re:publica: Das Internet ist kein Fernseher
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Bereits am Montagmorgen war die Station Berlin gut gefüllt. Kurz vor zehn Uhr drängten sich bereits einige hundert Leute auf dem Gelände des früheren Bahnhofs in Berlin, wo noch bis Mittwoch die re:publica stattfindet. Rund 5000 Besucher werden bei der Internet-Konferenz, die bereits zum siebenten Mal stattfindet, erwartet. Zum Auftakt appellierten die Veranstalter an die EU-Kommisson und die deutsche Bundesregierung die Gleichbehandung aller Daten, also die Netzneutralität, gesetzlich festzuschreiben. Grund dafür ist die kurzem erfolgte
"Die Telekom will Teile des Netzes Fernsehen nennen", kritisierte Netzpolitik.org-Blogger und re:publica-Mitveranstalter Markus Beckedahl: "Wir sind diejenigen, die zuerst betroffen sind." Start-ups, Blogs und Podcasts könnten sich solche Gebühren nicht leisten. Jetz sei es Zeit zu handeln, um zu verhindern, dass die Telekom ein Internet zweiter Klasse einführe. Auch Tanja Haeusler vom Veranstalterteam rief die Besucher der re:publica auf, gegen die Pläne der Deutschen Telekom zu protestieren und - gemäß dem Motto der Konferenz In/Side/Out - nach draußen zu gehen. "Wir müssen dem Internet den Schutz zukommen lassen, der ihm als Lebens- und Kulturraum gebührt."
"Aus Gesetzen werden Nutzungsbedingungen"
Joe McNamee, Direktor von European Digital Rights (EDRI), einer Dachorganisation von europäischen Bürgerrechts- und Konsumentenschutzvereinigungen, warnte bei seinem Vortrag davor, dass die Politik sich zunehmend vom Schutz fundamentaler Rechte verabschiede und die Regulierung dessen, was im Netz erlaubt sei und was nicht, privaten Unternehmen überlasse. "Aus Gesetzen werden Nutzungsbedingungen."
Den Boden dazu haben laut McNamee Unternehmen wie Facebook aufbereitet, das etwa keine weiblichen Brustwarzen auf seinen Seiten dulde. "Diese Unternehmen geben sich mit Geschäftsbedingungen selbst das Recht als Zensoren zu fungieren", warnte McNamee. Die Politik akzeptiere das nicht nur, sondern versuche, sich diese Tendenz auch zu Nutze zu machen.
"Meinungfreiheit von privaten Unternehmen unterminiert"
In dem letztlich in der EU gescheiterten Handelsabkommen ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) sei eine solche Privatisierung der Rechtsdurchsetzung ebenso zu finden gewesen, wie in dem US-Gesetzesentwurf SOPA (Stop Online Piracy Act). Auch das von der EU-Kommission unterstützte umstrittenen Projekt Clean-IT sei in diesem Zusammenhang zu sehen. Es dürfe nicht akzeptiert werden, dass die Meinungsfreiheit durch private Unternehmen unterminiert werde, warnte McNamee.
"Gesetze sollen von den Leuten gemacht werden"
"Wir leben in einer kritischen Zeit, wenn es darum geht, Gesetze zu entwerfen, um digitale Rechte durchzusetzen", meinte die isländische Parlamentarierin Birgitta Jónsdóttir. Sie erzählte auf der re:publica über den vorerst gescheiterten Versuch in Island eine von den Bürgern geschriebene Verfassung durchzusetzen, in der unter anderem eine umfassende Informationsfreiheit, ein Recht auf Internet und Schutz für Whistleblower vorgesehen waren.
In Island sei die Chance auf eine neue Verfassung nach dem Bankenkollaps im Jahr 2008 groß gewesen, blickte Jónsdóttir, die der Piratenpartei angehört, zurück. "Wir waren leider nicht schnell genug." Nachdem Ende April die linksgerichtete Regierung abgewählt wurde, liege das Projekt vorerst im Koma, meinte die Parlamentarierin.
Eine Verfassung, aber auch Gesetze seien nichts anderes als eine soziale Vereinbarung, wie eine Gesellschaft funktionieren solle, sagte Jónsdóttir: Deshalb sollten sie auch von Leuten gemacht und diskutiert werden. "Viele scheinen zu vergessen, dass es Arbeit ist, in einer freien Demokratie zu leben", meinte die isländische Parlamentarierin: "Es erfordert jeden Tag unsere Aufmerksamkeit."
"Wir sind am Beginn einer Datenexplosion"
"Wir sind am Beginn einer Datenexplosion", sagte Mozilla-Chefin Mitchell Baker bei ihrem Vortrag am Nachmittag: Das betreffe sowohl Daten, die von Nutzern generiert würden, als auch Daten die über sie gesammelt würden. Das Internet berühre mittlerweile alle Bereiche unseres Lebens. Vertrauen sei in einem solchen Zusammenhang zentral.
