© futurezone/Gregor Gruber

Selbstversuch

futurezone-Redakteur setzt sich unter Strom

Die futurezone hat sich zu Versuchszwecken ein foc.us-Headset besorgt, um die Steigerung der Hirnleistung durch Gleichstrom (die futurezone hat über Leistungssteigerung durch elektrische Stimulation berichtet) am eigenen Leib zu erproben. Das Gerät aus US-amerikanischer Produktion setzt den Frontallappen des Gehirns seines Trägers unter schwachen Strom, was - zumindest theoretisch - die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern kann. Das Verfahren ist unter dem Namen "transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS ) bekannt. Trotz der Vermarktung als “elektrisches Doping für Computerspieler” und der Beteuerung des Herstellers, dass es keinerlei medizinischen Nutzen gebe, wurde im Test versucht, die Lernleistung zu verbessern.

Die Ergebnisse des futurezone-Selbstversuchs haben keinen wissenschaftlichen Wert, da sie rein subjektiver Natur sind. Das Nachahmen wird weder von der futurezone noch vom Experten Michael Nitsche von der Universität Göttingen empfohlen. “Ich denke, das einmalige Probieren wird keine problematischen Auswirkungen haben. Ich würde aber dringend davon abraten, das Gerät über längere Zeiträume hinweg regelmäßig zu verwenden”, so Nitsche im futurezone-Gespräch.

Das Testgerät der futurezone ist in einem praktischen Transportbehältnis in der Redaktion eingetroffen. Das Headset selbst besteht aus einem roten Kunststoffbügel, der um den Hinterkopf führt und in jeweils zwei Elektroden zu beiden Seiten der Stirn endet. Damit ein stromführender Kontakt zur Haut entsteht, werden die vier Zehn-Cent-Münzen-großen Elektroden mit beiliegenden kleinen Schwämmen versehen, die zuvor befeuchtet werden müssen. Gruselige Assoziationen mit Filmszenen, bei denen Hinrichtungskandidaten in ähnlicher Manier auf den elektrischen Stuhl vorbereitet werden, sind wohl vom Hersteller wohl nicht gewollt, drängen sich aber auf.

Einfache Bedienung

Der Bügel selbst sitzt recht angenehm, es entsteht jedoch ein leichter Druck auf den Kopf. Vor der Nutzung muss das tDSC-Headset mit dem beigepackten USB-Kabel an einem Computer aufgeladen werden. Der fix verbaute Lithium-Polymer-Akku sorgt für die Energie, mit der das Gehirn später unter Strom gesetzt werden kann. Die Bedienelemente des Headsets bestehen lediglich aus einer Taste auf der Rückseite. Für die Stimulation des Hirns stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, von sinuswellenförmiger Stimulation bis zum konstanten Strom.

In der beiliegenden Gebrauchsanweisung wird die Bedienung des Gerätes erklärt, das Prinzip ist aber sehr einfach. Einschalten, Modus wählen und Gehirn stimulieren. Die maximale Stromstärke des tDCS-Geräts beträgt zwei Milliampere, diese wird aber nur mit einem optional erhältlichen Netzteil erreicht. Im Akku-Betrieb sind maximal 1,5 Milliampere möglich. Während des Betriebs kann die Stromstärke in mehreren Stufen eingestellt werden. Welche Auswirkungen die verschiedenen Modi und Stromstärken haben sollen, wird in der Anleitung nicht erwähnt. Die maximale Länge einer Stimulations-Sitzung ist standardmäßig mit zehn Minuten begrenzt. Danach schaltet sich das Gerät automatisch ab.

Über Bluetooth kann das Headset auch mit Smartphones, Tablets oder Computern verbunden werden. Einige Modi, etwa das langsame Ansteigen und wieder Abflauen der Stromstärke, sind nur über die Verbindung mit einem Gerät verfügbar, genau wie die Erweiterung der maximalen Stimulationszeit. Eine Steuer-App ist sowohl für Android als auch iOS verfügbar. Sind Nutzer mit den Basis-Funktionen des Headsets vertraut, können sie erste Versuche mit dem Gerät wagen. Bei erstmaligem Verwenden des Headsets stellt sich schnell heraus, dass es sich bei dem Gerät zumindest nicht um eine Attrappe handelt. Die angelegte Spannung macht sich selbst in den schwächeren Modi durch ein unangenehmes Kribbeln bis Brennen auf der Haut bemerkbar.

