Massenüberwachung des Reiseverkehrs in der EU beschlossen
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Die Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten in Europa wurde nach mehr als fünf Jahren Verhandlungen und Verzögerungen nun am Donnerstag vom EU-Parlament beschlossen. Sie soll bei der Terrorismusbekämpfung helfen. Die Richtlinie verpflichtet Mitgliedstaaten dazu, bei allen Flügen aus der und in die EU pro Passagier und Flugbuchung bis zu 60 Einzeldaten für jeweils fünf Jahre in zentralisierten Datenbanken zu speichern.
In einer zentralisierten Datenbank gespeichert werden neben Name, Adresse, Sitzplatz und Flugnummer unter anderem auch Angaben zu den Essenspräferenzen, welche Rückschlüsse auf sensible Informationen wie etwa die Religionszugehörigkeit erlauben. Auch Vorgänge rund um die Flugbuchung wie Hotels oder Mietautos sowie Kreditkarteninformationen werden gespeichert.
Problematische Speicherung
Als besonders heikel können sich auch Einträge in ein vorgesehenes Freifeld auswirken, in welchem Airline-Mitarbeiter ungeprüft eigene Beobachtungen oder Einschätzungen über die Fluggäste vermerken können, wie etwa, ob sie ein Buch über Cannabis mitführen oder ob sie einen Apfel gegessen haben (das ist Reisenden wirklich passiert, Näheres dazu im Vortrag der Redakteurin zu EU-PNR).
Die gespeicherten Informationen werden dann permanent automatisiert gerastert und mit anderen Datenbanken abgeglichen, um sogenannte „problematische Verhaltensmuster“ aufzudecken und aktiv neue Verdächtige zu generieren. Die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten dürfen die Daten untereinander sowie mit Europol austauschen.
Zahlreiche Abgeordnete dagegen
Im Europaparlament hatten sich vor allem Linke, Liberale und Grüne jahrelang gegen die Massenspeicherung von Fluggastdaten ausgesprochen. Auch die österreichische SPÖ-Fraktion stimmte aber gegen die anlasslose Massenspeicherung.
Die „sinnlose pauschale Überwachung von Bürgern“ bringe nicht mehr Sicherheit, sagte der deutsche Grüne Jan Philipp Albrecht. „Solange die europäischen Staaten nicht endlich beginnen, die bestehenden Daten untereinander auszutauschen, bringt eine zusätzlich eingeführte Maßnahme wie die Fluggastdatenspeicherung überhaupt nichts - außer, dass wir einen Schritt weiter in Richtung gläserner Mensch gehen“, hieß es auch von der NEOS-Europaabgeordneten Angelika Mlinar.
„Die heute vom Europäischen Parlament beschlossene Richtlinie zur anlasslosen Analyse und Speicherung von Fluggastdaten ist ein teurer Placebo und der falsche Weg zur Terrorbekämpfung", sagt auch Ulrike Lunacek.
Innenminister machten Druck
Die EU-Innenminister einigten sich nach dem zweiten Terrorattentat in Paris im November 2015 auf eine rasche Verabschiedung der EU-Richtlinie, die für Februar 2016 anvisiert war. Dann gab es jedoch Verzögerungen, die offiziell mit „Übersetzungsproblemen“ begründet wurden. Jetzt fanden vor knapp drei Wochen die Terroranschläge in Brüssel statt – und prompt wurde die Fluggastdatenspeicherung auf die Liste zur Abstimmung gesetzt und jetzt trotz zahlreicher Kritik beschlossen.
Verfassungswidrig?
Kritik hierzu kommt auch von Bürgerrechtsorganisationen wie der Digitalen Gesellschaft. Laut der Ansicht der Digitalen Gesellschaft könnte die Fluggastdatenspeicherung verfassungswidrig sein. Bei der Fluggasdatenspeicherung ist gerade ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) am Laufen. Dem EuGH wurde das Fluggastdaten-Abkommen zwischen EU und Kanada vorgelegt, weil es grundrechtswidrig sein soll.
Die Anhörung dazu fand bereits statt, ein Urteil wird noch vor dem Sommer erwartet. Die Fluggastdatenspeicherung in Europa soll relativ identisch sein. Statt den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten wurde nun nur drei Wochen nach dem jüngsten Terrorattentat die Richtlinie beschlossen.
"Weg ins überwachte Europa"
„Mit der Richtlinie zur Fluggastdatenspeicherung hat das EU-Parlament den Weg in ein komplett überwachtes Europa geebnet. Tatsächlich fehlen bis heute jegliche Belege und Indizien für die Wirksamkeit anlassloser Massenüberwachung bei der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität.“, erklärt Alexander Sander, Hauptgeschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft.
Seit Jahresbeginn läuft bereits ein erstes Pilotprojekt in sieben europäischen Ländern zur Umsetzung der Datenbank zur Fluggastdatenspeicherung (PNRDEP). Das Pilotprojekt steht unter der Schirmherrschaft des ungarischen Innenministeriums. Laut futurezone-Anfrage ist das österreichische Innenministerium an dem aktuellen Pilotprojekt zur Umsetzung der Richtlinie nicht beteiligt und hat eine Beteiligung auch in "naher Zukunft" nicht vor. Im Jahr 2014 floss allerdings auch nach Österreich bereits Geld für die Erprobung eines Systems.
Nach der Zustimmung des Parlaments muss nun der Rat die Richtlinie absegnen. Die EU-Staaten haben anschließend zwei Jahre Zeit, um die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.
Kommentare