"Basis für vertrauenswürdige Netzwerke sind Offenheit und Transparenz", so Baker. Mozilla versuche mit seinen Produkten diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Quellcodes der Mozilla-Software könnten von jedem eingesehen werden. Mozilla versuche den Nutzern Wahlmöglichkeiten zu geben und sie zur Mitwirkung zu bewegen. Das klinge einfach, sei aber nicht immer leicht, meinte Baker: "Als Mozilla vor 15 Jahren begann, war Offenheit eine seltsame Idee." Mozilla habe daran geglaubt, dass Leute zusammenarbeiten wollen und dabei auch andere Motivationen verfolgen würden als Geld.
"Offenheit und Vertrauen sind ein laufender Prozess"
Offenheit und Vertrauen seien ein laufender Prozess. Entscheidungen, die heute getroffen würden, könnten in zwei Jahren veraltet sein und müssten laufend adaptiert werden. Mozilla mache dies sehr offen und wirke dabei vielleicht manchmal auch chaotisch. Als Beispiel nannte sie die für die Version 22 des Mozilla-Browsers Firefox vorgesehene Möglichkeit, dass Nutzer Cookies von Drittanbietern blockieren können. "Wir wollen das testen und laden jeden ein, dabei mitzumachen", sagte Baker.
Mit dem neuen mobilen Betriebssystem Firefox OS versuche Mozilla, Vertrauen in den mobilen Bereich zu bringen. "Als wir Firefox OS auf einer Entwickler-Mailingliste ankündigten haben, waren die Reaktionen überwältigend." Mit dem mobilen Betriebssystem wolle Mozilla herausfinden, was Offenheit im mobilen Bereich bedeuten könnte. "Wir haben eine Vision, aber wir wissen noch nicht, wie sich Firefox OS im Detail entwickeln wird."
"Twittern im Dunkeln"
Wie es in Ländern aussieht, in denen der Internet-Zugang eingeschränkt und Inhalte zensiert werden, veranschaulichte die kubanische Bloggerin Yoani Sanchez. Auf ihrem 2007 gestarteten Blog Generation Y erzählt Sanchez, die auch Kolumnen für die Berliner "taz" und die Huffington Post schreibt, Geschichten über kubanischen Alltag. "Wie man das Internet nutzt, ohne ein Internet zu haben", gibt sie im Rahmen einer Blogging-Akademie auch an ihre Mitbürger weiter.
Private Internetanschlüsse seien in Kuba Regierungsmitarbeitern vorbehalten. Normalsterbliche könnten aber von überteuerten Leitungen in Hotels auf des Netz zugreifen. Für eine Stunde würden dabei sechs bis zwölf Dollar anfallen, so Sanchez. Das monatliche Durchschnittseinkommen liege bei umgerechnet 20 Dollar. Ihre Blog-Postings schreibt die Bloggerin, der auch schon vorgeworfen wurde, für die CIA zu arbeiten, deshalb offline und speichert sie auf einem USB-Stick, um sie alle sechs bis zehn Tage über Hotelleitungen zu veröffentlichen. Einfacher sei es Meldungen über Twitter zu posten, sagte Sanchez. Das funktioniere mithilfe spezieller Dienste auch über SMS. Man könne dann die Tweets zwar selbst nicht sehen und auch nicht auf Nachrichten antworten, aber man könne sie immerhin veröffentlichen. "Wir nennen das Twittern im Dunklen."
"Blogs helfen Schweigen und Zensur zu durchbrechen"
In Kuba sei der Zugang zum Internet schwierig, das Netz selbst sei langsam. Kommunikation und Informationen würden vom Staat kontrolliert. Die Zahl unabhängiger Bloggerin halte sich in Grenzen. Insgesamt seien es wohl nicht mehr als 200, meint Sanchez. Die Leute hätten ein starkes Bedürfnis nach Informationen, die ihnen von der Zensur vorenthalten würden. Auf Märkten könnten etwa USB-Sticks mit solchen Informationen erstanden werden. Viele Kubaner würden von Freunden auch aus dem Ausland via SMS mit Nachrichten über das Land versorgt. Nicht selten seien auch ihre Blog-Postings Gegenstand solcher Kurznachrichten, sagte Sanchez: "Blogs können in Kuba dazu beitragen, das Leben der Bürger zu verändern. Sie helfen dabei das Schweigen und die Zensur zu durchbrechen."
Vorträge als E-Book
Auf der re:publica geht es am Dienstag unter anderem mit einer Diskussion über die Netzneutralität und Vorträgen über Roboter-Ethik und Cyborgs weiter. Vorträge auf der Konferenz können von Daheimgebliebenen nicht nur über einen Live-Stream auf der Website verfolgt werden. Erstmals werden sie tageweise auch in E-Book-Form zusammengefasst. Das "schnellste E-Book der Welt" soll jeweils bis zum Mittag des nächsten Tages zum kostenlosen Download bereitstehen.
- re:publica: Digitale Gesellschaft im Wandel
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