Kindle Voyage vs. Tolino Vision 2: Duell der E-Reader
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Was macht einen guten E-Reader aus? Die Frage lässt sich leicht beantworten. Das Lesen sollte ohne Ablenkungen möglich sein, der Bildschirm sollte kontrastreich sein und nicht spiegeln und das Gerät sollte einfach und intuitiv zu bedienen sein. Auch die Auswahl, der für das jeweilige Modell verfügbaren Bücher sollte groß genug sein, um keine Abstriche bei der Lektüreauswahl machen zu müssen.
Natürlich hat jeder andere Lesegewohnheiten und Vorlieben, ein guter E-Reader sollte auch davon ein möglichst breites Spektrum abdecken. Liest man gerne in der Badewanne oder nimmt man das Gerät im Sommer zum Baden mit? Werden fremd- oder deutschsprachige Bücher bevorzugt? Braucht man Übersetzungsprogramme und Wörterbücher? Will man sich über Bücher auf Twitter und Facebook austauschen? Auch auf diese Bedürfnisse sollten gute E-Reader eingehen.
Wir haben den Kindle Voyage, Amazons Flagschiff-Modell, und den Tolino Vision 2, das Spitzenmodell der von deutschen und österreichischen Buchhändlern getragenen Tolino-Allianz getestet. Soviel vorweg: Den Grundanforderungen an einen guten E-Reader werden beide mehr als gerecht. Der mitunter doch recht große Unterschied zwischen den beiden Lesegeräten liegt aber nicht nur im Detail.
Wie auch das weiterhin erhältliche Vorgängermodell Paperwhite kommt beim Voyage die E-Ink-Technik Carta zum Einsatz. Die Bildschirmgröße des Touchscreens von 6 Zoll ist gleichgeblieben, die Auflösung ist beim Voyage mit 1440 x 1080 (300 dpi) aber wesentlich höher als beim Paperwhite (212 dpi). Das macht sich auch mit freiem Auge bemerkbar. Die Buchstaben sind gestochen scharf, der Seitenhintergrund ist deutlich weißer, die Darstellung insgesamt weit kontrastreicher. Hier setzt der Kindle Maßstäbe, die bislang von keinem anderen Modell erreicht werden.
Automatische Helligkeitsregelung
Der Voyage verfügt wie der Paperwhite über eine integrierte Beleuchtung, die um eine intelligente Frontlichtfunktion erweitert wurde. In hell erleuchteten Räumen oder bei natürlichem Licht wird heruntergedimmt, bei Dunkelheit nach oben. Über die Funktion "Nachtlicht", die in den Einstellungen aktiviert werden kann, wird die Bildschirmhelligkeit in dunklen Räumen schrittweise reduziert, weil sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen.
Anders als der Paperwhite, der einen abgestuften Rahmen hat, besteht beim Voyage die gesamte Frontseite aus Glas. Das hat den Vorteil, dass sich keine Schmutzpartikel in den Ritzen sammeln können.
Auch in der Bedienung hat sich gegenüber dem Paperwhite einiges geändert. Rechts und Links vom Bildschirm sind jeweils eine große und eine kleine Sensortaste angebracht, mit denen alternativ zum Antippen des Touchscreens vor (lange Taste) und zurück (kurze Taste) geblättert werden kann. Die Druckstärke und die Rückmeldung (Vibration) für die druckempfindlichen Sensoren kann in den Einstellungen (Leseoptionen / PagePress-Funktion) individuell geregelt werden.
Kompakt
Die Ein- und Ausschalttaste wurde vom mittigen unteren Rand auf die Rückseite (rechts oben) versetzt und ist nun rund statt rechteckig. Die Rückseite ist strukturiert und hat nun am Rand keine Wölbung mehr sondern verläuft weit flacher. Insgesamt liegt der Kindle Voyage dadurch weit besser in der Hand als sein Vorgängermodell und lässt sich auch einfacher und flüssiger bedienen.
Der Voyage ist mit Maßen von 162 x 115 x 7,6 mm und einem Gewicht von 180 Gramm (WLAN-Version, 3G-Version 188 Gramm) auch geringfügig kleiner, dünner und leichter als der Paperwhite (169 x 117 x 9,1 mm, 206 bzw. 215 Gramm).
