Austrian Audio Hi-X55

Austrian Audio Hi-X55

© Martin Stepanek

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Mit dem Mikroskop Taylor Swift hören: Kopfhörer Hi-X55 im Test

Noch nie wurde so viel über Kopfhörer Musik gehört wie jetzt. Der Boom von Bluetooth-Kopfhörern wie Apples AirPods sowie hochwertigen Over-Ear-Kopfhörern mit Noise Cancelling ist ungebrochen. Nach dem Aus von AKG am Wiener Standort im Jahr 2017 formierte sich um über 20 Ex-Mitarbeiter mit Austrian Audio eine neue Audiofirma, die das jahrzehntelange Know-how bündelte und seit 2019 mit hochwertigen Mikrofonen und Kopfhörern im Markt vertreten ist.  

Präzise Pro-Kopfhörer

Beim Hi-X55 handelt es sich um das ohrumschließende Kopfhörer-Modell, mit dem Austrian Audio vor allem Musikprofis wie Tontechniker, Produzenten und Musiker ansprechen möchte. Doch auch audiophile Konsumenten und detailverliebte Musik-Nerds können mit dem kabelgebundenen Kopfhörer glücklich werden, wie der Hi-X55 im Test der futurezone zeigt.

Wer sich fette Bässe oder andere Effekthaschereien erwartet, ist beim Hi-X55 falsch. Da er als Profikopfhörer konzipiert ist, will er den Klang möglichst neutral und ausgewogen wiedergeben und verzichtet auf eine Überbetonung von tiefen und hohen Frequenzen. Die Musik soll so präsentiert werden, wie sie auch aufgenommen bzw. bei fertigen Produktionen abgemischt wurde.

Das Klangbild mag gegenüber vielen Consumer-Kopfhörern beim ersten Hören ungewohnt sein, eben weil sich die tiefen Frequenzen zwar kräftig, aber kontrolliert präsentieren. Der Sound ist kristallklar. Die saubere räumliche Trennung von diversen Ebenen wie Gesang, Effekten und Instrumenten ist beeindruckend. Das Erlebnis erinnert dabei am ehesten an den Blick durch ein Mikroskop, das Details verrät, die mit freiem Ohr über Lautsprecher sonst nicht zu hören sind.  

Taylor Swift unterm Mikroskop

Wer sich wundert, dass Taylor Swift für die Produktion ihres Überraschungsalbums „Folklore“ praktisch ausnahmslos hervorragende Kritiken bekommt, muss sich nur den Song „exile“ mit Bon-Iver-Sänger Justin Vernon über die Kopfhörer anhören. So ist plötzlich deutlich das Pedalgeräusch des Klaviers sowie ab Minute 0.24 auch Vogelgezwitscher zu hören, was dem Klang erst die vielschichtige Tiefe verleiht.

Ebenso faszinierend ist die präzise räumliche Aufteilung der Stimmen. So verleiht die um Millisekunden verzögerte Rechts-Links-Verdopplung von Vernons Stimme ab Minute 2.15 zusammen mit den sonst kaum hörbaren Oberstimmen-Harmonien von Swift (ab 1.47) dem Song erst seine emotionale Tiefe und komplexe Klangtextur. Die unbewusst wahrgenommenen Effekte werden über die Hi-X55 erst so richtig greifbar.

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Dasselbe gilt für klassische Musik, sei es nun ob man Vokalmusik oder eine der legendären NDR-Aufnahmen von Anton Bruckners Sinfonien mit dem Dirigenten Günter Wand hört. Bei den Blech-lastigen Scherzi der 7. und 9. Sinfonie ertappte ich mich zunächst zwar damit, dass ich mir etwas mehr Volumen und Nachdruck in der Tiefe wünschte. Entschädigt wird man dafür allerdings mit hörbaren Melodieverläufen einzelner Instrumentengruppen, die normalerweise vom großen Orchestersound einfach zugedeckt werden. 

