China

ZTE: Mit Basketball und Großraumbüros gegen Apple

Shanghai wird seinem Ruf als rasant wachsende Großstadt gerecht. Hochhaus drängt sich an Hochhaus, um den mehr als 23 Millionen Einwohnern Platz zu bieten - all das auf einer Fläche, die in etwa so groß wie das Bundesland Salzburg ist. Doch die chinesische Industriestadt kann trotz des rasanten Wachstums mehr als nur Betonwüste bieten. Im aufstrebenden Viertel Pudong treffen High-Tech-Unternehmen auf üppige Grünflächen. Großflächige Parks, gemütliche Seen und erfrischende Ruhe lassen rasch vergessen, dass man sich nach wie vor in einer der größten Metropolen der Welt befindet.

Dieses nahezu idyllische Ambiente machen sich zahlreiche Technologie-Unternehmen zunutze, die dort ihre Forschungszentren ansiedeln. Einer der größten Arbeitgeber dort ist der chinesische Telekommunikations-Konzern ZTE, der bereits 2004 ein großes Forschungszentrum im Zhangjiang High-Tech-Park eröffnet hat. Der Konzern gewährte der futurezone einen Blick hinter die Kulissen der Produktentwicklung, auch wenn an vielen Orten die Kamera leider draußen bleiben musste.

Keine Angst vor Spionen

Die Begrüßung durch die ZTE-Mitarbeiter fällt enthusiastisch aus. “Willkommen im Silicon Valley Chinas.” Diesen Titel beanspruchen neben Pudong noch einige andere Regionen in China für sich, beispielsweise das Pekinger Viertel Zhongguancun und die Industriestadt Shenzhen. Neben ZTE haben sich im Technologie-Park auch IBM, Lenovo, Qualcomm und Intel niedergelassen. Auf knapp 25 Quadratkilometern finden mehr als 100.000 Menschen Arbeit, davon sind allein 8000 für ZTE tätig.

Am schlichten Eingang werden Besucher eher offen empfangen, mit Kameras hat man kein Problem
Dass in diesen Gebäuden derart viele Menschen neue Smartphones entwickeln, lässt sich von Außen nicht erkennen. Auch überzogene Sicherheitsmaßnahmen, die vor möglichen Leaks schützen sollen, gibt es nicht. Zwei Rezeptionisten werfen hin und wieder recht gelangweilt einen Blick auf den automatisierten Eingangsschranken, an dem Mitarbeiter laufend ein und aus gehen. Taschenkontrollen sind überflüssig, auch die kaum übersehbare Spiegelreflexkamera beanstanden sie nicht.

Schräge Konzepte

Dabei hätte ZTE durchaus einiges zu verbergen. Am Forschungszentrum in Shanghai werden neue Geräte für den Consumer-Markt entwickelt. Smartphones, Wearables und Streaming-Boxen waren bislang nur ein kleines Nebengeschäft für ZTE. Derzeit erwirtschaftet ZTE den Großteil seiner Umsätze als Netzausstatter, doch künftig will man auch bei den Endgeräten stärker mitmischen. Ein Zeichen dafür: Dieses Jahr wurde das Forschungsbudget massiv umgeschichtet. 80 Prozent des Forschungsbudgets sollen in Consumer-Technologien, wie Smartphones oder andere Mobilgeräte, investiert werden. Das entspricht rund einer Milliarde Euro.

Dass sich ZTE dabei nicht den Vorwurf der “kopierenden Chinesen” gefallen lassen muss, stellt das Unternehmen eindrucksvoll unter Beweis. In einem Raum voller Konzept-Smartphones sind zahlreiche kuriose Ideen dabei, die man so noch nicht gesehen hat. Sei es ein Smartphone mit Selfie-Bildschirm auf der Rückseite oder ein gebogenes Modell mit iPod-ähnlichen Clickwheel, die Bandbreite ist groß. Auch einige kunstvolle Designs finden sich darunter, beispielsweise ein Smartphone, das an den eisernen Thron aus “Game of Thrones” erinnert. Obwohl diese Konzepte allesamt in der Schublade landeten, gilt zur Sicherheit dennoch die Regel “Fotografieren verboten”. Bei vielen Designs wird aber rasch klar, wieso sie es nicht in die Produktion geschafft haben, beispielsweise beim Holz-Smartphone mit integrierter Solarzelle.