Gewohnt intuitiv
Die Nutzerführung und die Navigation durch die elektronischen Bücher funktioniert gewohnt intuitiv. Die Startseite kann als Listen- oder Coveransicht dargestellt werden. Innerhalb eines elektronischen Buches wird durch das Klicken auf den oberen Rand das Kontextmenü angezeigt. Von dort sind, Startseite, Kindle-Store, Suche, Beleuchtungsregler und Einstellungen erreichbar. In einer weiteren Leiste kann die Schriftgröße eingestellt, Lesezeichen gesetzt, das Inhaltsverzeichnis und das Statistik-Tool X-Ray (so für die jeweiligen Bücher vorhanden) abgerufen werden so wie Textpassagen in Online-Netzwerke (Twitter, Facebook) gepostet werden.
Das Umblättern und die Bedienung des Touchscreens funktionierten im Test zuverlässig ohne Verzögerungen.
Der Akku hält nach Herstellerangaben abhängig von der Licht und WLAN-Nutzung bis zu sechs Wochen. Im Test konnte dies nicht überprüft werden, da das Gerät der Redaktion nur rund zwei Wochen lang zur Verfügung stand. Bei eingeschaltetem WLAN/Whispernet - getestet wurde ein 3G-Modell - hielt der Akku maximal eine Woche. Aufgeladen kann der Akku mit einem mitgelieferten USB-Kabel am Computer werden. Ein Netzteil muss separat erworben werden.
Der Speichplatz beträgt 4 GB. Bücher können drahtlos (WLAN oder falls vorhanden 3G) über den Kindle-Shop bezogen oder über das mitgelieferte USB-Kabel vom Computer auf das Gerät ( bzw. in die Cloud ) übertragen werden.
Die Auswahl in Amazons elektronischem Buchladen ist sowohl bei deutsch- als auch bei fremdsprachigen Büchern reichhaltig. Gespeichert werden können die Titel sowohl am Gerät als auch in der Cloud, von wo aus auch von anderen Geräten bzw. über die Kindle-Apps am Smartphone, Tablet oder Desktop der Zugriff möglich ist.
Kaum Wünsche offen
Der Kindle Voyage ist ein ganz ausgezeichnetes Lesegerät, das Maßstäbe setzt. Das hat aber auch seinen Preis. Mit 189 Euro für die WLAN-Version und 249 Euro (WLAN und 3G/Whispernet) ist der E-Reader nicht gerade billig.
Pluspunkte sind die hohe Auflösung, sowie die einfache und intuitive Bedienbarkeit. Minuspunkt ist, wie bei allen Kindle-Geräten, die enge Bindung an Amazon-Formate, die bei der Auswahl der Händler keine oder kaum (ungeschütztes MOBI) Alternativen zulässt.
Maße (163 x 114 x 8,1 mm ) und Formgebung sind gleich geblieben. Das Gewicht wurde um vier Gramm auf 174 Gramm reduziert. Neu ist die Farbe (schwarz statt braun), die tap2flip-Funktion und der Wasserschutz, der auch der Grund dafür sein dürfte, dass es keinen Micro-SD-Karten-Slot mehr gibt.
Tap2flip
Tap2flip ermöglicht das Weiterblättern durch das Tippen auf auf die obere Hälfte der Geräterückseite. Das soll das einhändige Lesen von E-Books erleichtern. Damit es funktioniert, muss man allerdings etwas fester an die Rückwand klopfen, leichte Stupser wurden im Test von dem Gerät konsequent ignoriert und sprachen den Erschütterungssensor unter der Rückseite des E-Readers offenbar nicht ausreichend an. Das Tippen und Wischen am Touchscreen ist weit komfortabler und funktioniert darüber hinaus in beide Richtungen - vor und zurück. Bei tap2flip kann nur nach vorne geblättert werden. Die zusätzliche Umblätterfunktion kann in den Einstellungen ein- und ausgeschaltet werden. Eine Regulierung der Druckstärke ist nicht möglich. Tap2flip ist in jedem Fall gewöhnungsbedürftig.
Wasserschutz
Durch das von HZO entwickelte Schutzverfahren "Nano Coating", bei dem das Innere des Readers mit einer Plastikschicht versiegelt wird, ist der Tolino Vision 2 vor Süßwasser geschützt. Laut Angaben des Herstellers sollte das Gerät 30 Minuten in einem Meter Tiefe schadlos überstehen.
