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Diskussion

Vorratsdaten: "Keine Sternstunde der EU"

„Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht mit europäischen Grundrechten vereinbar", sagte Christoph Tschohl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte (BIM) zu Beginn der Diskussionsrunde zum Thema "Ist die Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig"?, die von der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG) gemeinsam mit dem Institut für Informatik der TU Wien organisiert wurde. 

Die Vorratsdatenspeicherung ist in Österreich seit 1. April in Kraft. Sämtliche Verbindungsdaten von Telefon, Handy, Internet und E-Mail müssen seitdem sechs Monate lang gespeichert werden. Tschohl hat einerseits am Entwurf der österreichischen Umsetzung mitgearbeitet, andererseits ist er für die juristische Ausarbeitung der Verfassungsklage vom AK Vorrat und des Grünen Abgeordneten Albert Steinhauser verantwortlich, die noch bis zum 18. Mai unterzeichnet werden kann.

"Haben versucht, die Giftzähne zu ziehen"
„Wir haben bei der Gestaltung des Entwurfs versucht, der Vorratsdatenspeicherung die Giftzähne zu ziehen", so Tschohl. Damit ist beispielsweise gemeint, dass Data-Mining bei der österreichischen Umsetzung nur schwer möglich ist, da beim Bundesrechenzentrum eine Durchlaufstelle eingerichtet wurde. Ermittlungsbehörden müssen ihre Anfragen an diese Durchlaufstelle richten, die im Anschluss an die Betreiber weitergeleitet werden. Die Übermittlung der Daten erfolgt dann verschlüsselt im CSV-Format (Comma-Separated Values).

Dass Data-Mining aufgrund von häufigen, schwer ausmerzbaren Statistik-Fehlern gefährlich ist, davor warnte Edgar Weippl von Secure Business Austria (SBA). „Beim Datensammeln sehe ich eine Gefahr darin, dass der Datenhunger der Behörden steigt und sich die Bevölkerung daran gewöhnt. Aber gerade bei Riesen-Datensammlungen passieren Fehler", so Weippl.

"Kann nicht grundrechtskonform umgesetzt werden"
Doch auch wenn die „Giftzähne" weg sind, ist die Vorratsdatenspeicherung aus der Sicht der Gegner höchst problematisch. „Das Dilemma ist, dass man die Vorratsdatenspeicherung nicht grundrechtskonform, sondern höchstens grundrechtsschonend umsetzen kann. Für mich stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit und welchen legitimen Zweck man damit erreichen will. Es ist ein flächendeckender Eingriff in die Kommunikation der Gesellschaft und schon die Erfassung der Daten ist ein Grundrechtseingriff", sagte Tschohl.

Oberstaatsanwalt Peter Gildemeister sah das etwas anders: „Die Vorratsdatenspeicherung ist im Grunde nichts Neues, es hat nur vorher nicht so geheißen. Auch bisher wurden von den Telekom-Betreibern 80 Prozent der Daten schon gespeichert, manchmal weniger als sechs Monate, manchmal sogar länger. Die Justiz hatte auch bisher schon Zugriff auf die Daten. Der Vorteil jetzt ist, dass sich die Justiz jetzt darauf verlassen können, dass die Daten tatsächlich da sind", argumentierte Gildemeister.

"Hat Vorteile für die Provider gebracht"
Das bestätigte Klaus Steinmaurer, Leiter der Rechtsabteilung bei T-Mobile: „Es gab vorher schon eine Überwachung aufgrund der Grundlage von gesetzlichen Bestimmungen im Telekommunikationsgesetzes. Da war es aber Auslegungsfrage, welche Daten gespeichert werden. Jetzt ist es klarer geregelt und hat so gesehen einen Vorteil für die Provider gebracht."

Die Grundsatzfrage, die man stellen müsse, sei aber: Wie weit wollen wir bei der Überwachung gehen? Steinmaurer befürwortet diesbezüglich die Verfassungsklage vom AK Vorrat und den Grünen. „Mit Hilfe der Verfassungsklage werden wir Klarheit darüber gewinnen, wo unsere Grenzen sind", so der Leiter der Rechtsabteilung. Ob auch die Provider noch Schritte in Richtung Verfassungsklage setzen werden, ließ Steinmaurer offen.

Verfassungsklage mit "guten Chancen"
Auch Erich Schweighofer von der Rechtsinformatik an der Universität Wien begrüßt die Verfassungsklage. "Dieses Gesetz war keine Sternstunde der EU", fügt er hinzu. Tschohl selbst glaubt, dass die Chancen gering sind, dass die Vorratsdatenspeicherung im Kern aufgehoben werde, ohne dass der Verfassungsgerichtshof den Europäischen Gerichtshof (EuGH) fragt. Dennoch sieht er „gute Chancen", dass der Verfassungsgerichtshof bei einzelnen Punkten die Bedenken teilen werde und somit den EuGH tatsächlich hinzuziehen werde.

Bei der Diskussion zur Sprache kamen neben der Verhältnismäßigkeit der Speicherung und der Frage der Verfassungswidrigkeit auch die Frage, ob die Speicherung überhaupt sinnvoll sei, wenn sie dermaßen einfach zu umgehen sei. Diese Möglichkeiten sind,

, vielfältig.

Wird der eigentliche Zweck verfehlt?
Ursprünglich sollte die umstrittene Datenspeicherung nur bei der Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität zum Einsatz kommen. In zahlreichen EU-Staaten, darunter auch Österreich, können die Ermittlungsbehörden aber auch schon bei weit geringeren Vergehen (und zwar zur Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten die mit mehr als einer einjährigen Freiheitsstrafe bedroht sind) auf die Daten zugreifen.

Steinmaurer kritisierte, dass auf diesem Weg vor allem Kriminelle auf der „mittleren Ebene" geschnappt werden und keine „echten Terroristen". „Es lassen sich mit der Vorratsdatenspeicherung sicherlich Verbrechen aufklären, aber nicht in dem Bereich, in dem der eigentliche Zweck liegt", sagte Steinmaurer. Weippl fügte dem noch hinzu, dass Kriminelle beispielsweise häufig eine gemeinsame E-Mail-Adresse nutzen und dabei Nachrichten bloß als Entwurf im Postfach speichern, der von mehreren Personen gelesen wird. „Dann fallen gar keine Verbindungsdaten an."

Oberstaatsanwalt Steinmaurer hielt dem entgegen: „Ja, es stimmt, dass die Vorratsdatenspeicherung leicht umgangen werden kann. Aber das ist kein Argument. Jeder Verbrecher weiß, dass es Fingerabdrücke gibt und trotzdem findet man sie noch zuhauf. Die wir haben wollen, kriegen wir damit."

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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