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Domainbehörde

Nic.at: "Wollen nicht Internetpolizei spielen"

//FUTUREZONE: Seit Jahren warnen Internetexperten davor, dass das Netz durch das veraltete IPv4-Protokoll an seine Grenzen stößt. Berichten zufolge könnten die letzten IP-Adressen schon in den nächsten Tagen vergeben sein. Wo stehen wir heute?


Wein: Dass die IPv4-Adressen bald aufgebraucht sind, ist kein Geheimnis. Da die Umstellung auf den neuen IPv6-Standard noch einige Zeit dauern wird, gehe ich davon aus, dass uns ein Handel mit IP-Adressen bevorsteht bzw. man unter Umständen auf frei werdende Adressen warten muss.

//Was müssen Unternehmen bzw. Privatkunden beachten?

Der größte Teil der Verantwortung liegt natürlich bei den Internet Service Providern, Dienstleistern und Hardware-Herstellern. Unternehmen müssen bei der Wahl ihres Providers sowie bei Hardware-Neuanschaffungen aber auf jeden Fall darauf achten, dass diese IPv6-fähig sind. Im Endkonsumenten-Bereich gilt dasselbe etwa für Router.

//Erwarten Sie einen reibungslosen Umstieg?

Da viele Access Points noch lange nicht IPv6-fähig sind, wird es ebenso lange auch einen Parallelbetrieb geben. Wenn alles gut geht, sollten Anwender vom technischen Wechsel im Hintergrund eigentlich nichts mitbekommen. Bleiben Datenpakete auf ihrem Weg durchs Web hängen - etwa durch mangelnde IPv6-Unterstützung - kann dies zur Nichterreichbarkeit von Webseiten oder Mailproblemen führen.

//Durch die Verlagerung politisch brisanter Diskussionen ins Netz - Stichwort Wikileaks - rückt die in den USA angesiedelte oberste Domainorganisation ICANN wieder stärker in den Fokus. Wie gefährlich ist deren zentrale Machtposition?

Ich sehe derzeit keine Alternative zur ICANN, die in den vergangenen Jahren sicherlich viel dazugelernt hat. Bei allen Vorbehalten muss man aber auch festhalten: Es gibt nichts Stabileres als das Internet. Das haben Extremereignisse wie der 11. September oder die Naturkatastrophe in Haiti bewiesen. Als kommunikationstechnisch dort nichts mehr ging, funktionierte das Internet immer noch. Das ist für ein Experiment, das bis heute im Grunde ohne fixen Regeln auskommt, bemerkenswert.

//Dennoch werden auch nationale Domainbehörden in Zukunft wohl öfter zwischen die Fronten geraten, gerade wenn es um brisante Inhalte auf Seiten wie Wikileaks geht.

Das Prüfen und Beurteilen von Webseiten-Inhalten kann und soll nicht unser Thema sein. Keine Domainbehörde der Welt, sei es der .com-, .net- oder .at-Registrar wird eine Seite wegen unbequemen Inhalten abdrehen. Bei Wikileaks fanden diese Entscheidungen ebenfalls eine Ebene tiefer statt - nämlich bei den Providern, die Wikileaks ursprünglich gehostet haben. Liegen Gerichtsurteile vor, die das Sperren von Webseiten vorsehen, müssen aber auch wir handeln.

//Knapp ein Vierteljahrhundert nach den ersten Domainvergaben durch die Universität Wien wurde die magische Ein-Millionen-Grenze an .at-Domains erreicht. Was hat sich seit den Anfangstagen geändert?

Die Verwaltung von Domains war absolutes Neuland. Selbst Ende der 90er-Jahre bei der Gründung von nic.at waren viele technische, administrative und rechtliche Fragen noch ungelöst. Auch konnte die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit dem Begriff Domain überhaupt nichts anfangen. Das hat sich in den vergangenen Jahren stark geändert.

//Nic.at berichtet von Wachstumsraten von zehn bis 14 Prozent bei neuen Domainregistrierungen. Gleichzeitig vernachlässigen manche Leute ihre eigenen Webauftritte und verlagern ihre Internet-Aktivitäten auf Facebook oder Twitter. Wird der Trend zu eigenen Domains abflachen?