Neutraler, fast steriler Sound

Diese Präzision hat freilich ihren Preis. Der Klang bleibt stets etwas kühl, um nicht zu sagen fast steril. Dass der Bass zurückhaltend klingt, ist für viele Musikrichtungen kein großes Problem. Wer aber hauptsächlich basslastige elektronische Musik hört, wird mit dem Kopfhörer nicht allzu viel Freude haben. Auch im höheren Frequenzbereich hätte ich mir manchmal einen etwas wärmeren Klang gewünscht - etwa bei Songs mit Frauenstimmen. Dies hab ich aber nicht wirklich als störend empfunden.

Der Hi-X55 verzeiht zudem keine Fehler, was Produktion, aber auch Ausgabegerät betrifft. Mit seiner Impedanz von 25 Ohm und seiner hohen Empfindlichkeit von 118 dBSPL/V garantiert der Hi-X55 zumindest aber eine laute Wiedergabe auch bei leistungsschwachen Ausgabequellen. Übersetzt heißt das, dass der Kopfhörer auch problemlos an Kopfhörerbuchsen von Geräten aller Art, vom Handy bis zum Computer, verwendet werden kann.

Der Kopfhörer setzt auf neu entwickelte 44mm-Treiber, die einen verbesserten Luftstrom und ein starkes Magnetfeld versprechen.

Robust und hochwertig

Die Verarbeitung des Kopfhörers ist tadellos. Abgesehen von den Polsterungen der Kopfpölster und des Bügels, die aus Memory Foam bestehen, sind Bügel und Scharniere aus hochwertigem Metall gestaltet. Das verleiht dem Hi-X55 ein edles, aber gleichzeitig robustes Aussehen, wenngleich das Design eher funktional angelegt ist.

Mit einer Faltkonstruktion lässt sich der Kopfhörer kompakt zusammenlegen, was für den Transport praktisch ist. Das 3 Meter lange Kabel ist abnehmbar, was in puncto Reparierbarkeit löblich ist. Die Einsteckbuchse am Hi-X55 ist das einzige Element, das im Vergleich zum restlichen Material etwas filigran und billig wirkt.

Angenehm zu tragen

Der Tragkomfort ist ausgezeichnet. Dabei profitiert man von den verwendeten Materialien und dem recht geringen Gewicht von nur 305 Gramm. Der Mechanismus, mit dem sich der Bügel rechts und links vergrößern und verkleinern lässt, bietet viel Spielraum. Der Bügel ist zudem gut biegbar, womit der Kopfhörer für die meisten Kopfformen gut passen sollte.

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Auch nach stundenlangem Tragen zeigten sich bei mir keine Ermüdungserscheinungen. Der Hi-X55 sitzt zwar fest am Kopf, drückt aber nirgends. Durch die großzügige Aussparung der Kopfpölster haben durchschnittliche Ohren mehr als genügend Platz. Die physikalisch bedingte akustische Abschirmung durch die Pölster ist sehr gut.

Fazit: Nicht nur für Musikprofis

Mit dem in Wien entwickelten und produzierten Hi-X55 ist Austrian Audio ein vielversprechender Einstieg in den Markt geglückt, der nicht nur unter Musikproduzenten oder Profimusikern Beachtung finden sollte. Wer bei seinen Musikvorlieben nicht auf einen überbordenden Bass angewiesen ist, und einen ausgewogenen, kristallklaren Sound mag, wird beim Hören von Musik, die man eigentlich in- und auswendig kennt, einige Aha-Effekte erleben.

Mit 300 Euro ist der Preis angesichts des ausgezeichneten Innenlebens sowie der hochwertigen Verarbeitung absolut fair angesetzt. Nach dem erfolgreichen Auftakt, der von einem kleineren ohranliegenden Modell namens Hi-X50 komplettiert wurde, bleibt zu hoffen, dass das Wiener Unternehmen den eingeschlagenen Weg fortführt und künftig das eine oder andere noch stärker Consumer-fokussierte Modell – etwa mit Bluetooth-Option – ins Portfolio aufnimmt. Bis dahin kann man beim Hi-X50 bedenkenlos zugreifen.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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Martin Jan Stepanek

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