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Politik

"Urheberrecht wird von Lobbyisten bestimmt"

futurezone: In Frankreich ist seit 2010 das "Hadopi-Gesetz" in Kraft, das vorsieht, dass Leute, die der wiederholten Urheberrechtsverletzung in Online-Tauschbörsen verdächtigt werden, der Zugang zum Internet gekappt wird. Sie haben dieses Gesetz heftig bekämpft. Welche Auswirkungen sehen SIe bislang auf die Internet-Nutzung und die Nutzung von Filesharing-Netzwerken?
Jérémie Zimmermann:
Das ist schwer zu sagen, denn es gibt keine offiziellen Studien dazu. Derzeit werden E-Mails verschickt, in denen Leute verwarnt werden. Es ist sehr chaotisch. Hadopi ist eine Art Vogelscheuche, die die Leute abschrecken soll. Es gibt sicherlich einige Leute, die sich durch Hadopi von der Nutzung von Filesharing-Netzwerken abhalten lassen und stattdessen direkte Downloads und Streaming-Dienste verwenden. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf das Ökosystem des Internet. Peer-to-Peer-Filesharing ist eine sehr ressourcenschonende Anwendung, weil die Kapazitäten aller Teilnehmer genutzt werden. Streaming und direkte Downloads beruhen hingegen auf einer stark zentralisierten Architektur. Hadopi macht den Leuten vor Filesharing Angst und das ist schlecht. Das Teilen in Filesharing-Netzwerken ist nichts wovor man Angst haben oder wofür man sich schämen sollte.

Die digitalen Technologien haben dazu geführt, dass die Anzahl der Leute, die mit dem Urheberrecht in Konflikt kommen, dramatisch zugenommen hat, weil sie urheberrechtlich Inhalte in Mash-ups oder Remixes wiederverwerten oder einfach Urlaubsvideos auf YouTube mit geschützter Musik hinterlegen. Der Gesetzgeber berücksichtigt diese neuen Praktiken jedoch kaum. Warum ist es so schwierig, das Urheberrecht so zu gestalten, dass es der Kreativität der Massen gerecht wird?
Der Hauptgrund dafür liegt wohl im Einfluss, den die Lobbyisten der Unterhaltungsindustrie auf die Politik ausüben. Sie sind sehr gut organisiert und verfügen über große Ressourcen. Stars können Politikern auch dabei helfen, wiedergewählt zu werden. Darüber hinaus haben sie ein leichtes Spiel, Politiker davon zu überzeugen, dass sich die Dinge nicht ändern sollen. Diese Art von Konservativismus und Protektionismus ist für Politiker sehr leicht zu verstehen. Die Anpassung des Urheberrechts an die neuen Realitäten scheitert auch daran, dass die politischen Entscheidungsträger mit neuen Technologien nichts anfangen können. Meistens sind das Leute, die über 50 Jahre alt sind, die keinen Bezug zum Internet und seinen kulturellen Praktiken haben.

Können Bürgerrechtsgruppen wie La Quadrature du Net gegen die Lobbyistenverbände bestehen?
Wir sehen uns nicht in einem Konkurrenzverhältnis zu den Lobbyisten. Wir sind Bürger, die für ihre Freiheiten eintreten, während die Lobbyisten Industrien repräsentieren und Partikularinteressen vertreten. Wir versuchen, die Gesetzgebungsprozesse verständlich zu machen und es so den Bürgern zu ermöglichen, für ihre Interessen einzutreten.

Dazu verfassen wir Dossiers zu wichtigen Themen und stellen Web-basierte Tools, wie etwa Political Memory bereit, über das EU-Parlamentarier kontaktiert und ihr Abstimmungsverhalten verfolgt werden kann. Wir versuchen die Gesetzgebungsprozesse zu dechiffrieren und schlagen Alarm, wenn es an der Zeit ist, zu handeln. Aber ohne die Beteiligung der Bürger ist unsere gesamte Arbeit wertlos.

Wie wichtig ist die Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit für netzpolitische Themen?
Ich glaube nicht, dass es eine europäische Öffentlichkeit gibt. Es ist wohl eher die Summe verschiedener Öffentlichkeiten, die von Bedeutung ist. Wir arbeiten in einem Netzwerk mit Organisationen in vielen europäischen Ländern, die unsere gemeinsamen Anliegen auf das jeweilige kulturelle Umfeld abstimmen und sich auf ihre Art zu Wort melden. Die Europäische Union hat das Motto "In Vielfalt geeint", das trifft auch auf uns zu. Nur durch die Beteiligung vieler verschiedener Gruppen können wir etwas verändern.

