angeführt hatte, dass sich der österreichische Fußball, der nur mittelmäßig sei, sich nicht halten könnte, wenn es nur noch einen gemeinsamen Markt gebe, gab sich bei dem Thema erstaunlich wortkarg.
Modernes Urheberrecht
Als weitere Maßnahme für einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt führen die EU-Kommissare die Notwendigkeit der „Modernisierung des europäischen Urheberrechts“ an. Damit solle sichergestellt werden, dass „Nutzer, die daheim Filme, Musik oder Artikel kaufen, auch unterwegs überall in Europa auf diese zugreifen können“.
Weitere Eckpunkte der Strategie: Kleinen Online-Anbietern soll es durch eine Vereinfachung der Mehrwertsteuervorschriften leichter gemacht werden, im EU-Ausland tätig zu werden. Ziel ist zudem ein Ausbau von Breitbandnetzen. Hier will die EU jedoch nicht selbst Geld in die Hand nehmen, sondern vielmehr Anreize für Investoren schaffen. Geplant sei eine europäische Initiative zum „freien Datenfluss“, um den freien Datenverkehr in der EU voranzutreiben. Die Kommission wird ferner eine europäische Cloud-Initiative vorstellen, in der es um die Zertifizierung von Cloud-Diensten, die Möglichkeit des Wechsels des Cloud-Diensteanbieters und um eine Forschungs-Cloud gehen wird.
Untersuchung von Online-Plattformen
Einen kritischen Blick will die Kommission auf Online-Plattformen, wie Soziale Netzwerke, Suchmaschinen oder App-Stores werfen und „die mangelnde Transparenz bei Suchergebnissen und in der Preispolitik“ sowie die Nutzung der von diesen gesammelten Daten „analysieren“. Laut dem Vizepräsidenten Ansip sei die Strategie erst der Anfang, nicht das Ziel. Konkrete Ergebnisse will die Kommission Ende 2016 vorlegen, auch beim kommenden EU-Gipfel im Juni soll über die Strategie des digitalen Binnenmarkts beraten werden.
Kritik an der Strategie kam von der Bürgerrechtsorganisation EDRi, die der Kommission vorwirft, nicht visionär tätig zu sein und in ihre Führer-Rolle in der EU einzunehmen, sondern mit Regulierungen und Vorschlägen hinterherzuhinken.
Wichtige Baustellen wie die EU-Datenschutzreform oder das Telekom-Paket würden weitgehend durch EU-Mitgliedsstaaten blockiert. Journalisten stellten bei der Pressekonferenz gar die Frage: „Wie sollen wir Ihnen dann bei dieser Strategie vertrauen können?“ „Das ist keine Frage des Vertrauens, sondern die einer komplexen Arbeitsstruktur“, so Oettinger. „Wir gehen davon aus, dass es zu Fragen wir der Definition von Netzneutralität bald eine sinnvolle Entscheidung zwischen Parlament und Rat geben wird. Auch hier streben wir eine verbindliche Lösung an“, fügt der Digitalkommissar hinzu.
"Aus den Schatten treten"
"Unserer Ansicht nach sollte Europa nicht in die "Defensive" gegenüber anderen "global Playern" gehen, sondern überlegen, wo können wir in Europa zusammenarbeiten, um endlich aus dem Schatten der Innovationsleader herauszutreten und wieder die Innovationsführerschaft (so wie in der Vergangeheit bei Mobiltelefonen oder Mobilfunkstandards) zu übernehmen", sagte Maximilian Schubert, Generalsekretär der Internet Service Providers Austria (ISPA), in einer ersten Reaktion.
"Wir hätten uns auch ein klares Statement in Richtung der kleinen und mittleren Provider erhofft, die den Markt in Europa in wirtschaftlicher wie auch technischer Hinsicht in den letzten Jahren nicht nur intensiv belebt und damit für Wettbewerb gesorgt haben, sondern darüber hinaus Garant dafür sind, dass auch jedem Start-up oder noch so kleinem Unternehmen genau jenes maßgeschneiderte Produkt angeboten werden kann, das es benötigt."
"Roaming für Netflix"
Die EU-Abgeordnete Julia Reda von der Piratenpartei hält die Strategie der EU-Kommission für nicht ausreichend. „Statt die diskriminierende Praxis des Geoblocking abzuschaffen, entsprechen die Pläne der Kommission lediglich ‘Roaming für Netflix‘. Häufig, wenn Menschen im Internet auf die Fehlermeldung stoßen, ‚dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar‘, handelt es sich um Werke, die durch Werbung oder öffentliche Mittel finanziert sind. Da sich die konkreten Maßnahmen im Strategiepapier jedoch ausschließlich auf bezahlte Inhalte beziehen, wird Geoblocking weiterhin ein alltägliches Ärgernis für Europäer bleiben."
