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M2M

Auto-Notruf eCall ebnet Weg für Datensammlung

"Bei einem Unfall geht es um Schnelligkeit und eine kurze Reaktionszeit für Rettungsfahrzeuge", erklärt Markus Bauer, der für Car-2-X-Communication bei der BMW Group zuständig ist, am internationalen M2M-Day in Wien. Von 40.000 Verkehrstoten pro Jahr in Europa könnten 2500 überleben, wenn die Hilfe rechtzeitig eintreffen würde. Seit Jahren hat BMW deshalb (unter anderem mit Forschungsgeldern der EU) am System "Assist Advanced eCall" gearbeitet, einem automatischen Notrufsystem, das auch das potenzielle Verletzungsausmaß von Insassen vorhersagt. Die dahinterliegende Technik ist dabei ein M2M-SIM-Chip, der wesentlich robuster ist als eine herkömmliche SIM-Karte.

Sensoren erkennen Aufprall
Sobald die Aufprallsensoren erkennen, dass das Fahrzeug in einem Unfall verwickelt war, kontaktiert Advanced eCall automatisch ein BMW-Call-Center per SMS-Nachricht und übermittelt Informationen wie den genauen Unfallort, die Anzahl der Vordersitzinsassen, die Aufprallwucht und -richtung, die Anzahl der ausgelösten Airbags und Sicherheitsgurtstatus. Es wird außerdem ermittelt, wie stark die Insassen verletzt sein könnten. Das System kann bei Bedarf auch manuell, also per Knopf, aktiviert werden.

Bei BMW wird "Assist Advanced eCall" derzeit als Zusatzservice angeboten, das abonniert werden muss. Das heißt, Kunden zahlen einen fixen Betrag für ein Abonnement für eine gewisse Laufzeit, die danach kostenpflichtig verlängert werden muss. Beim österreichischen eCall-Pilotprojekt aus dem Jahre 2006 von Dolphin Technologies, ÖAMTC und A1 (damals mobilkom austria) wurde erhoben, dass rund 60 Prozent der Testfahrer bereit gewesen seien, bis zu 14 Euro im Monat für ein derartiges System auszugeben. Der Pilot wurde durchgeführt, weil die EU-Kommission bereits damals Anstalten gemacht hat, eCall in Europa einführen zu wollen - damals auf freiwilliger Basis.

Verpflichtende Einführung bis 2015
Nun soll das flächendeckende eCall-System bis 2015 verpflichtend für alle Neuwagen in Europa eingeführt werden. Das hat der Verkehrsausschuss des Europaparlaments vor wenigen Tagen in einem entsprechenden Bericht verabschiedet. Datenschützer haben bereits vor einem Jahr, als die EU-Kommissarin Neelie Kroes die immer konkreter werdenden Pläne der Öffentlichkeit vorgestellt hat, Kritik geäußert. Hans Zeger von der Arge Daten hält vor allem die verpflichtende Ausrüstung für "einen extrem absurden Vorschlag".

Auch der deutsche Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, hatte Bedenken geäußert. So könne über den M2M-Chip und/oder das GPS-Signal etwa das Fahrverhalten analysiert werden oder personalisierte Werbung angeboten werden (wie: "Biegen Sie links ab, um zum Restaurant X zu kommen"). Laut dem abgenickten Entwurf des EU-Berichts (PDF) ermöglicht das EU-weit geplante eCall-System allerdings nicht, "die Bewegungen des Fahrzeugs rückzuverfolgen, da es bis zum Absetzen des Notrufs inaktiv bleibt". Das habe die Artikel 29-Datenschutzgruppe empfohlen, heißt es.

Ein weiteres Szenario: Es könnte Versicherungstarife geben, die nach gefahrener Strecke berechnet werden ("Pay as you drive"). Bauer von BMW sagte am M2M-Day zu diesem Gedanken: "Wir sind kein Versicherungsdienstleister und derartige Pay-as-you-drive-Versicherungen sind bei uns nicht in Planung". Das bedeutet allerdings nicht, dass Automobilhersteller wie BMW die M2M-Daten nicht an Versicherungsanbieter (kostenpflichtig) weitergeben könnten.

Mobilfunker orten "Zusatzgeschäft"
Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten 2011 dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Mobilfunkbetreiber die eCall-Anrufe vorrangig weiterleiten und keine Gebühren für die M2M-Chips und SIM-Karten erheben. Die Kosten für die Integration des Moduls werden von der Kommission auf unter 100 Euro pro Auto geschätzt. Die Mobilfunkanbieter hoffen allerdings auf ein lukratives Zusatzgeschäft durch zusätzliche "Online-Dienste" im Auto, wie der Chef der Telekom-Dienstleistungstochter T-Systems, Reinhard Clemens, im Herbst 2011 bestätigte: "Neben dem eCall haben Autohersteller die Chance, weitere Online-Dienste anzubieten."

BMW: "Fahrer derzeit der beste Sensor"
Die BMW Group Forschung und Technik arbeitet unterdessen weiter an der Vernetzung von Autos per M2M - und zwar zum "Schutz vor verletzlichen Verkehrsteilnehmern" und zur "Fahrzeug-Fahrzeug-Sicherheit". Das Forschungsprojekt Ko-TAG, das zusammen mit dem Fraunhofer Institut stattfindet, widmet sich der Erforschung kooperativer Sensortechnologie auf Basis von Funk. "Die Erkenntnisse von Ko-TAG werden nicht vor 2014 auf der Straße zu finden sein", sagt Bauer. "In der Zukunft müssen wir Informationen zwischen Verkehrsteilnehmern austauschen können, das bedeutet Autos, Fußgänger sowie Ampeln", fügt der BMW-Spezialist hinzu. Den Fahrer zu ersetzen und das Auto sich selbst steuern zu lassen, plane BMW derzeit nicht. "Der Fahrer ist im Moment sicherlich noch der beste Sensor, zu 99 Prozent macht er einen ausgezeichneten Job."

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Von 22. bis 26. Oktober findet in Wien der ITS Weltkongress statt, bei dem über 300 Unternehmen aus 65 Ländern ihre neuesten Entwicklungen im Bereich Verkehrstechnik und Telematik präsentieren. Neben internationalem Fachpublikum soll die Veranstaltung auch Privatpersonen die Möglichkeit bieten, die Technik auf den Straßen von morgen zu begutachten. Eine eigene Navigator-App macht die Messe zur Rätselrallye.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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