Im Europäischen Parlament wird voraussichtlich noch in diesem Jahr über das Anti-Piraterieabkommen ACTA abgestimmt. Das EU-Parlament hat bereits seine Zustimmung zu dem umstrittenen Abkommen signalisiert. Welche Folgen hat das für europäische Bürger und Internet-Anbieter?
ACTA erhöht vor allem den Druck auf die Internet-Anbieter. Nachdem die Urheberrechtsindustrie jahrelang Internet-Nutzer verklagt hat und mit Gesetzen, wie etwa Hadopi in Frankreich, den Staat zu ihrem Gehilfen zu machen, will sie nun die Internet-Unternehmen zur Durchsetzung ihrer Interessen einspannen.

ACTA führt neue straf- und zivilrechtliche Sanktionen ein, die die Internet-Anbieter stark unter Druck setzen. Sie müssen sich dazu verpflichten mit den Rechteinhabern zusammenzuarbeiten und Maßnahmen zu setzen, mit denen künftig Urheberrechtsverletzungen im Netz unterbunden werden können.  Das wird darauf hinauslaufen, dass die ISPs Inhalte filtern, Seiten blockieren oder die Zugänge zu bestimmten Diensten drosseln werden. Das ist extrem gefährlich.

Neben den Inhalten ist an ACTA vor allem die Art und Weise interessant, wie es zustandegekommen ist. Bei den Verhandlungen zu ACTA, wurden demokratische Prozesse umgangen und über ein so genanntes Handelabkommen Maßnahmen besschlossen, die grundlegende bürgerliche Freiheiten direkt berühren. Der gesamte Prozess zeigt, wie sorglos die Urheberrechtsindustrien mit der Demokratie umgehen. Das hat auch damit zu tun, dass diese Leute genau wissen, dass die Öffentlichkeit solche Maßnahmen in einem geregelten demokratischen Prozess niemals akzeptieren würde.

Auch die Netzneutralität, die Gleichbehandlung aller Datenpakete im Netz, ist in der EU derzeit in viel diskutiertes Thema. Die EU-Kommission vertraut vorerst weitgehend auf den Markt. Sie haben das wiederholt kritisiert. Braucht die Netzneutralität in Europa eine strenge gesetzliche Regelung?
Wir sind der Ansicht, dass die Netzneutralität gesetzlich geregelt werden soll, denn alles was bisher im europäischen Recht und im Recht der einzelnen Mitgliedsstaaten dazu existiert, ist unzureichend. Im Telekom-Paket werden die Anbieter lediglich zur Transparenz verpflichtet. Die für die Digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes hat gesagt, dass die Kunden ja zu Anbietern wechseln könnten, die die Netzneutralität respektieren und keine Dienste  blockieren oder drosseln.

Es ist aber in vielen europäischen Ländern so, dass es Absprachen unter den Anbietern gibt und Zugangsbeschränkungen bei allen Anbietern gleichermaßen zur Anwendung kommen. In Frankreich haben zum Beispiel alle Mobilfunkanbieter über lange Zeit den Zugang zu Skype oder anderen Internet-Telefoniediensten blockiert. Das ist wettbewerbsschädigendes Verhalten. Diese Beschränkungen sind ein Hindernis für die Freiheit der Kommunikation und darüber hinaus innovationsfeindlich.

Wir brauchen in der EU ein rechtliches Rahmenwerk, das es den Mitgliedsstaaten erlaubt, Anbieter streng zu bestrafen, wenn sie gegen die Prinzipien der Netzneutralität verstoßen und damit auch grundlegende Bürgerrechte missachten. Ich glaube nicht, dass die Telekommunikationsunternehmen die Netneutralität und die Prinzipien eines freien und offenen Internets ohne eine gesetzliche Regelung respektieren werden.

Jérémie Zimmermann hat die französische Bürgerrechtsinitiative La Quadrature Du Net mitgegründet, die für Rechte und Freiheiten von Bürgern im Internet eintritt und die Bürgerbeteiligung fördern will. Die vorwiegend aus Spenden finanzierte Initiative veröffentlicht Dossiers zu netzpolitischen Themen und stellt Werkzeuge zur aktiven Teilnahme an politischen Prozessen bereit.

Link:
La Quadrature Du Net

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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