Gegen die Vorurteile

Betritt man die Büros der Designer, weht Besuchern ein Hauch westlicher Kultur entgegen. Auch in China wird in klassischen Großraumbüros gearbeitet, die mit allerhand Plüschtieren, privaten Fotos und schrägen Postern verschönert werden. Immer wieder rotten sich Gruppen zu kurzen Meetings im Stehen zusammen, das Arbeitsklima wirkt überraschend entspannt. Der Blick auf die iMacs wird auch für die Besucher nicht versperrt. In aller Ruhe werden neue Konzepte designt und runde Smartwatches entworfen. Die Tische sind meist mit aktuellen Smartphones, wie dem iPhone 6, Samsungs Galaxy S6 und Note 4 sowie Huaweis neuem Flaggschiff P8 bedeckt. Zum Teil handelt es sich um Privatgeräte, einige scheinen aber auch als Inspirationsquelle zu dienen.

ZTEs Nubia-Reihe
Einerseits fühlt man sich schon fast wie in einem Imagefilm gefangen, andererseits widerlegt ZTE damit Klischees über chinesische Elektronik-Hersteller. Viele chinesische Smartphone-Hersteller, wie Huawei, ZTE und TCL haben Angst, dass Konsumenten ihre Geräteals “billig” wahrnehmen, weil sie chinesischen Ursprungs sind. Daher verkaufen sie ihre Geräte in den USA und Europa unter Markennamen wie Honor (Huawei), Nubia (ZTE) und Alcatel (TCL). Paradox, wenn man bedenkt, dass nahezu alle Smartphones westlicher Hersteller ebenfalls in Asien gefertigt werden.

Über die USA in die Welt

Die Strategie scheint aber aufzugehen, ZTEs aktuelle Nubia-Modelle werden vor allem für ihr Design und die Verarbeitung gelobt. Von billig ist beim nahezu rahmenlosen Smartphone mit High-End-Ausstattung keine Spur zu sehen, allerdings werden dafür ebenfalls Premium-Preise fällig. Auch bei der Konkurrenz, beispielsweise Huawei, scheint der Namenswechsel für ein stärkeres Wachstum zu sorgen. ZTE legt sich nun aber ein weiteres Standbein zu. Erst kürzlich wurde das erste Flaggschiff-Modell von ZTE, das Axon, in den USA präsentiert.

Das High-End-Smartphone wurde kurioserweise nicht in Shanghai entwickelt, sondern in den USA. ZTE hat dafür zahlreiche Ingenieure von BlackBerry abgeworben, die das Smartphone auf den westlichen Markt maßschneidern sollten. Das Endprodukt will mit hochwertiger Ausstattung und einem relativ günstigen Preis von 450 US-Dollar punkten. Dabei versucht ZTE den Weg über die Hintertür und bietet das Axon vorerst auf dem freien Markt sowie bei Prepaid-Anbietern an. Eine gewagte Strategie, denn traditionell ist der US-Smartphone-Markt ohne die Hilfe der Mobilfunker nur schwer zu knacken. Erst im Laufe des Jahres soll das Smartphone in anderen Ländern, unter anderem auch Österreich, verfügbar sein.

“Wir wollen LeBron James sein”

Bis 2020 will ZTE der weltweit größte chinesische Smartphone-Hersteller sein. Ein gewagtes Unterfangen, die Konkurrenz aus dem Heimatland ist groß. Zehn der 17 größten Smartphone-Hersteller stammen aus China, allen voran PC-Gigant Lenovo, Huawei und das noch relativ junge Start-up Xiaomi. Langsam aber stetig graben sie den Marktführern Apple und Samsung Marktanteile ab, vor allem in den westlichen Märkten. Apple scheint in ein Wespennest gestochen zu haben: Der Vorstoß des US-Konzerns nach China hat die heimischen Smartphone-Hersteller dazu gezwungen, auch im Ausland aggressiver tätig zu werden.

Um das vorgegebene Ziel erreichen zu können, muss ZTE aber noch einen Zahn zulegen. Während man dieses Jahr mit rund 60 Millionen verkauften Smartphones rechnet, setzte Konkurrent Huawei allein im ersten Halbjahr 48 Millionen Smartphones ab. Dieses Jahr könnte das Unternehmen als erstes chinesisches Unternehmen die Schallmauer von 100 Millionen Smartphones knacken. Ein Umstand, der bei ZTE niemanden beunruhigt. “Wir wollen gesundes und nachhaltiges Wachstum”, meint Zeng Xuezhong, ZTEs Smartphone-Chef bei einer Analysten-Konferenz. Als Vorbild nimmt er sich offenbar die NBA, in der ZTE prominent als Sponsor auftritt. “Nehmen Sie die aktuelle Saison, MVP wurde Stephen Curry. Eigentlich hätte es aber LeBron James werden müssen, weil er beständig in den Top 5 ist. Wir wollen LeBron James sein.”

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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