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Mobil-Betriebssystem

Microsoft gibt Startschuss für Windows Phone 8

Für Microsoft waren die letzten Tage besonders aufregend. Zunächst wurde das neue PC- und Tablet-Betriebssystem Windows 8 vorgestellt, am Montag folgte der offizielle Start von Windows Phone 8. Derzeit ist die Windows Phone Plattform mit rund vier Prozent Marktanteil ein eher kleiner Marktteilnehmer im Vergleich zu den übermächtigen Konkurrenten Android und iOS. Mit einem speziellen Fokus auf Individualisierung und Familienfreundlichkeit versucht Microsoft nun eine Nische für sein neues Mobil-Betriebssystem zu besetzen. "The Smartphone built around you" lautet das Motto.

Mehr Apps

Obwohl die groben Eckpunkte schon vor der Präsentation in San Francisco bekannt waren, kann Produkt-Manager Joe Belfiore mit einigen Neuigkeiten aufwarten. Dass Windows Phone 8 im Gegensatz zu App-Icon-basierten Systemen wie Android und iOS auf eine Oberfläche in Form von ständig aktualisierten "Live Tiles" setzt, war etwa bereits bekannt. Dennoch baut Microsoft auch sein App-Angebot massiv aus. Die derzeit rund 120.000 Apps sollen um einige wichtige Titel erweitert werden. Laut Belfiore sollen bald 46 der 50 Top-Apps auf "anderen beliebten Plattformen" auch auf Windows Phone 8 erhältlich sein, darunter die Spiele Temple Run und Angry Birds Star Wars.

Als Sonderangebot für US-Kunden (in Österreich funktioniert der Dienst nicht) wird es den Musik-Dienst Pandora als App geben, wobei ein Ein-Jahres-Abo ohne Werbung inkludiert wird. Was hierzulande eher relevant sind wird, ist eine neue Skype-Version. Der von Microsoft übernommene Kommunikations-Dienst wird tief in Windows-Smartphones eingebettet, und zwar "always on". Man kann also jederzeit Skype-Nachrichten oder Anrufe empfangen.

Mehr Gestaltungsfreiheit am Lockscreen
Eine Neuigkeit von Windows Phone 8 sind die so genannten "Live Apps", mit denen man den den Lockscreen besetzen kann. Man kann sich so etwa Sport-Ergebnisse, Tages-Schnäppchen oder Facebook-Bilder auf den Lockscreen holen, damit dieser nicht täglich gleich aussieht.

Für Smartphone-Neulinge ist ein neuer Dienst namens "Data Sense" im Betriebssystem integriert. Dieser soll dafür sorgen, dass man das Maximum aus seinem mobilen Datenvertrag herausholt. Webseiten werden mit dem Dienst komprimiert, wo es geht, wird WLAN genutzt. Kommt man dem Datenlimit näher, wird der Nutzer benachrichtigt.

Kids Corner begeistert Jessica Alba

Das absolute Highlight der Windows Phone 8 Präsentation ist eindeutig die Vorstellung des "Kids Corner". Dabei handelt es sich um eine abgeschlossene Nutzer-Oberfläche für Kinder, auf der sie Spiele, Videos oder ausgewählte Apps vorfinden. Der Rest des Smartphones, inklusive kritischer Funktionen, wird vor den Kindern in Sicherheit gebracht. Microsoft-Mann Belfiore schwärmt auch von der Fähigkeit, Kinder mit dem Kids Corner zu beschäftigen: "Merken Sie, wie ruhig sie sind?" Dennoch soll die Funktion Eltern und Kinder näher zusammenbringen - logisch.

Als Star-Testimonial für den Kids Corner bringt Microsoft Schauspielerin Jessica Alba auf die Bühne. Ihre Tochter habe mal eine Twitter-Botschaft an ihre vier Millionen Follower verschickt, erzählt sie. Das sei unangenehm gewesen. Heutzutage sei doch klar, dass "das Smartphone eine Verlängerung der eigenen Person" ist, deshalb sollte man darüber lieber die Kontrolle behalten. Abgesehen vom Kids Corner schwärmt Alba auch über das unkomplizierte Übertragen ihrer iTunes-Bibliothek auf Windows Phone 8. Microsoft öffnet sich gegenüber der Apple-Welt mit einer eigenen "Sync Companion"-Anwendung, die iTunes-Übertragungen vom Mac sowie von Windows 7 und Windows 8 PCs erlaubt.

