Erbgut
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Forschung

Facebook für Gen-Exhibitionisten

Bastian Greshake ist Wissenschaftler. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, an gute DNA-Daten für seine Forschungsarbeit zu kommen. Deshalb hat er sein eigenes Genom analysieren lassen, aus Neugier und um die eigenen Daten für die Arbeit verwenden zu können. Daraufhin ist ihm die Idee gekommen, eine zentrale Plattform zu schaffen, auf der andere Freiwillige ihr Genom ebenfalls hochladen können, um es so der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile wurden bei Open SNP schon über 1700 DNA-Datensätze öffentlich zugänglich gemacht. Eine einfache DNA-Analyse kostet heute nur mehr rund 160 Euro, der Versand ist dann bereits inkludiert.

“Die Qualität der Daten ist unterschiedlich. Teilweise handelt es sichOpen SNP Projekt, um simple Gentests von kommerziellen Anbietern wie 23andme, die rund 600.000 simple Genvarianten abtesten. Teilweise enthalten die Datensätze aber auch ein komplettes Exom, das sind alle Teile der DNA, die Bauanleitungen für Proteine sind”, erklärt Greshake. Zusätzlich können die Nutzer von Open SNP auch Informationen über phänotypische Merkmale, etwa Größe, Augen- und Haarfarbe oder Krankheiten speichern. Diese Daten erlauben es, Verknüpfungen zwischen den Genen und bestimmten Eigenschaften herzustellen. “Das alles passiert freiwillig. Niemand muss irgendetwas hochladen. Wir haben insgesamt 3400 registrierte Nutzer, die Hälfte davon hat überhaupt nichts hochgeladen”, sagt Greshake. Auch die Daten von Fitnessarmbändern, derzeit die Zahl der zurückgelegten Schritte, das Gewicht im Verlauf der Zeit und das Schlafverhalten, können Nutzer zur Verfügung stellen.

Nicht anonym

Ein echter Name muss bei der Anmeldung ebenfalls nicht verwendet werden, allerdings kann jeder Nutzer, der sein Genom hochlädt, anhand der DNA identifiziert werden. “Das gilt auch für die Analysen, die lediglich 600.000 Genvarianten umfassen”, erklärt der Gründer. Aus diesem Grund werden Nutzer, die Daten hochladen ausführlich vor möglichen Konsequenzen gewarnt. In dem Informationstext wird etwa darauf hingewiesen, dass durch die Veröffentlichung der DNA Probleme mit Arbeitgebern, Versicherungen oder Krankenkassen entstehen könnten. Wenn die DNA etwa darauf hinweist, dass das Risiko für eine bestimmte Krankheit erhöht ist, kann das für den Betroffenen Ärger bedeuten. Auch auf die Eltern der Teilnehmer können entsprechende Rückschlüsse gezogen werden.

“Wir haben die schlimmsten Szenarien in drastischer Sprache beschrieben und hoffen, Unentschlossene so abzuschrecken. Persönlich glaube ich, dass das Risiko derzeit gering ist. In Deutschland etwa dürfen Krankenkassen, Versicherungen und Arbeitgeber solche Daten von Gesetzes wegen gar nicht nutzen”, sagt Greshake. Solche Gesetze seien zwar nicht in Stein gemeißelt, hätten sich bisher aber bewährt: “Solche Tests gibt es schon seit fast zehn Jahren und bislang ist wenig passiert, was mir Anlass zur Sorge gegeben hätte.” Mit seinen Eltern hat Greshake trotzdem gesprochen, bevor er sein Erbgut als erster Open SNP-Nutzer freigegeben hat.

Geringes Risiko

Das liegt laut dem Forscher auch daran, dass die Technik heute noch nicht sehr fortgeschritten ist. “Das Wissen fehlt einfach. Bei den meisten Krankheiten zum Beispiel könne keine qualitativ hochwertigen Aussagen über das Risiko getroffen werden. Eine bestimmte Genvariante erhöht das Risiko meist nur um ein Prozent”, sagt Greshake. Bei der vergleichsweise geringen Größe der Datenbank würde sich ein institutionelles Ausspionieren derzeit wohl auch gar nicht rechnen. Wenn Nutzern nach dem Hochladen ihrer Erbinformationen trotzdem Zweifel kommen, können sie ihre Daten löschen. Allerdings kann es natürlich sein, dass schon jemand Kopien gezogen hat und die Informationen bereits nutzt. Deshalb sollten sich Interessenten gut überlegen, ob sie wirklich Teil von Open SNP werden wollen.