Zustimmung zur Strategie der EU-Kommission gab es hingegen von der ÖVP-Technologiesprecherin Eva Maria Himmelbauer. „Mit der Förderung eines digitalen Binnenmarktes können auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden" so Himmelbauer. Natürlich müsse dabei auch geprüft werden, was eine derartige Öffnung beispielsweise für die Filmwirtschaft oder kleinere Unternehmen bedeutet, unterstrich die Abgeordnete.
Die Internetoffensive Österreich sieht in der Strategie einen Vorstoß für die Europäisierung des Gesetzesrahmens für Telekommunikationsunternehmen. „Eine fortschrittliche Infrastruktur stellt die Voraussetzung für erfolgreiche nationale IKT-Strategien dar. Gesellschaftliche Anliegen wie e-health, IKT-Bildung oder die Digitalisierung von Kulturgütern können mit einem flächendeckenden Breitbandausbau auch dünn besiedelte Regionen erreichen und in Folge Wachstum und Wohlstand sicherstellen", erklärt Andreas Bierwirth, CEO von T-Mobile Austria. Um die Initiativen der EU-Kommission nun rasch umsetzen zu können, fordern die Telekommunikationsunternehmen eine rasche gesetzliche Lösung, wie Hannes Ametsreiter, CEO der Telekom Austria Group, erklärt.
Online-Plattformen
In der EU dürften vor allem die großen Online-Player aus den USA ins Visier geraten. Die wachsende Marktmacht einiger Plattformen bereite Sorgen, heißt es in dem Papier der Kommission. Nach welchen Kriterien genau die Plattformen bewertet werden sollen, bleibt dabei aber offen. Die Prüfung soll über Wettbewerbsregeln hinausgehen. Laut internen Dokumenten ist eine Sorgfaltspflicht für Online-Dienste geplant, bei denen Plattformbetreiber oder Anbieter von Internet-Services gezwungen werden, von Nutzern hochgeladene Inhalte auf ihre Legalität zu prüfen. Provider fühlen sich durch derartige "Vorsorgepflichten" oder zur "Pflicht zur angemessenen Sorgfalt" in eine Richterolle gedrängt.
Netzsperren und Urheberrecht
Im Gegenzug zur Lockerung beim Geoblocking (wie genau diese aussehen soll, wird erst erarbeitet) stellte man Inhalte-Anbietern Verschärfungen beim Urheberrecht in Aussicht. Die EU-Kommission will beispielsweise prüfen, wie am besten gegen illegale Inhalte im Internet vorgegangen werden kann. In diesem Zusammenhang ist der grenzüberschreitenden Verfolgung von Urheberrechtsvergehen ebenso die Rede wie von Netzsperren nach Vorbild des umstrittenen „Porno-Filters“ in Großbritannien. Speziell im Bereich des Urheberrechts wird es einer größeren Rechtsanstrengung bedürfen, um im globalen Wettbewerb an die Spitze zu kommen und das Urheberrecht zu harmonisieren.
WhatsApp-Regulierung
Für Telekom-Firmen und Online-Dienste sollen gleiche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Telekom-Unternehmen beklagen sich seit Jahren, dass Internet-Firmen wie WhatsApp oder Skype konkurrierende Dienste wie Sprachtelefonie oder Kurznachrichten anbieten könnten - aber nicht von Regulierung betroffen seien. Sie fordern deshalb schon lange ein Gleichbehandlung: Für alle müssten entweder die strikten Vorschriften gelten - oder eine lasche Regulierung.
Datenportabilität zwischen Diensten
Die fehlende Möglichkeit, Daten zwischen verschiedenen Services zu übertragen, wird in dem EU-Papier als Hürde für einen grenzüberschreitenden Datenfluss und die Entwicklung neuer Dienste genannt. Unklar bleibt aber, was genau passieren soll, um das zu ändern und wie weit die Kommission dabei gehen will. Wird nur gemeint sein, dass Kunden von Cloud-Diensten problemlos ihre Daten zu einem anderen Dienstleister verlagern können müssen? Oder könnten zum Beispiel auch Streaming-Musikdienste verpflichtet werden, den Nutzern die Möglichkeit zu gewähren, Playlisten nahtlos zu einem anderen Anbieter mitnehmen zu können? Für viele Online-Anbieter sind gerade die Daten, die für einen besseren Service ausgewertet werden können, ein wertvoller Teil des Geschäftsmodells.
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