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Baseline Study

Google sammelt Schweiß, Tränen und Urin

Google X, der Forschungsarm des Suchmaschinen-Konzerns, hat vor wenigen Monaten damit begonnen, 175 gesunde Personen auf Herz und Nieren zu untersuchen, wie das Wall Street Journal berichtet. Die Organe sind allerdings nicht alles, was für Projekt "Baseline Study" medizinischen Checks unterzogen wird. Google sammelt Blut, Tränen, Schweiß und Urin der Probanden ein, sequenziert deren komplettes Genom und analysiert ihren Stoffwechsel auf molekularer Ebene.

Daneben werden Herzrhythmen, der Abbau von Medikamenten, die Aufnahme von Nährstoffen und die medizinische Geschichte von Studienteilnehmern untersucht. Kurzum will Google jeden verfügbaren Test anwenden, um ein möglichst umfangreiches Bild der körperlichen Verfassung der Versuchsteilnehmer zu erhalten. Dabei sollen auch von Google entwickelte Wearables zum Einsatz kommen. Ein bereits verfügbares Beispiel sind etwa smarte Kontaktlinsen, mit denen der Blutzuckergehalt dauerhaft überwacht werden kann (die futurezone berichtete). Diese sind zwar für Diabetiker entworfen worden, können mit Anpassungen aber auch für Baseline wertvollen Input liefern. Google will auch neue Geräte entwickeln, die etwa auch die Herzfrequenz stetig aufzeichen können.

Ziel von Project Baseline ist es herauszufinden, was einen gesunden Menschen ausmacht. Als Beispiel dafür führt Google etwa den Fettstoffwechsel an. Die Untersuchungen könnten hier Marker in Stoffwechsel oder Genom finden, die bei Menschen auftreten, die keine Probleme mit dem Abbau fettreicher Nahrung haben. Das würde im Umkehrschluss erlauben, Patienten, die ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, frühzeitig zu behandeln. Das neue an der Untersuchung ist vor allem der Umfang und der Fokus auf gesunde Versuchspersonen. Medizinische Studien werden üblicherweise mit kleineren Gruppen bereits erkrankter Probanden durchgeführt. Bei Baseline sollen in einem weiteren Schritt tausende zusätzliche gesunde Freiwillige ihre Daten zur Verfügung stellen, wodurch Google eine bislang unerreichte Menge an Daten zur Verfügung steht, um mit seinen Rechenzentren nach verwertbaren Mustern zu suchen.

Etwas andere Gesundenuntersuchung

Aus medizinischer Sicht verspricht Baseline, dass gesundheitliche Probleme - in Form von Abweichungen von einem Idealmodell - in Zukunft weit früher erkannt werden können, als das heute der Fall ist. Die Kehrseite der Medaille ist, dass eine sehr große Menge potenziell wertvoller medizinischer Daten an einen gewinnorientierten Konzern ausgehändigt wird. In der Pilotphase des Projekts stellt das noch kein Problem dar, da die medizinischen Daten von unabhängigen Wissenschaftlern entgegengenommen werden. Google und die Forscher erhalten erst nach der Anonymisierung der Information Zugriff. Kontrolliert wird das, wie auch bei anderen Versuchen mit menschlichen Probanden in den USA, durch ein institutionelles Gremium aus Experten verschiedener Universitäten. Google beteuert zwar, dass die Daten auch im weiteren Verlauf des Projekts nur anonymisiert erhoben, ausschließlich für medizinische Zwecke verwendet und keinesfalls an Versicherungen oder andere Interessenten weitergegeben werden, spätestens wenn Wearables aus der hauseigenen Produktion des Suchmaschinenanbieters Teil der Tests an Probanden werden, wird diese Grenze aber aufgeweicht.

Wenn Google-Geräte den Blutzuckergehalt, die Herzrate, Pupillenreaktionen und andere Informationen sammeln, ist es nämlich sehr wahrscheinlich, dass der Konzern weiß, wer die Nutzer sind. Das ist schließlich Teil des Geschäftsmodells. Google will immer wissen, wer ein Wearable wie Glass gerade verwendet. Ob die Trennung zwischen medizinischem Gerät und Unterhaltungselektronik tatsächlich strikt eingehalten werden kann, ist daher zweifelhaft. Die Kontrollinstanzen bei den Universitäten betonen jedenfalls, dass es für Google keinerlei Ausnahmeregelungen gebe. Wie jede andere medizinische Forschungseinrichtung müsse der Konzern sich an die Vorgaben halten. Versicherungen oder potenzielle Arbeitgebern würden sich die medizinischen Daten, die Google sammeln will, trotzdem gerne ansehen. Selbst wenn diese sensiblen Informationen gut geschützt sind, können sie durch Hackerangriffe, Missgeschicke oder böswillige Manipulation in die freie Wildbahn geraten, wo sich neben den genannten Interessenten auch andere Internetnutzer oder Behörden Informationen über den Gesundheitszustand einer Person ansehen könnten. Das gilt zwar auch für elektronische Krankenakten, die Informationen, die bei Baseline gesammelt werden, sind aber weitaus umfassender.

Potenzieller Goldesel

Derzeit führt Google "Baseline" zwar als Moonshot-Projekt, das keine konkreten Anwendungen hervorbringen muss, am Ende erhofft sich der Konzern aber wohl doch ein Stück des wachsenden Gesundheitsvorsorge-Kuchens. Laut einer Studie der Marktforscher der Freedonia Group wird der weltweite Umsatz in diesem Bereich 2017 bereits acht Billionen Euro betragen. Google sieht derzeit anscheinend eine günstige Gelegenheit, in das Geschäft mit der Gesundheit einzusteigen. Die Kosten für Genom-Sequenzierung und die Analyse molekularer Prozesse sind geringer als je zuvor, die moderne Informationsverarbeitung erlaubt die Analyse der enormen Datenmengen in kürzester Zeit. Außerdem sind frühere Projekte mit vergleichbaren Zielsetzungen vor allem daran gescheitert, dass sie nicht über einen Geldgeber mit Googles tiefen Taschen verfügt haben.

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Markus Keßler

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