Brennende Stirn

Im futurezone-Test wurde versucht, die Lernleistung mit und ohne Headset zu vergleichen. Da Computerspielern der Einsatz während des Spielens empfohlen wird, wurde das auch im Test so gehandhabt. Beim Lernen von 20 erfundenen Wörtern stellt sich tatsächlich heraus, dass der Erfolg nach einmaligem Durchlesen mit dem Headset größer war als ohne, und zwar bei allen verfügbaren Modi und Stromstärken. Auch bei jeweils fünfminütigem Studium einer Vokabelliste ist die Erfolgsquote mit dem Headset größer. Dasselbe Ergebnis zeigt sich beim Erlernen diverser Skalen auf der Gitarre. Mit dem Headset bleiben die Fingersätze schneller im Gedächtnis. Wirklich groß ist der Unterschied aber in beiden Szenarien nicht. Beim Vokabelpauken bleiben jeweils ein bis zwei Wörter mehr im Gedächtnis hängen, beim Einüben von Skalen sind ein bis zwei Durchgänge weniger notwendig, bis das Muster ohne Nachschauen in passabler Geschwindigkeit reproduziert werden kann.

Die einzige Erkenntnis, die sich aus diesen Versuchen wirklich ableiten lässt, ist, dass sich der Träger des tDCS-Headsets zumindest schlauer fühlt. Mit dem futuristischen Bügel am Kopf und dem unangenehmen Kribbeln auf der Stirn kommt man sich vor wie in einem Science-Fiction-Film. Das bestätigt auch der Experte: “Ein Placebo-Effekt ist zu erwarten”, so Michael Nitsche. Im Labor werden deshalb Doppelblindstudien nach medizinischen Standards durchgeführt. Beim Computerspielen, dem Anwendungsgebiet, für das foc.us sein Headset gebaut hat, lässt sich beim Test mit verschiedenen Spielen kein Unterschied feststellen. Weder werden neue Fähigkeiten im Spiel schneller erlernt, noch lassen sich knifflige Stellen in den Games schneller überwinden. In keinem der verwendeten Spiele (Fifa 12, Tekken 5, Tomb Raider) ließ sich ein Unterschied feststellen. Auch hier sind die Eindrücke natürlich rein subjektiv.

Fazit

Am Ende des Testtages war es eine Freude, das Gerät abzunehmen und sich zu entspannen. Zurück bliebt ein kurzzeitiges Phantom-Brennen und das Gefühl, sein Gehirn vielleicht doch eher gebraten als stimuliert zu haben. Am eigenen Denkorgan herumzupfuschen ist eine unheimliche Vorstellung, das Aufsetzen des Headsets verlangte deshalb tatsächlich einen gewissen Grad an Überwindung. Ob das Headset tatsächlich irgendeinen Einfluss auf die Funktion des Gehirns hat, bleibt auch nach dem Selbstversuch dahingestellt. Zwischen den Warnungen mehrerer Experten, dem unangenehmen Gefühl beim Tragen und dem hohen Preis kann das Gerät aber kaum mit gutem Gewissen empfohlen werden. In Europa ist das Headset für 179 Pfund (226 Euro) über England zu bestellen.

Eine gesonderte Erwähnung wert ist die Marketing-Kampagne von foc.us, die sich auch an junge, eventuell noch nicht volljährige Videospieler zu richten scheint. Das ist vor dem Hintergrund der ungeklärten Langzeitauswirkungen von tDCS-Geräten bedenklich. "Meine Hauptsorge ist, dass Spieler das Headset jeden Tag über mehrere Wochen einsetzen. Das kann ich nicht empfehlen, das wäre mir zu heiß", so Nitsche.

Das menschliche Gehirn ist ein komplexes, elektrochemisches System. Dementsprechend kann es mit elektromagnetischen Feldern beeinflusst werden. Das funktioniert entweder mit starken Magneten oder mit Strom. Auf diese Weise lässt sich sogar die Leistungsfähigkeit des Gehirns steigern.

