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Der DNA-Analyseboom im Web

Die Prozedur ist sehr einfach: Man nimmt das Wattestäbchen, kratzt damit im Mund ein wenig an der Innenseite der Wangen herum, steckt das Wattestäbchen in ein Plastikröhrchen und verschickt es. Einige Wochen später bekommt man das Login und kann auf den diversen Webseiten nachlesen, welche Sportart man nachgehen sollte, welcher Partner zu einem passt, welcher Kreativitäts-Typ man ist oder an welchen Krankheiten man mit welcher Wahrscheinlichkeit erkranken wird. Die Analyse des genetischen Fingerabdrucks (DNA) macht’s möglich. Wollen uns zumindest die hunderten DNA-Services im Web weiß machen.

Als Mitte der 90er Jahre das österreichische Innenministerium ihr Projekt einer bundesweiten DNA-Datenbank zur Verbrechensbekämpfung und –aufklärung vorstellte, war die Aufregung in der Bevölkerung groß. Man befürchtete Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger, einen Big-Brother-Staat. Heute sieht die Sache anders aus, DNA-Analysen sind salonfähig geworden, diverse DNA-Webservices sind drauf und dran, in Soziale Netzwerke integriert zu werden oder selbst eines zu formen. Und das verfolgt einer der führenden internationalen Genetiker, der Leiter des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien, Markus Hengstschläger, mit großer Skepsis. „Eine genetische Analyse ist nur dann erlaubt und sinnvoll, wenn es davor eine genetische Beratung gegeben hat“, so Hengstschläger, der auch stellvertretender Vorsitzender der Bioethik-Kommission ist. „Bei den Internet-Diensten gibt es weder Beratung noch Interpretation, die überlässt man dem Kunden.“

Die medizinische DNA-Analyse
Genetische Analysen lassen sich laut Hengstschläger in drei Bereiche einteilen. Der wichtigste ist jener, auf den sich sein Institut für Medizinische Genetik an der MedUniWien konzentriert und sich einen internationalen Ruf erworben hat, nämlich den medizinischen. Der Defekt eines einzigen der etwa 25.000 Gene kann schwere Krankheiten auslösen. Am Institut für Medizinische Genetik wird die DNA auf monogenetische Krankheiten getestet. Beispiele für monogenetische Erkrankungen sind Brustkrebs, die Bluterkrankheit, Cystische Fibrose etc. Gentests für monogenetische Erkrankungen werden in Österreich in der Regel nur dann durchgeführt, wenn z.B. in der Familie einen entsprechende Erkrankung aufgetreten ist.

DNA-Horoskop
Den zweiten Bereich umfassen so genannte multifaktorielle Erkrankungen, bei denen Gene eine Rolle spielen, allerdings auch die Umwelt. Erkrankungen, die in diese Kategorie fallen, sind die typischen Zivilisations-Krankheiten wie Herz- und Kreislauferkrankungen oder Typ-2-Diabetes. „Der Mensch ist das Ergebnis aus Genetik und Umwelt, man kann einen Menschen nicht auf seine Gene reduzieren“, so Hengstschläger. Tests, die multifaktorielle Erkrankungen analysieren, haben eine niedrige Aussagekraft „weil die Umwelt und das Umweltverhalten des Menschen eine Rolle spielen.“ Auf diesen Bereich haben sich die DNA-Dienste im Web gestürzt.

Heute gibt es unzählige Firmen, die DNA-Analysen anbieten, wie etwa 23andMe, jenes Unternehmen, an dem auch Google beteiligt ist. In der zweiten Kategorie gibt es auch die massivsten Zuwächse, weil es ein „prädiktiver Bereich“ ist, also so etwas wie eine genetische Prognose – die nicht stimmen muss. Hengstschläger: „Jene, die sich solche Tests machen lassen, sind meist gesund.“ Mit den Ergebnissen dieser Internet-Tests kommen mittlerweile immer mehr am Institut für Medizinische Genetik vorbei und bitten um Interpretation. Fünf Fachärzte beraten dort Menschen, die sich solche Tests haben machen lassen oder im Web gelesen haben, dass man seine DNA auf dieses oder jenes hin untersuchen lassen könne.

