Chip ermöglicht Live-Übertragung der Gehirnaktivität
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Live-Übertragungen aus dem Nervensystem lebender Organismen in bisher unerreichter räumlicher und zeitlicher Auflösung ermöglicht eine neue Technik, die Wiener Forscher mit US-Kollegen entwickelt haben. Mit Hilfe dieser Mikroskopie-Technik lässt sich die gesamte Gehirnaktivität mit einer Auflösung bis zu einzelnen Neuronen beobachten, berichten die Forscher im Fachjournal "Nature Methods".
Wie das Gehirn die von Sinnesorganen wahrgenommenen Reize verarbeitet und letztlich zu Entscheidungen und Verhalten kommt, ist eine fundamentale Frage für die Wissenschaft. Schon bisher konnten Aktivitäten entweder ganzer Gehirnregionen oder einzelner Nervenzellen (Neuronen) sichtbar gemacht werden. Es war aber nur eingeschränkt möglich, gleichzeitig Aktivitäten von großen Nervenzellnetzen und Einzelneuronen mit hoher zeitlicher Auflösung zu erfassen.
50 3D-Bilder pro Sekunde
Ein Team von Wissenschaftern unter der Leitung des Physikers Alipasha Vaziri vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) und den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) in Wien hat eine Methode entwickelt, "mit der wir die Funktion großer Nervenzellen-Netzwerke in 3D mit einer Auflösung bis zu einzelnen Neuronen beobachten und dieses Volumen bis zu 50 Mal pro Sekunde abbilden können ", erklärte Vaziri gegenüber der APA. Die Forscher haben dabei mit Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA) zusammengearbeitet.
Für das neue Verfahren haben die Wissenschafter einen münzgroßen Chip entwickelt, der zehntausend Mikrolinsen enthält. Das zu untersuchende Objekt wird so mit einer einzigen Aufnahme aus unterschiedlichen Winkeln gleichzeitig abgebildet. Aus einzelnen Mikroskopiebildern können so dreidimensionale Daten rekonstruiert werden. Damit können die Wissenschafter Objekte mit einem um bis zu tausendfach größeren Volumen als bisher erfassen und auch zehnfach schnellere Veränderungen beobachten.
Bereits erfolgreich angewendet
Um die beachtlichen Leistungen des Gehirns bei der Verarbeitung von Sinnesreizen oder der Planung von Bewegungsabläufen zu verstehen, sei diese hohe räumliche und zeitliche Auflösung unabdingbar, erklärte Vaziri. Er leitet an der Uni Wien die Forschungsplattform "Quantum Phenomena and Nanoscale Biological Systems".
Die Wissenschafter haben die neue Methode bereits erfolgreich an unterschiedlichen Systemen angewendet. So konnten sie etwa bei Fadenwürmern (Caenorhabditis elegans), deren Nervensystem nur 300 Neuronen umfasst, nicht nur die Aktivität des Gehirns erfassen, sondern auch alle anderen Nervenverbindungen, etwa zu den Muskeln.
Die Algorithmen des Gehirns
Auch Larven des Zebrafischs, deren Nervensystem rund 100.000 Neuronen umfasst, wurden untersucht. Wie beim Menschen feuern die Tiere Nervenpulse im Millisekunden-Bereich. Die Forscher stimulierten die rund 500 Nervenzellen im Riechorgan der Larven mit vergorener Fischbrühe - ein äußerst abstoßendes Aroma für diese Tiere. "Gleichzeitig erfassten wir die Gesamtaktivität des Gehirns und konnten dabei simultane Aktivität in über 5.000 Nervenzellen in Gehirn feststellen, die Signale vom Riechorgan erhielten", sagte Vaziri.
Die Forscher hoffen, eines Tages zu verstehen, wie das Gehirn Informationen repräsentiert und diese verarbeitet, um Entscheidungen zu treffen. "Letztlich wollen wir damit den vom Gehirn benutzten Algorithmen auf die Spur kommen", so Vaziri. Daraus könnte man dann eines Tages rechnerische Modelle von Verhaltensabläufen entwickeln, um Voraussagen für bestimmte Handlungen zu treffen. Solche Modelle wären etwa im Bereich Objekterkennung und Maschinenlernens hilfreich.
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