"Jeder glaubt, wir verhauen ständig die Wettervorhersage"
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Florence Rabier leitet das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage. Die renommierte Meteorologin, die viele Jahre beim staatlichen französischen Wetterdienst Météo-France tätig war, hat mit ihrer Forschung seit den 90er-Jahren wesentlich zur Verlässlichkeit von satellitengestützten Wetterprognosen beigetragen. Die futurezone sprach mit Rabier am Rande der Europäischen Weltraumwoche in Helsinki.
futurezone: Warum ist es immer noch so schwierig, das Wetter richtig vorherzusagen?
Florence Rabier: Bei kurzfristigen Prognosen sind unsere Modelle schon sehr gut. Gleichzeitig agiert das Wetter immer ein bisschen chaotisch. Eine winzige Änderung irgendwo kann den künftigen Verlauf extrem beeinflussen und somit alles über den Haufen werfen. Wir versuchen das abzufangen, indem wir täglich 50 Simulationen zu möglichen Entwicklungen durchführen.
Wie wählt man die richtige Vorhersage aus diesen zig Möglichkeiten aus?
Genau das ist das Problem. An manchen Tagen kommen alle Modelle und Projektionen praktisch zum gleichen Schluss. Dann kann man die Temperatur auch Tage im Voraus mit maximal einem bis zwei Grad Abweichung vorhersagen. An anderen Tagen weiß man einfach nicht, ob der tropische Zyklon nach Portugal oder Irland abdriftet. Wir tun uns immer noch schwer, diese Ungewissheit in der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Warum eigentlich? Man könnte diese Wahrscheinlichkeiten im Wetterbericht doch thematisieren.
Ja, und das wird auch verstärkt gemacht. Gleichzeitig mögen die Leute unsichere Wetterprognosen nicht. Wenn sie ihre Hochzeit planen, wollen sie wissen, wie das Wetter an diesem Tag wird. Manchmal gibt es diese Sicherheit aber leider nicht.
Was soll man von den unzähligen Wetter-Apps halten, die teilweise völlig konträre Prognosen liefern?
Dass die meisten Apps auch bei 14-tägigen Vorhersagen ganz exakte Werte angeben, ist Teil des vorher genannten Problems. Weil wenn es am Ende nicht stimmt, glaubt natürlich jeder, dass wir ständig die Wettervorhersage verhauen. Die Öffentlichkeit bekommt aber leider nur einen Bruchteil der Informationen zu Gesicht, die etwa wir vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage bereitstellen.
Welche App empfehlen Sie?
Persönlich finde ich die Gratis-App Windy am besten. Sie verwendet zwar standardmäßig unser Modell, man kann aber auch die Modelle anderer meteorologischer Einrichtungen einblenden und miteinander vergleichen. Erstaunlich zuverlässig ist auch Meteoblue. Das Spannende daran ist, dass dieser Dienst aus den verschiedenen verfügbaren Prognosen mittels künstlicher Intelligenz die wahrscheinlichste berechnet.
Welche Rolle wird künstliche Intelligenz künftig für die Wettervorhersage spielen?
Wir bekommen täglich 600 Millionen Datensätze, von denen wir 40 bis 60 Millionen für unser Wettermodell berücksichtigen. Künstliche Intelligenz kann uns helfen, die wirklich wichtigen Daten aufzuspüren oder auch Ereignisse wie einen entstehenden Zyklon frühzeitig zu entdecken.
Inwiefern wird das Internet der Dinge neue Daten liefern?
Künftig werden unzählige Informationen von vernetzten Geräten und Sensoren am Boden zur Verfügung stehen – von Milliarden Handys, die den Luftdruck messen können, bis zu Scheibenwischern in Autos, die Regeninformationen sammeln. Um diese Daten überhaupt verwerten zu können, braucht es intelligente Systeme und enorme Rechenleistung.
Wie wichtig sind Satelliten für die Meteorologie?
98 Prozent der Daten, die wir verwenden, stammen mittlerweile von Satelliten. Bei den restlichen zwei Prozent handelt es sich um Messstationen auf der Erde, die aber überproportional wichtig sind. Nur durch sie können wir das gesamte System kalibrieren und die erhaltenen Satellitendaten validieren.
Tun sich erprobte Wettermodelle mit dem Klimawandel schwer?
Extreme Wetterereignisse sind schwieriger vorherzusagen. Gleichzeitig beruhen unsere Modelle auf den physikalischen Eigenschaften der Atmosphäre. Wenn der CO2-Gehalt, die Feuchtigkeit oder die Temperaturen steigen, fließt das automatisch ein. Wir vertrauen folglich nicht auf Statistiken, sondern simulieren, was tatsächlich gerade passiert.
Gibt es Überschneidungen mit der Klimaforschung?
Um das Wetter, aber auch das Klima besser zu verstehen, genügt es nicht, nur die Atmosphäre zu beobachten. Man muss auch den Kopplungseffekt mit den Ozeanen berücksichtigen. So wie diese viel CO2 aufnehmen, geben sie viel Feuchtigkeit ab und beeinflussen Windsysteme. Aber auch die Beschaffenheit von Landmassen, etwa deren Trockenheit, haben enorme Auswirkungen auf die Atmosphäre. Es geht heute mehr darum, diese Gesamtsysteme zu verstehen.
Wann werden wir das Wetter über mehrere Monate vorhersagen können?
Da bin ich vorsichtig. Während wir beim Wetter bis zu zwei Wochen in die Zukunft schauen und Phänomene wie El Niño auch längerfristig vorhersagen können, gelten Jahreszeiten oder mehrere Monate unter Meteorologen immer noch als „Prognosewüste“.
Wie das?
Selbst das Klima in 100 Jahren können wir leichter simulieren, da es von großen Faktoren, wie der CO2-Konzentration abhängt. Saisonale Prognosen sind deshalb so schwierig, weil sowohl das aktuelle Wetter als auch Großfaktoren, wie der Zustand des arktischen Eisschilds oder die Trockenheit des Bodens, eine Rolle spielen und sich gegenseitig beeinflussen.
Was würde die Vorhersage revolutionieren?
Derzeit unterteilen wir die Atmosphäre in Würfel mit Seitenlängen von 9 Kilometern, in denen die Temperatur, Wind, Luftdruck und die Feuchtigkeit gemessen wird. Je feiner man diese Würfel machen und beispielsweise auf einen Kubikkilometer schrumpfen könnte, desto genauer wären auch die Vorhersagen. Und Hunderte Simulationen pro Tag wären auch besser als die 50, die wir jetzt machen. Klar ist auch: Dazu werden wir viel bessere Rechner und zahlreiche Computer-Wissenschaftler brauchen.
Apropos Wissenschaftler: Auf deren warnende Worte wurde hinsichtlich der drohenden Klimakatastrophe viele Jahre lang nicht gehört. Wie viel Hoffnung setzen Sie persönlich auf Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung?
Was Greta Thunberg und die junge Generation mit ihren Klimastreiks geschafft haben, ist großartig. Sie haben dafür gesorgt, dass viel mehr Leute und mittlerweile auch Politiker begonnen haben zuzuhören und nun auch verstärkt bei uns Forschern anklopfen. Und das ist ja auch, was Thunberg fordert: "Hört nicht mir zu, hört den Wissenschaftlern zu!"
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