Lebensberater DNA
„Es gibt fast nichts, wofür es im Internet nicht einen Test gibt“, so Hengstschläger, der den DNA-Test-Dschungel im Web bereits durchforstet hat. Von Kreativität über die Partnerwahl bis hin zum Sport, fast alles lässt sich laut DNA-Anbieter analysieren. Soll der Sohn oder die Tochter Golfer werden, Fußballer, Sprinter oder doch Langläufer? Es gibt etwa 400 Gene, die eine Rolle dabei spielen, ob man für diese oder jene Sportart ein Talent hat. Dafür ist z. B. auch das so genannte ACTN3 Gen verantwortlich, das aussagt, wie sehr der Mensch zum Muskelaufbau neigt und wie belastbar er ist. So bieten etwa die US-Unternehmen CygeneDirect www.dygenedirect.com oder Atlas Sport Genetics www.atlasgene.com sportliche Gentests an. 169 Dollar kostet der normale „Atlas first“ Test. Wird bei den Analysen entdeckt, dass man auf dem ACTN Gen so genannte R577X-Varianten hat, lasse dies Schlüsse zu, ob man eine Ausdauer-, Sprint-Sportart oder beides ausüben sollte. Für 999 Dollar gibt es den „Atlas Pro“-Test, der für Athleten ab 10 Jahren empfohlen wird „Recommended for athletes over age 10“.„Die Interpretationen sind zum Teil echter Schmarrn“, bringt es Genetiker Hengstschläger auf den Punkt.

Ich kann dich nicht riechen
Noch kritischer sieht der Wiener Genetiker den Boom bei Partner-DNA-Services, wie sie etwa das US-Unternehmen Scientificmatch.org, die Schweizer Firma Genepartner.com oder das deutsche Startup GMatch.org anbieten. Deren Geschäftsmodell basiert auf der Analyse der MHC- bzw. HLA.Gene (Major Histocompatibility Complex/ Human Leukozyte Antigen). „Erkenntnisse der HLA-Gene stammen auch aus der Zoologie“, erklärt Hengstschläger. Zwei Partner sollen möglichst unterschiedlich sein, und dabei helfen die HLA-Gene. Unbewusst suchen und finden sich unterschiedliche Menschen und können einander auch „erriechen“. Je unterschiedlicher ein Mensch ist, desto besser kann man ihn riechen. Lässt man sein HLA-Gen bei einem der Dienste analysieren, so verbindet das Service jene HLAs, die am unterschiedlichsten sind. „Je vielfältiger diese Gene sind, desto besser ist man gegen Krankheiten geschützt“, lockt Anbieter GMatch auf der Webseite. „Im Laufe der Evolution haben sich deswegen vor allem Partner mit möglichst verschiedenen MHC-Genen gesucht, denn die Kinder dieser Paare hatten ein stärkeres Immunsystem und waren somit besser vor Krankheiten geschützt.“ 139 Euro kostet ein Speicheltest, für einen Monat Partnersuche werden 25 Euro verrechnet.

Auch Wolfram Henn, Professor für Humangenetik in der Medizin an der Universität des Saarlandes, sieht das Konzept eines genetischen Matchings jedoch kritisch: „Der Geruch ist nur ein Faktor von vielen, der neben beispielsweise dem Aussehen und dem Klang der Stimme beim Sympathieempfinden eine Rolle spielt. Noch dazu ein untergeordneter“, sagt Henn. Zudem sei der Geruch selber nur zum Teil vom Immunsystem beeinflusst. Somit sei die Bedeutung des Immunsystems bei der Partnerwahl letztlich so verschwindend gering, dass es schon fast an die Grenzen des Aberglaubens führe, daran tatsächlich zu glauben. Per DNA-Analyse lassen sich nicht wirklich Partner erschnuppern, denn auch Aussehen, Stimme etc. spielen bei der Partnersuche eine wichtige Rolle.

DNA goes Social Network
Hengstschläger sieht die Entwicklung sehr kritisch, er befürchtet dass es bald auch für Facebook eine DNA-Applikation geben könnte. Die Vorarbeiten haben andere Portale jedenfalls bereits getan worden. Das Stammbaum-Portal Ancestry.com etwa, hat die DNA-Komponente integriert. Wer beim Erstellen seines Stammbaums nicht weiterkommt, kann DNA-Hilfe in Anspruch nehmen. Wer die Analyse nutzt, dessen Daten landen in der Ancestry -Datenbank. Kommt es zu einem „Treffer“, so werden die Mitglieder verständigt, dass ein Verwandter gefunden worden ist.

Eine Mischung aus beidem – nämlich aus Kategorie 2 und 3 – ist das US-Service 23andMe, das die futurezone bereits seit geraumer Zeit testet. Wer hier ein DNA-Analyse-Kit ordert, dessen genetischer Fingerabdruck wird mit 96 Krankheiten abgeglichen. Zudem wird ein Risiko errechnet – wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, an dieser oder jener Krankheit zu erkranken. Die Werte werden immer mit dem Durchschnittswert verglichen. Mediziner sind ob solcher Auswertungen sehr unglücklich, da die Menschen dazu neigen, die Ergebnisse zu googlen. „Die Ergebnisse können viele verunsichern“, so Hengstschläger. „Daher ist die Interpretation solcher Analysen extrem wichtig, es müssen solche Tests an eine Beratung gekoppelt sein.“

Beispiel Diabetes: Wenn 23andMe zum Ergebnis kommt, dass man mit einer 14-prozentigen Wahrscheinlichkeit an Diabetes 2 erkrankt, liegt man acht Prozent unter dem Durchschnitt, was wiederum viele als Freibrief betrachten könnten, ab sofort trinken und essen zu können, was sie wollen. Wer sich aber täglich mit Burger, Coke und Torten vollstopft, steigert – Analyseergebnisse hin oder her – die Wahrscheinlichkeit, dennoch an Diabetes 2 zu erkranken.

