"Technologie fördert Gier statt Bedürfnisse"
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Hier eine neue Digitalkamera, dort ein neues Smartphone, nebenan eine Spielekonsole: Elektronikprodukte und Gadgets stehen auf der Geschenkeliste zu Weihnachten meist ganz oben. Sie landen schön verpackt unter dem Weihnachtsbaum und lassen Herzen für kurze Zeit höher schlagen. Doch braucht man wirklich jedes Jahr eine neue Kamera mit noch mehr Megapixel, ein Handy mit noch mehr Speicherplatz, oder die Konsole der jüngsten Generation? Sind wir alle nicht einfach zu verwöhnt, süchtig nach Luxus?
Ernest Braun, einer der ersten europäischen Forscher für die Abschätzung von Technikfolgen, schrieb zu diesem Thema ein Buch namens "From Need to Greed". Darin kritisiert Braun, dass Technologiehersteller heute nur noch Produkte auf den Markt bringen, die aus reiner Profitgier entstanden sind, und nicht aufgrund von tatsächlichen menschlichen Bedürfnissen. Auf der anderen Seite stehen die Konsumenten, die Produkte nicht mehr kaufen, weil sie wirklich gebraucht werden, sondern um ihr Verlangen nach Luxus zu stillen. Nur das Neueste zählt.
Ein Beispiel für diese Theorie sind etwa Handyhersteller. Smartphones, die ein Jahr alt sind, laufen meist mit alten Software-Versionen. Doch statt diese einfach upzudaten, setzen Hersteller auf neue Geräte mit leicht verbesserter Technologie. Doch auch bei Produkten wie Flat-TVs lassen sich Hersteller immer neue Tricks einfallen, 2010 war es der künstlich generierte Hype um 3-D. Die FUTUREZONE sprach mit Ernest Braun über diese Problematik.
FUTUREZONE: Herr Braun, mit welchem Beispiel würden Sie selbst ihre Kritik unterstreichen?
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Braun: Mit Handys. Ein modernes Handy kann zwar fotografieren, aber bei starkem Sonnenschein ist das verspiegelte Display unbrauchbar. Das Hauptproblem ist, dass man als Konsument ständig unter Kaufzwang ist. Mit veralteten Geräten will man heutzutage gar nicht mehr gesehen werden.
FUTUREZONE: Das ganze ist allerdings eine Spirale. Die Hersteller produzieren, die Konsumenten kaufen. Solange dies so weitergeht, wird sich daran nichts ändern lassen. Wo sehen Sie persönlich einen Ausweg?
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Braun: Es gibt kaum Auswege, außer man zieht dem Kapitalismus die Zähne. Bei neuen Technologien wird einfach ständig versucht, Geld zu verdienen und den bestmöglichen Profit rauszuholen. Daran ist das System schuld, in dem wir leben.
Doch man kann Technologie auch sinnvoll einsetzen, in dem wir die Umwelttechnik verbessern, intelligente Autos bauen, den Energieverbrauch reduzieren. Doch die Umwelt hat keinen Vertreter, sowie die milliardenschweren Konzerne, daher wird sie auch unzureichend geschützt. Zu begrüßen wären auch Technologien, die die Menschen zusammenbringen.
FUTUREZONE: Technologien sowie das Internet?
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Braun: Nein. Im Internet kommuniziert man zwar miteinander, aber es gibt keine persönlichen Beziehungen. Video-Chats per Skype sind beispielsweise ein schwacher Ersatz für einen persönlichen Kontakt. Man kann sich leichter aus der Affäre ziehen. Außerdem fehlt das menschliche Miteinander - in Familien gibt es ja oft Streit, aber auch ein großes Zugehörigkeitsgefühl. Das hat sich durch die Entwicklung des Internets alles stark verändert.
FUTUREZONE: Das heißt, Sie nutzen das Internet nur aus einem Zwang heraus?
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Braun: Ja, weil es die moderne Gesellschaft verlangt. Ansonsten hätte es mich wenig interessiert. Ich buche etwa Flüge übers Internet, weil diese offline gar nicht mehr angeboten werden. Ich würde allerdings viel lieber in ein Reisebüro gehen, im Netz ist alles mühsam.
Aber natürlich ist das Internet eine wichtige Technologie, eine Erweiterung des Computers. Allerdings ist es viel zu unsicher und es gibt zu viel Kriminalität im Netz. Man müsste es sicherer machen, etwa durch eine bessere Verschlüsselung der Kommunikation. Eigentlich müsste man das Internet neu erfinden, um es zu verbessern.
FUTUREZONE: Was waren Ihrer Meinung nach bahnbrechende Technologien?
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Braun: Die Eisenbahn oder die Dampfmaschine. Man kann hier nicht nach Wichtigkeit unterscheiden. Die Technologien sind damals vor allem entstanden, um das Überleben der Menschen zu ermöglichen. Dann kam die Landwirtschaft und damit das Streben nach Besitz.
FUTUREZONE: In Ihrem Buch stellen Sie den Lesern die Frage, wohin sie reisen würden, wenn sie eine Zeitmaschine hätten. Wohin würden Sie reisen?
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Braun: Ich würde mit einer Zeitmaschine in die 1960er- und 70er-Jahre zurückreisen. Das war eine sehr optimistische Zeit. Es war das Zeitalter der Festkörper-Elektronik und der Physik. Man hat moderne Elektronik geschaffen und zwar das, was man heutzutage unter dem Begriff Chips zusammenfasst. Man hat aber auch an einen sozialen und nicht nur an einen technologischen Fortschritt geglaubt.
(Barbara Wimmer)
Über Ernest Braun:
Der in Tschechien geborene 85-jährige Ernst Braun ist Technikforscher, der nach seiner langjährigen Forschertätigkeit in England wieder in Österreich lebt. Er gilt als einer der ersten europäischen Technikfolgenabschätzer und war 1987 der Initiator und Begründer der Technikfolgenabschätzung in Österreich.
Der studierte Physiker gründete in den 1970er-Jahren in England eine Forschungsgruppe zum Thema Technologiepolitik. Viele seiner Studenten sind heute Professoren an hochrangigen britischen Universitäten. Ab 1988 leitete er in Wien die neu gegründete Forschungsstelle für Technikbewertung (FTB), die 1994 zum Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) wurde.
Link:
Über "From Need to Greed":
Mit dem als "Resultat vieler Jahre des Nachdenkens" entstandenem Buch "From Need to Greed" wirft Ernest Braun einen "keineswegs technikfeindlichen, aber kritischen Blick" auf die Ambivalenz zwischen Technologie als Hilfe und Bedrohung der Menschheit.
Braun hat dazu einen sehr historischen Ansatz gewählt, der in der Steinzeit beginnt und über die Dampfmaschine, die Informationsrevolution bis zur Jetztzeit führt. Braun adressiert dabei vor allem Laien, die sich einen Überblick über die Technikgeschichte verschaffen wollen. Das Buch, erschienen im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ist seit Oktober 2010 für 39 Euro im Handel erhältlich.
Link:
Buchankündigung der österreichische Akademie der Wissenschaften
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