© rts/Ho

Saisonstart

Hightech-Kampf gegen Hurrikans beginnt

Vom Kalendar her betrachtet hatten "Alberto" und "Beryl" in US-Gewässern nichts zu suchen. Die beiden tropischen Stürme formierten sich eine volle Woche vor dem offiziellen Saison-Start am 1. Juni vor der Ostküste der USA. Alberto löste sich sang- und klanglos auf. Beryl tobte mit vergleichsweise moderaten Windgeschwindigkeiten von 100 Stundenkilometern über Florida und Georgia hinweg und verregnete den Bewohnern der beiden Staaten das lange Memorial-Day-Wochenende.

Durchschnittliche Saison
Nach den staatlichen Wetterfröschen soll die Saison 2012 durchschnittlich ausfallen: zwischen 9 und 15 tropischen Stürmen. Ab einer Windgeschwindigkeit von 63 Stundenkilometern bekommen sie einen Namen verpasst.  Etwa die Hälfte der prognostizierten Stürme könnte sich zu Hurrikans auswachsen (laut der fünfteiligen Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala ab einer Windgeschwindigkeit von 119 km/h).

Hurrikan-Prognosen bestehen aus drei Komponenten, die – jede für sich – vor Unsicherheitsfaktoren strotzen: Die Langzeitprognose für das jeweils kommende Jahr (dabei spielen auch Überlegungen zum Klimawandel eine Rolle); die Prognose, welchen Weg der Wirbelsturm einschlagen und welche Küstenregion davon betroffen sein wird; die kurzfristige Prognose, ob der Hurrikan an Intensität zunehmen oder verlieren wird.

Wird die Zukunft stürmischer?
Gleich zwei Wirbelstürme noch vor Saisonbeginn: Das hat Seltenheitswert. Und wirft die Frage auf: Waren Alberto und Beryl eine vorwitzige Ausnahme oder ist der frühe Start ein Zeichen für eine, durch Klimawandel bedingte, regere Hurrikantätigkeit? Klimaforscher sind dazu untereinander geradezu bemerkenswert uneins.

So viel ist immerhin klar: Damit ein Hurrikan sich überhaupt formieren kann, braucht er eine Wassertemperatur von mindestens 26.5 Grad Celsius. Je wärmer das Meer, desto robuster der Sturm. Dass die Wassertemperatur in den Ozeanen gestiegen ist, steht außer Frage. Doch dadurch wirbelt es auch heftigere Scherwinde durch die oberen Luftschichten, was Hurrikane potenziell im Keim erstickt oder zumindest verhindert, dass sich ihre zerstörerische Energie ungehindert um das Auge in der Mitte des Sturms organisiert.

James Elsner (Florida State University) geht es nicht um die Zahl der Stürme. Seine Analyse von Satellitendaten seit 1981 ergibt: „Die starken Hurrikans sind stärker geworden. Deren Windgeschwindigkeit hat zwei bis drei Stundenkilometer zugenommen.“ Das klingt nicht beeindruckend, aber: „Das destruktive Potenzial eines Sturms steigt mit höherer Windgeschwindigkeit nicht linear, sondern exponentiell an.“ Kein Wunder also, dass sich Versicherungen für solche Langzeittrends interessieren.

Wenn ein Hurrikan stärker wird
Hurrikan Katrina, der im August 2005 verwüstetet, ist ein klassisches – und tragisches – Beispiel, wie wichtig korrekte Prognosen über die Entwicklung des Sturmsystems sind. Hurrikan Katrina begann vor der Ostküste Floridas als vergleichsweise milder Hurrikan der Kategorie eins, zog westwärts, lud sich über dem warmen Wasser des Golfs von Mexiko auf und tobte als Kategorie 5-Monster auf die Küstenstadt zu, ehe er - immerhin noch als furchterregende Kategorie 3 - an Land ging.

„Den Wechsel in der Sturmintensität vorherzusagen gehört zu den schwierigsten Dingen in der Hurrikan-Forschung“, erklärt Stephen Nesbitt von der University of Illinois. „Denn dazu muss man in den Hurrikan hineinschauen“. Er dürfte dennoch einen Weg gefunden haben. Der Forscher analysierte die passiven Mikrowellendaten von Satelliten zwischen 1987 und 2008 und erkannte ein klares Muster: Sechs Stunden, bevor ein Hurrikan an Intensität zulegt, bilden die Gewitterbänder um das Auge einen besonders gut organisierten Ring. Theoretisch wäre Stephen Nesbitt mit dieser Methode zu 80 Prozent richtig gelegen. Die derzeitige Trefferquote in der Prognose von Intensität: weniger als 50 Prozent.

Das wilde Innenleben der Wirbelstürme
Vieles von dem, was man über die Vorgänge in einem Hurrikan versteht – von Luftdruck bis Temperatur und Windgeschwindigkeit – stammt von den Piloten des National Hurricane Centers, die in dem mit Messgeräten bestückten Gulfstream IV-SP Stunden im Auge eines Hurrikans fliegen und Daten aufzeichnen.

Doch die Zukunft gehört der unbemannten Erkundung. Heuer im August startet das auf fünf Jahre anberaumte NASA-Projekt HS 3 (Hurricane and Severe Storm Sentinel). Zwei-Global Hawk-Drohnen kommen mit zwei Forschungszielen zum Einsatz:  Informationen sammeln über die Entstehung von Hurrikans (oft vor der Küste Marokkos) und über deren innere Dynamik. Für letzteres ist die Drohne u.a. mit Doppler-Radar, Interferometer zur Messung von Rotation sowie einem Radar für die physikalische Zusammensetzung von Wolken bestückt. Ein Kernstück der Ausrüstung: Dropsonden.

Bis zu 88 Stück dieser Miniaturdatenrekorder können pro Flug in die Hurrikansäule abgeworfen werden. Auf dieser ersten – und letzten – Reise durch das Herz der Hurrikans zeichnet die Sonde Druck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit auf und schickt sie an den Bordcomputer. Ältere Modelle der Sonden haben schon geholfen, die Prognose des Wegs, den ein Hurrikan einschlägt, um zehn Prozent genauer vorherzusagen. Und das ist nicht immer einfach.

Den Weg eines Hurrikans berechnen
Hurrikan Fay 2008 war bemerkenswert unentschlossen. Üblicherweise geht ein Sturm an Land und verliert dabei mit jedem Kilometer über der Landmasse an Energie. Doch Fay schlug vor der Küste Floridas und South Carolins mehrere Haken aufs Meer hinaus, als wollte sie ihre Batterien aufladen. Jedes Mal kehrte der Sturm in voller Hurrikanstärke zurück.

Den Weg eines Hurrikans korrekt zu prognostizieren, rettet Leben. Und spart Millionen. Denn je schmaler der Fehlerbereich, desto weniger Gemeinden müssen sicherheitshalber evakuiert werden. „In unserer 48-Stunden-Prognose ist ein Spielraum von 250 Kilometern eingebaut“, erklärt Chris Landsea vom staatlichen National Hurricane Center in Florida, wo man den Weg von Hurrikanen aus Satellitendaten prognostiziert. Und darauf ist er stolz. „Vor 20 Jahren war der Fehlerbereich noch bei 500 Kilometern“. Punktgenau werde man die Richtung freilich nie hinkriegen, meint er ein wenig resigniert: „Denn die Berechenbarkeit von Hurrikans hat ihre Grenzen.“

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare