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Kinect: Spielzeug erobert Forschung und Kunst

Als Microsoft den schwarzen, 20 Zentimeter langen Plastikriegel 2010 auf der Computermesse E3 erstmals der Weltöffentlichkeit vorstellte, wurde er nur als hektische Reaktion auf den Erfolg von Nintendos Wii Konsole verstanden. Mit Project Natal oder Kinect, wie es offiziell heißt, sprang Microsoft parallel zu Sonys Move-Controller auf den Zug der Bewegungssteuerung auf. Dass das Zubehör Auswirkungen weit über die Game-Branche haben würde, ahnte damals noch niemand, vermutlich nicht einmal Microsoft.

Ein Erfolg - auch abseits der Spiele
Eineinhalb Jahr und 19 Millionen verkaufte Stück später ist klar: Kinect, die Sensorleiste für die Xbox360, sorgt abseits ihres ursprünglichen Einsatzgebietes für weit mehr Furore. Einige Games setzen zwar gekonnt die Eingabemethode ein, die wirklich spannenden Anwendungen finden sich jedoch außerhalb der Spielbranche. Ob in der Robotik, im Gesundheitsbereich oder in der Kunst: Viele bemächtigen sich der Fähigkeiten des 200 Euro teueren Geräts, um damit zu experimentieren und Ideen umzusetzen.

Microsoft geht auf Fans zu
Die große Fan-Basis hat Kinect, dessen Sensoren von der israelischen Firma PrimeSense entworfen wurden,  seiner API zu verdanken. Nachdem Dritte Kinect gehackt und den Code zur Verbreitung ins Netz gestellt hatten, entschloss sich Microsoft nach einigen Monaten, die Treiber selbst für das Gerät zur Verfügung zu stellen. Anstatt Bastler und Programmierer zu verklagen, ging der Konzern auf die Leute zu, und gab ihnen die Werkzeuge, um sich austoben. „Dass Microsoft sich aktiv dahinter gestellt hat und die Sache in die Hand genommen hat, war maßgeblich für den Erfolg verantwortlich. Auch dass sie die Software stetig weiterentwickeln, zeigt, dass sie es ernst meinen", sagt Werner Kurschl von der FH Hagenberg. „Sie haben erkannt, dass es nicht mehr aufzuhalten ist", meint auch Kaufmann. Er experimentiert parallel mit PlayStation Move und bekommt von Sony keinerlei Hilfestellung oder Entgegenkommen.

Künstler entdecken Kinect
Auch in der Kunst-Szene stieß Kinect sofort auf großes Interesse. „Ich habe zu Beginn ein Theremin nachgebaut und dafür nur ein Wochenende gebraucht", sagt Martin Kaltenbrunner, Professor am Interface Culture Lab der Kunstuni Linz. Der Künstler hat das berührungslose Instrument aus den 1920ern „unsichtbar" in Kinect nachgebaut. Auch heute noch verwendet er in seinem Unterricht die Sensorleiste, da Studenten, die nicht so technisch versiert sind, gut damit arbeiten können. „Es kann Personen extrem gut im Raum erfassen. Die Steuerung mit Gesten ist im Gegensatz dazu fast schon banal", so Kaltenbrunner. Aktuell arbeitet jemand etwa an einer Sound-Installation, die ein Gedicht räumlich erlebbar macht.

Dass sich Kinect in der Kunstszene weiterhin großer Beliebtheit erfreut, zeigt auch ein Blick auf die Einreichungen beim weltweit größten Medienkunstfestival, dem Prix Ars Electronica. „2011 hatten wir viele Kinect-Projekte mit klassischen Ansätzen der Körpersteuerung. 2012 hat sich dies nun geändert. Künstler verwenden weniger offensichtliche Zugänge und andere Interaktionsmetaphern", sagt Christopher Lindinger, Leiter Forschung und Innovation im FutureLab und Jurymitglied bei der Ars Electronica. Das Spektrum sei breit und man entdecke immer noch neue Konzepte. Er schätzt, dass heuer rund 10 Prozent der eingereichten Projekte bei Interactive Art Kinect miteinbeziehen.

Im Grunde nichst Neues
Für Kaltenbrunner sind vor allem der günstige Preis, die technische Effizienz und die frei verfügbaren Treiber das herausragende Merkmal von Kinect. Medienhistorisch und in punkto Interface ist es hingegen ein alter Hut (siehe Videos unten). „Kinect hat nichts revolutioniert. Bedienkonzepte und Installationen mit Körpersteuerung gibt es seit den 1970ern. Was damals mit riesigem Aufwand verbunden war, geht nun jedoch deutlich einfacher", sagt Kaltenbrunner. Für Lindinger ist Kinect trotzdem wichtig, da es einen Denkanstoß gab, sich mit Interaktion und Interfaces neuerlich auseinanderzusetzen. Und: „Im Gegensatz zu vielen anderen technischen Entwicklungen, ist Kinect ein Werkzeug, dass nicht einengt, sondern die Möglichkeiten erweitert", so der Künstler.