Gerade im privaten Bereich erfahren wir derzeit den größten Zuwachs an Domainregistrierungen. Etwa 50 Prozent aller .at-Domains sind in privater Hand. Da ist noch viel Potenzial vorhanden. Im geschäftlichen Bereich haben Unternehmen und Organisationen ohnehin längst verstanden, dass man einen professionellen Webauftritt und eine gute Domain braucht, um heute erfolgreich zu sein.

//Eine .at-Domain kostet mehr als internationale Domainendungen wie .com oder .net. Wie sinnvoll ist eine .at-Adresse im zunehmend globalisierten Web?

Der Preis spielt letztlich keine Rolle und wird keinen von einer .at-Domain abhalten. Darüber hinaus gilt: Je globaler das Netz, desto wichtiger wird das Regionale und Lokale. Gerade für hier tätige Unternehmen ist es sicher kein Nachteil, dass die .at-Endung mit Österreich assoziiert wird. Durch geplante Top-Level-Domains wie .wien, .graz, oder .salzburg entstehen hier zusätzliche Möglichkeiten.

//Experimentelle TLDs wie .mobi oder .tel haben sich bisher aber ebenso erfolglos erwiesen wie die ursprünglich für Unternehmen und Organisationen vorgesehenen .co.at und .or.at. Ist die Einführung sinnvoll?

Ich denke schon, dass gerade regional geprägte TLDs ihre Berechtigung haben, auch wenn das bei den Usern zunächst wohl für Verwirrung sorgen wird und für große Markenverbände einen Mehraufwand bedeutet. Dass .mobi und .tel grandios gescheitert sind, steht außer Frage. Die für die Webdarstellung auf Mobiltelefonen vorgesehen .mobi-Endung war keine schlechte Idee, ist heute aber technisch gesehen obsolet. Bei .co.at und .or.at wiederum handelt es sich um ein rein historisches Anhängsel, da man sich zu den Anfangszeiten des Webs in Österreich am englischen System orientierte.

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(Martin Stepanek)


Über IPv6
Unter IPv6 versteht man das neue Internetprotokoll, das den Vorgänger IPv4 ablösen wird. Es sorgt dafür, dass jedes internetfähige Gerät mit einer IP-Adresse ausgestattet wird, welche zur Kommunikation mit dem Netz benötigt wird. Durch die 32-Bit-Struktur von IPv4 sind die maximal zu vergebenden Adressen auf eine Anzahl von knapp 4,3 Milliarden (2^32) beschränkt. Schon in den kommenden Tagen und Wochen soll dieser Vorrat aufgebraucht sein. IPv6 schafft durch seine 128-Bit-Struktur hingegen einen Pool von 340 Sextillionen IP-Adressen (2^128). Jedes Gerät könnte damit zukünftig statt einer variablen eine fixe IP-Adresse bekommen. Das stößt bei Datenschützern auf Kritik. Denn durch fixe IP-Adressen lassen sich leichter Nutzungsprofile einer Person anlegen.
Über ICANN
Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) verantwortet grundlegende Entscheidungen hinsichtlich der Verwaltung von Top-Level-Domains sowie technischen Fragen rund um das Internet. Formal ist sie als privatrechtliche Non-Profit-Organisation geführt. Aufgrund ihres Sitzes in den USA unterliegt die ICANN amerikanischem Recht. Kritiker, aber auch Nationen wie China werfen der ICANN eine zu starke Beeinflussung durch US-Behörden vor.
Über nic.at
Nic.at ist die offizielle Registrierungsstelle für alle Domains mit den Endungen .at, .co.at und .or.at. Sie wurde 1998 von der ISPA (Verein der österreichischen Internet-Provider) gegründet und übernahm damit sämtliche Verwaltungsaufgaben von der Universität Wien, die seit 1988 die Registrierung von .at-Domains abwickelte. Die Registrierungsstelle wird als GmbH geführt. Als Gesellschafter fungiert die Internet Foundation Austria (IPA), die wiederum von der ISPA als gemeinnützige Österreichische Stiftung gegründet wurde.

Homepage nic.at
ISPA

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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