Komplette Genome können bei der Plattform derzeit übrigens nicht hochgeladen werden. Die Finanzierung erfolgt privat durch die Betreiber, wodurch die Ressourcen begrenzt sind. “Ein komplettes Genom hat 800 Megabyte, eine Analyse von 23andme nur 23. Zudem kostet eine Komplettanalyse wahrscheinlich noch fast 5000 Euro”, erklärt Geshake. Neben geringfügigen Geldbeträgen, die von Wikimedia und Bayer zur Verfügung gestellt wurden, wird Open SNP rein als Hobby von Greshake und zwei Kollegen betrieben. Wenn mit einer Entdeckung auf Basis ihrer Daten Geld verdient wird, sehen die Betreiber nichts davon, genausowenig wie die Personen, die ihre Daten bereitgestellt haben. “Dafür könnte, wenn wir irgendwann Böses im Schilde führen, jeder eine Kopie unserer Datenbank bereitstellen”, erklärt Greshake die Sonnenseite der Open-Source-Struktur. Die Plattform ist derzeit nur auf Englisch verfügbar, weil auch die passende wissenschaftliche Literatur in dieser Sprache verfasst ist. So kommen auch die meisten Kunden aus den Industrienationen.

Konkurrenz

Mittlerweile gibt es auch einige Konkurrenzplattformen, die ähnliche Ziele verfolgen. So hat erst diese Woche das "Open Humans"-Projekt seinen Dienst aufgenommen. “Da gibt es aber meist einen Haken. Einige sind ausschließlich für akademische Zwecke zugänglich, andere nur in bestimmten Ländern verfügbar und manche haben lange Wartelisten, weil sie die Gentests selber durchführen”, sagt Greshake. Als Rivalen sieht der die anderen Anbieter deshalb nicht. “Unser Ziel ist es, einen ausreichend großen Datenfundus zu erreichen, um der Forschung nutzen zu können, sagt Greshake. Die 1700 derzeit vorhandenen Datensätze reichen dazu noch nicht aus. “Das ist das untere Limit. Interessant wird es ab 5000 bis 10.000.”

Erste Forschungsprojekte greifen aber bereits auf die Daten zu. Die ETH in Zürich etwa plant gerade eine Studie zur Sinneswahrnehmung. Dabei soll festgestellt werden, wie genetische Varianten die Geschmacks- und Geruchswahrnehmung beeinflussen. “Ein bekanntes Beispiel ist, dass Koriander für einen Teil der Menschen nach Seife schmeckt und für einen anderen nicht”, sagt Greshake. Noch wird das Experiment von der Ethikbehörde des Kantons Zürich geprüft. Sollte die Studie tatsächlich durchgeführt werden, müssten wahrscheinlich zusätzlich Geschmacks- und Geruchs-Kits an die Teilnehmer verschickt werden.

Krebs frühzeitig erkannt

Um die Qualität der Datensätze in Zukunft noch zu verbessern, sind für die Zukunft bereits einige Erweiterungen geplant. So sollen Nutzer bald auch Informationen über ihr Mikrobiom, also die einzelligen Organismen, die auf und im Körper leben bereitstellen können. “Hier diskutieren wir noch über das Format. Die Fitnesstracker-Informationen wollen wir ebenfalls noch ausbauen”, sagt Greshake.

Der Open SNP-Gründer selbst hat trotz der nicht-kommerziellen Natur seiner Plattform bereits von seiner Idee profitiert: “Mein Test hat ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs ergeben. Das habe ich meinem Vater gesagt. Der ist daraufhin zur Untersuchung gegangen und es wurde tatsächlich ein Tumor gefunden. Er konnte dann geheilt werden.”

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Markus Keßler

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