Privater virtueller Raum
Eine weitere neue Funktion, die das Familiäre an Windows Phone 8 betont, ist "Rooms". Mit ausgewählten Kontakten aus dem "People Hub" kann man eigene, privatere, virtuelle Räume erschaffen, in denen Nachrichten, Kalendar, Fotos und Notizen ausgetauscht werden können. Und auch hier zeigt sich Microsoft offen gegenüber dem restlichen Smartphone-Kosmos. Rooms können etwa auch mit iPhone-Nutzern geteilt werden. Die virtuellen Räume können beliebig eingerichtet werden. Vorinstalliert ist einzig ein "Family Room".

Um das Sharing zwischen verschiedenen eigenen Geräten geht es bei SkyDrive. Der Microsoft Clouddienst ist fest in Windows Phone 8 verankert und erlaubt unter anderem übergangsloses Arbeiten. Wird ein Office-Dokument am Windows-8-PC bearbeitet, kann man es auf dem Windows-Phone-8-Gerät öffnen und genau dort fortsetzen, wo man die Arbeit unterbrochen hat.

Fotos können per SkyDrive automatisch mit der Cloud synchronisiert werden, wobei 7 GB Speicher und eine unbegrenzte Speicherdauer inkludiert sind. Mit dem neuen Xbox Music Service kann man sich ebenso geräteunabhängig fortbewegen und über 30 Millionen Titel überallhin streamen lassen.

Ballmer kommt doch noch

Am Ende der Gala kommt auch noch Steve Ballmer auf die Bühne. Der Microsoft-CEO wirkt deutlich ruhiger als früher, dennoch aber begeistert über die "Killer Hardware", die Microsoft vorzuweisen hat. Microsoft gehe es darum, das Bedürfnis der Kunden nach unterschiedlichen Geräten, Formen und Texturen zu erfüllen, betont Ballmer. Diese Vielfalt an Hardware - ein klarer Seitenhieb auf Apple - werde durch Windows Phone 8 und seine vielfältig anpassungsfähigen Funktionen "wortwörtlich zum Leben erweckt".

Als Beispiele zeigt Ballmer drei Smartphones: Das Nokia Lumia 920, das Samsung Ativ S und das HTC Windows Phone 8 X. All diese Geräte sollen in einem globalen Roll-Out im November auf den Markt kommen. Die Hoffnungen, die der Konzern in das neue Mobil-Betriebssystem steckt, sind groß. Im Gegensatz zum PC-Markt kann Microsoft bei den Smartphones nämlich nicht von einer unangefochtenen Führungsposition aus agieren und auf einen Masseneffekt setzen. Microsoft befindet sich in der ungewohnten Position eines Davids, der es sogar mit zwei Goliaths - Google und Apple - aufnehmen muss.

Kampf um RIM- und Android-Kunden
Um die eigene Position in der Auseinandersetzung mit den beiden übermächtigen Smartphone-Giganten zu stärken, haben sich die Microsoft-Manager im ersten Schritt ein leichteres Opfer ausgesucht, nämlich RIM. Der Hersteller des bei vielen Geschäftsleuten äußerst populären Blackberry befindet sich seit Monaten auf dem absteigenden Ast und hat Schwierigkeiten, eine seit langer Zeit geplante Erneuerung seines inzwischen veralteten Systems umzusetzen - Blackberry 10 wird nun für Anfang kommenden Jahres erwartet. Mit Windows Phone 8 kann Microsoft RIM nun bei Business-Lösungen besser Paroli bieten und dürfte mit seiner übermächtigen Vertriebsmannschaft dafür sorgen, dass in vielen Firmen und Organisationen bestehende Blackberry-Installationen von den IT-Chefs durch das Microsoft-Konkurrenzprodukt abgelöst werden.

Im Kampf um die privaten Kunden hat Microsoft vor allem das Android-Segment im Visier. Die Anwender des Google-Betriebssystems gelten als weniger loyal zu einer bestimmten Marke als die Fans von Apple. Außerdem sind Hersteller von Android-Phones wie Samsung und HTC dem Vernehmen nach nicht unglücklich, dass mit Windows Phone eine Alternative zu Android zur Verfügung steht, damit die Abhängigkeit von Google nicht zu stark wird. Ähnliche Argumente hört man auch aus den Reihen der Telekommunikations-Provider, die sich eine bessere Verhandlungsposition erhoffen, wenn in den Smartphone-Markt noch mehr Wettbewerb kommt.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Mobilität, Klimawandel, Energie, Raumfahrt und Astronomie. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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