Während Kaltenbrunner künstlerischen Kinect-Installationen mittlerweile nüchtern gegenübersteht und diese lediglich als Fingerübung sieht, habe das Gerät in den Creative Industries große Chancen. Die Sensorleiste sei ein gutes Werkzeug und ermögliche neue, kreative Geschäftsideen und schräge Experimente, die Microsoft für sich adaptieren könne. Auch Lindinger sieht Kinect genau in jener Trendbewegung, die in den vergangenen Jahre zu beobachten war: „Die Do-It-Yourself-Bewegung ist mit Kunst, Technik und Unternehmertum immer stärker zusammengerückt." Auch er hat 2010, noch bevor Kinect erschienen ist, mit Cadet eine Gruppe gegründet, die mit PrimeSense-Sensoren arbeitet. Ziel war und ist, gemeinsam mit der FH Salzburg die Funktionen von Kinect und ähnlichen Geräten für lokale Industrien aufzubereiten. Es werden Prototypen entwickelt, viel experimentiert. Das Know-How wird dann anderen zur Verfügung gestellt.

Firmen und StartUps setzen auf Kinect
Es überrascht daher nicht, dass Microsoft dieses Jahr ein Förderprogramm gestartet hat, das viel versprechende Kinect-Projekte unterstützt. Aktuell sind in Redmond elf Firmen in einer Art Start-Up-Inkubator einquartiert und entwickeln dort ihre Konzepte weiter. Unter den Projekten findet sich etwa Übi aus München, die aus einer Kombination aus Kinect und Videoprojektor und Multitouch Display entworfen haben. Die Firma Manctl wiederum arbeitet an einer Lösung, mit der Räume mittels Kinect dreidimensional eingescannt und Umgebungen modelliert werden. „Wenn ich die Teams besuche, ist es jedes Mal eine magisches Erlebnis und man hat das Gefühl, der Zukunft ein Stückchen näher zu sein", sagt Peter Zatloukal, Engineering Manager von Kinect. Er ist fasziniert, welche Ideen Leute für Kinect entwickeln. „Das Interesse ist weiterhin groß, vom kleinen Bastler bis zum großen Konzern arbeiten viele damit", so der Ingenieur. 350.000 mal sei das SDK bis dato herunter geladen worden, 350 Firmen, darunter etwa GE Healthcare, Boeing oder Telefonica nutzen das Gerät bereits für kommerzielle Lösungen.

Die Anwendungsgebiete sind jedenfalls sehr breit. Einige Firmen verwenden Kinect für virtuelle Ankleide-Kabinen, um Menschen grob zu vermessen. Andere setzen es für günstiges Motion-Capturing ein. Wieder andere überwachen damit Pflanzen und protokollieren, wie sich deren Größe verändert. Laut Zatloukal kristallisieren sich jedoch gewisse Szenarien heraus, die öfter bearbeitet werden, wie etwa der Reha-Bereich.

Neue Software für neue Anwendungsgebiete
In der neuen SDK-Version (1.5), die seit 21.5. verfügbar ist, wurden nun viele Probleme adressiert, die viele seit längerem kritisieren. So erkennt Kinect Bewegungen nun auch auf kürzere Distanz. Facetracking ist ebenso integriert wie das Speichern des Datenstroms und ein „Sitzmodus". Dieser erlaubt es, alleine anhand des Oberkörpers Bewegungen zu erkennen. „Für Reha-Anwendungen oder auch im Büro-Bereich ist das essenziell", sagt Kurschl. Man müsse natürlich weiterhin Funktionen dazu programmieren, aber das Basispaket werde immer ausgereifter. Für die Zukunft wünscht er sich eine höhere Auflösung bei der Kamera, was wiederum die Genauigkeit bei der Erkennung erhöht. Dazu müsse aber auch die Schnittstelle geändert werden, denn USB 2.0 ist schon jetzt der Flaschenhals bei Kinect. Kaufmann von der TU Wien schlägt in eine ähnliche Kerbe. Auch er will eine höhere Auflösung mit einem dichteren Punktemuster, um noch genauer erfassen zu können – woran PrimeSense dem Forscher zufolge aber bereits arbeitet. Auch Zatloukal von Microsoft deutet an, dass es in diese Richtung gehen wird. „Wir werden weiterhin viel Geld und Forschung in die Weiterentwicklung stecken und Software wie Hardware laufend verbessern", so der Ingenieur.

Am Limit
Laut Kaufmann merke man nach eineinhalb Jahren aber auch erste erste Limits. „Die Hardware-Grenze ist erreicht." So können nur die ersten fünf Meter erfasst werden, für alles darüber hinaus wäre die nötige Lichtstärke zu groß. Zudem funktioniert Kinect, aber auch jede andere Tiefenbildkamera auf IR-Basis nicht im Freien. Die Sonnenstrahlen interferieren mit den IR-Strahlen des Geräts.

Trotzdem sehen sowohl Wissenschaftler als auch Künstler für Kinect eine interessante Zukunft. Die 3D-Kamera sei vielseitig einsetzbar und erlaube ganz natürliche Bedienkonzepte. In vielen Anwendungsbereichen macht diese Art der Steuerung einfach mehr Sinn, so Kurschl von der FH Hagenberg. Allerdings gilt es zu bedenken, dass sicherlich nicht alles funktionieren wird und derzeit auch viel Hype um das Gerät gemacht wird. „Aktuell ist jeder in der aufregenden Phase des Herausfindens und Experimentierens. In den kommenden Jahren wird sich dann weisen, was tatsächlich eine Erleichterung bringt."

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Benjamin Sterbenz

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