Sprintertyp und HIV-resistent
Interessant, bzw. nicht unumstritten, sind die Merkmale/Eigenschaften, die Typologie des Menschen, die 23andMe ebenfalls auswertet – Augenfarbe, Malaria- und HIV-Resistenz, Konstitution des Ohrenschmalzes, wie man sportlich veranlagt ist oder ob man zur Alcohol Flush Reaction neigt.

Ein weiteres Ziel der Portalbetreiber ist, dass sich Menschen über ihre DNA kennenlernen, sie ein auf Basis ihres genetischen Fingerabdrucks soziales Netzwerk bilden. Schon jetzt landen in der In-Box von 23andMe regelmäßig Mails, in denen Mitglieder eine Verwandtschaft auf Basis der DNA festgestellt haben. Der Genomik-Pionier George Church von der Harvard Medical School – er sitzt im 23andme-Vorstand – denkt bereits über diese soziale Vernetzung nach und findet einen „Zueinander-Finde-Knopf“ auf Facebook oder einem anderen sozialen Netzwerk ideal.

Die Anbieter:
psynomics.com Das im kalifornischen San Diego beheimatete Unternehmen Psynomics bietet Gen-Tests an, mit denen manisch-depressive Erkrankungen prognostiziert werden sollen.

neuromark.com Ebenfalls auf Depression und "Suizidalität" (Lebensmüdigkeit) nach der Einnahme von Antidepressiva hat sich das in Longmont (Colorado) beheimatete Genlabor NeuroMark Genomics spezialisiert.

suregene.net Die Firma Sure Gene hat den "AssureGen-Test" entwickelt, um Patienten und auch Medizinern Informationen zu liefern, damit sie die "bestmögliche Entscheidung" treffen können. SureGene verspricht, Schizophrenie und Depression vorhersagen zu können.

gtldna.com Die US-Firma bietet Pränatal-DNA-Analysen an. Dabei wird (in Zusammenarbeit mit dem eigenen Gynäkologen) zwischen der 10 und 12 bzw. 12 und 21 Woche eine Chorionzottenbiopsie (CVS) durchgeführt, die Basis der  DNA-Analyse ist.

counsyl.com Das Unternehmen Counsyl testet, welche erblichen Krankheiten Paare tragen, die sie an ihre Kinder weitergeben könnten bzw. welche Eigenschaften Paare haben, die sie ihren Kindern weitergeben möchten.

Die österreichische DNA-Datenbank
Ende der 90er Jahre war die Aufregung groß, als das Innenministerium den Aufbau einer DNA-Datenbank propagierte, in dem biologische Tatortspuren und Mundhöhlenabstriche (MHA) von erkennungsdienstlich erfassten Personen gespeichert wurde. Am 1. Oktober 1997 ist das „Österreichische DNA-Zentrallabor“ in Betrieb gegangen. Ziel der DNA-Datenbank war zum einen, ungeklärte Kriminalfälle durch einen Datenabgleich klären zu können und zum anderen Kriminaltaten zu verhindern. Datenschützer befürchteten seinerzeit einen schweren Eingriff in die Privatsphäre, weil man befürchtet hatte, das in der Datenbank die DNA direkt einer Person zugeordnet werden könnte. Tatsächlich ist es so, dass die Spuren und die MHA mit einem Barcode gekennzeichnet sind. Das Innenministerium hat den Barcode des Verdächtigen und nicht jenen der Tatortspur. Das DNA-Zentrallabor hat wiederum nur den Barcode der Tatortspurt und nicht die Personendaten.

Das offizielle Statement:
Das Österreichische DNA-Zentrallabor typisiert Mundschleimhautabstriche (MHA) und Spuren ausschließlich in den sogenannten nicht-codierenden Bereichen. Das bedeutet, dass grundsätzlich keinerlei Informationen über Krankheiten, Krankheitsdispositionen, Erbleiden, Infektionen etc. erhoben werden können. Ebenso wenig liefern die Untersuchungen Informationen über Persönlichkeitsmerkmale wie Aussehen, Intelligenz, sexuelle oder sonstige Neigungen, Gewohnheiten etc.“

 

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