“Man weiß, dass grundlegende Gehirnfunktionen, wie das Lernen und andere kognitive Prozesse, in der Stärkung und Schwächung der Verbindungen zwischen Nervenzellen ihren Ursprung haben. Mit einem schwachen Strom kann die Erregbarkeit von Nervenzellen verändert werden. So können die Verbindungen beeinflusst werden. Dass der Lernerfolg gesteigert werden kann, ist erwiesen”, erklärt Michael Nitsche von der Universität Göttingen, einer der Pioniere auf dem Gebiet der sogenannten “transkraniellen Gleichstromstimulation” (tDCS), bei der das Gehirn mit schwachen elektrischen Strömen angeregt wird.

Was wie Science Fiction klingt, ist mittlerweile längst nicht mehr nur in den Labors von Forschern zu finden. Die US-amerikanische Firma foc.us hat kürzlich ein Headset auf den Markt gebracht, das es Nutzern erstmals ermöglicht, ihre Frontallappen in ihren eigenen vier Wänden elektrisch zu stimulieren. Dadurch sollen Computerspieler ihre Fähigkeiten verbessern können. Als Lernhilfe wird das foc-us tDCS-Headset nicht vermarktet, wohl auch um den Zulassungsprozessen als medizinisches Gerät zu entkommen.

Auf der Webseite heißt es ausdrücklich, dass es sich nicht um ein medizinisches Gerät handle, eine Prüfung durch die US-Gesundheitsbehörde FDA liege deshalb nicht vor. Trotzdem enthält die Gebrauchsanweisung eine prominent platzierte Warnung, laut der es sich nicht um ein Spielzeug handelt.

Leichter lernen

Selbst wenn die Risiken außer Acht gelassen werden, sind große Erfolge von einem Gerät für den Heimgebrauch nicht zu erwarten, da das genau abgestimmte Umfeld und die Expertise aus den Labors fehlen. Selbst in den Forschungseinrichtungen ist die Funktionsweise der tDCS noch längst nicht restlos verstanden. “Eine Lernverbesserung ist auch langfristig nachgewiesen. In einer Studie wurden Probanden beispielsweise fünf Tage lang beim Lernen stimuliert, die verbesserte Lernleistung blieb daraufhin drei Monate aufrecht”, sagt Nitsche. Im Labor konnten Versuchspersonen beispielsweise ihren Lernerfolg beim Erwerb einer künstlichen Sprache deutlich verbessern. “Eine Steigerung von rund zehn Prozent konnte in Studien schon nachgewiesen werden. Das reicht für derzeitige Experimente aus. Es gibt derzeit aber keine Studien, die versuchen, möglichst große und klare Effekte zu erzeugen. Es wird stattdessen versucht, die physiologischen Grundlagen zu verstehen”, sagt Nitsche.

Ob tDCS Menschen tatsächlich “klüger” macht, ist - abgesehen von der unscharfen Definition des Begriffs Intelligenz - nicht untersucht. “Einige Einschränkungen müssen bedacht werden: Bei allen Ergebnissen handelt es sich um kontrollierte Laborstudien mit spezifischer Aufgabenstellung. Für Aufgaben wie das Lösen eines IQ-Tests gibt es keine Studien, es ist aber vorstellbar, dass auch hier eine Verbesserung möglich ist”, so Nitsche.

Wer sich eine Denkkappe erhofft, die ihren Träger auf Knopfdruck zum Einstein macht, wird vorerst enttäuscht werden. Zum einen ist der Effekt immer nur unterstützend, das Lernen bleibt also auch Personen unter Strom nicht erspart. Zum anderen kann das Ergebnis individuell variieren, genau wie bei einer Behandlung mit leistungsfördernden Medikamenten. Selbst eine Verschlechterung der Lernleistung kann durch die Stimulation eintreten. “Die Erwartungen der Menschen sind sicher überzogen. Ein Klavierschüler wird auch mit tDCS nach zwei Monaten nicht wie Lang Lang spielen”, sagt Nitsche.