Flüssig
Ebenso wie der Kindle Voyage ist die Bedienung des Tolino Vision 2 intuitiv. Zwar kommt es manchmal - etwa beim Aufrufen der Bibliothek von der Startseite - zu kurzen Wartezeiten, davon abgesehen verläuft das Umblättern, die Steuerung und Texteingabe die Touchscreen-Tastatur recht flüssig.
Ab und zu tauchen unvermutet Störfaktoren auf. So öffnet sich etwa beim Aufladen des Gerätes mittels USB-Kabel am Mac-Computer das Programm iPhoto.
Die Akkulaufzeit wird vom Hersteller mit mehreren Wochen angegeben. Bei ausgeschaltetem WLAN dürften diese Werte auch erreicht werden. Überprüfen konnten wir das nicht, da das Gerät für den Test nur etwas mehr als zwei Wochen zur Verfügung stand.
Unterstützt werden die Formate EPUB, PDF und TXT. Bei kopiergeschützten EPUB-Files ist für die Lektüre eine Adobe ID notwendig. Die braucht man auch beim Online-Verleih von E-Books in öffentlichen Bibliotheken, etwa in Wien, Graz oder Salzburg.
Bücher von mehreren Händlern
In den Einstellungen lassen sich E-Books, die von anderen Partnern der Tolino-Allianz - in Österreich sind dies etwa noch Weltbild.at und Donauland - bezogen wurden, mit der Geräte-Bibliothek verknüpfen. Gegenüber dem rigiden Amazon-System am Kindle, das vor allem auf das hauseigene AZW-Format setzt, ist dies definitiv ein Wettbewerbsvorteil.
In Österreich wird der Tolino unter anderem von der Buchhandelskette Thalia vertrieben, die auch das Testgerät zur Verfügung stellte.
Stimmig
Der Tolino Vision 2 ist ein stimmiges Lesegerät, das sich in seinen Grundfunktionen gegenüber seinem Vorgänger aber nur geringfügig unterscheidet. Pluspunkte sind der Wasserschutz und durch die Verwendung des EPUB-Formates ein vergleichsweise offenes System. Minuspunkte sind manchmal auftretende Wartezeiten.
Im direkten Vergleich lässt der Kindle Voyage den Tolino Vision 2 und wohl auch jedes andere Lesegerät beim Display weit hinter sich. Der Unterschied ist frappant. Der Voyage eröffnet hier eine neue Dimension. Hat man den Vergleich nicht direkt vor Augen ist allerdings auch die Darstellung am Tolino Vision durchaus akzeptabel und steht anderen gängigen Lesegeräten, etwa von Kobo, Sony oder auch dem Kindle Paperwhite, um nichts oder kaum nach.
Auch bei der Bedienung wirkt der Kindle trittsicherer. Beim Tolino wurde im Test doch einige Male die Nachricht "Bitte warten" eingeblendet.
In punkto zusätzlicher Funktionalitäten bietet der Kindle Voyage etwa das Statistik-Tool X-Ray und einen Vokabeltrainer. Beide nicht unbedingt ein Muss. Beim Tolino überzeugt wiederum eine vergleichsweise breite Auswahl an zum Download bereitstehenden Wörterbüchern.
Sortimentsfrage
Wer gerne englischsprachige Bücher liest, ist mit dem Kindle und dem umfassenden Angebot von Amazon besser bedient. Bei deutschsprachigen Veröffentlichungen gibt es beim Sortiment kaum Unterschiede zwischen den Online-Shops deutscher und österreichischer Buchhändler und dem US-Branchenprimus.
Mit dem Tolino kann man auch baden gehen. Das ist vor allem im Sommer (Strand) oder bei der Lektüre in der Badewanne von Vorteil. Auch wer sich nicht an einen Anbieter binden will, sollte eher zum Tolino greifen.
Preislich sind beide Geräte - der Kindle ab 189 Euro und der Tolino mit 149 Euro im gehobenen Segment angesiedelt. Wer allerdings keine sehr hohen Ansprüche an den Bildschirm stellt oder auf Wasserschutz verzichten kann, findet etwa mit Modellen von Kobo, Sony, aber auch dem Kindle Paperwhite oder dem Tolino Shine günstigere Alternativen, die 100 Euro oder darunter kosten und durchaus auch überzeugen.
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