Keine Denkkappe

Ob es je ein Gerät für den Heimgebrauch geben wird, das den Anforderungen von Experten genügt, ist noch unklar. “Ob tDCS je handhabbar wird, ist nicht sicher. Eine alltagstaugliche Lösung müsste gefahrlos und einfach zu bedienen sein. Ob das bei gesunden Menschen möglich ist, weiß ich nicht. Ich würde derzeit nicht viel Geld darauf setzen”, so Nitsche. Auch technisch sind noch längst nicht alle Probleme ausgeräumt. “Die Muster beim Lernen im menschlichen Gehirn sind äußerst komplex und betreffen kleine Neuronenpopulationen. Eine spezifische Ansteuerung ist derzeit technisch unmöglich. Unsere Stimulation ist sehr großflächig. Deshalb können wir keine Fähigkeiten ins Gehirn ‘schreiben’”, erklärt Nitsche.

Durch die Stimulation mit Elektroden, die auf die Haut aufgelegt werden, sind nur oberflächliche Gehirnareale zu erreichen. Durch Netzwerkeffekte werden zwar auch tieferliegende Neuronen stimuliert, das funktioniert aber nicht selektiv. Wenn die Technik verbessert werden kann, könnte sie auch für die Behandlungen von Störungen im Hirn eingesetzt werden. “Es gibt eine große Gruppe von psychologischen Krankheiten, die möglicherweise zukünftig mit tDCS behandelt werden könnten. Bei Depressionen etwa hat sich die Stimulation des Frontallappens in Studien bewährt. Auch bei chronischen Schmerzen oder bei Patienten mit sprachlichen oder motorischen Defiziten nach Schlaganfällen wird tDCS verwendet”, so Nitsche. Bei diesen Ergebnissen handelt es sich allerdings nur um Studien, Routineanwendungen gibt es derzeit nicht.

Bislang keine Schäden

Der langfristige Efekt der tDCS-Behandlung entsteht durch eine Veränderung des chemischen Gleichgewichts durch die Stimulation mit Strom. Dadurch kann sich die Zahl bestimmter Rezeptoren in den Schaltstellen zwischen den Neuronen erhöhen. Zu Komplikationen durch die Beeinflussung des Gehirns ist es - zumindest im Labor - bislang nicht gekommen. “Wir haben keine Hinweise darauf, dass es bei gesunden Probanden zu Problemen kommt. Es gab zwar vereinzelt Hautreizungen, aber keine neuronalen Schädigungen. Allerdings wurden schon Verschlechterungen der Leistung festgestellt. Das alles gilt aber nur für Kurzzeitige Stimulation. Über die Langzeitfolgen kann niemand etwas sagen, weil Daten fehlen”, so Nitsche.

Bevor Menschen anfangen in großer Zahl beginnen, ihre Gehirne im Selbstversuch unter Strom zu setzen, müssen deshalb noch weitere Versuche gemacht werden. “Das Problem beim Heimgebrauch sind die unkontrollierten Bedingungen. Vorerkrankungen, Qualität des Elektrodenkontakts und andere Faktoren spielen eine Rolle. Es ist potenziell problematisch für die Gesundheit, wenn Personen ohne Ahnung solche Geräte wieder und wieder verwenden. Die Nutzer wissen nicht einmal, welche Gehirnregion sie gerade stimulieren”, erklärt Nitsche.

Populäres Konzept

Ob eine Verbreitung von tDCS überhaupt gewünscht wird, ist zudem fraglich. Ähnlich wie bei der Anwendung leistungssteigernder Medikamente ist auch die Hirnstimulation mit Strom eng mit ethische Fragen verbunden. “Die Extrempositionen sind ‘super, wenn wir das Hirn verbessern können und die Leute das wollen, machen wir das’ und ‘das führt zum Verlust der Selbstbestimmung, weil jeder gezwungen wäre, das zu tun, und zu einer Zweiklassengesellschaft, in der Reiche sich leistungsfähige Hirne kaufen’. Es gibt gute Argumente für beide Positionen”, so Nitsche.

Ob solche Überlegungen Interessenten, die ihre geistige Leistungsfähigkeit steigern wollen, abhalten kann, bleibt aber fraglich. Erste Interessensgruppen im Netz empfehlen den Einsatz von tDCS bereits. “Am Ende muss jeder selbst wissen, ob er sein Hirn stimulieren will. Die Verbreitung von tDCS hat bereits begonnen, mit Personen, die ihre eigenen Geräte bauen und dem Foc.us-Headset”, sagt Nitsche.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Markus Keßler

mehr lesen
Markus Keßler

Kommentare