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Science

Wie Medizinprodukte ohne Tierversuche getestet werden

Jedes Jahr müssen rund 100 bis 300 Millionen Mäuse, Ratten oder Kaninchen weltweit leiden, weil sie für Tierversuche eingesetzt werden. Seit 2013 gibt es in der EU ein Tierversuchsverbot für Kosmetika. Um die Sicherheit von Medizinprodukten zu gewährleisten, werden noch immer Tiere eingesetzt. Doch das ändert sich jetzt langsam. „Es hat eine lange Zeit noch keine wirklichen Alternativen dazu gegeben“, sagt Elisabeth Mertl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI).

Die Biotechnologin beschäftigt sich allerdings genau mit diesen Alternativen. Im Zuge des Forschungsprojekts „BioRelation“ entstand am OFI eine validierte In-Vitro-Screening-Methode als echte, ernstzunehmende Alternative zu Tierversuchen. Diese Methode kann zur Bewertung von sensibilisierenden und reizenden Eigenschaften von Medizinprodukten eingesetzt werden. „Unsere Methode funktioniert schon sehr gut bei allen Medizinprodukten, die nicht in den Körper eindringen“, erklärt Mertl.

Hautreizungen werden getestet

„Das sind etwa Hörgeräte, Bandagen, Prothesen oder Brillen. Auch bei Produkten, die nur kurz mit dem Inneren in Kontakt kommen, wie etwa Operationsbesteck, geht unsere Methode auch schon gut. Lediglich bei Implantaten kommt es stark darauf an, aus was für Materialien diese bestehen, da braucht es zusätzliche, toxikologische Bewertungen“, erzählt Mertl im Gespräch mit der futurezone.

Denn bei der Entwicklung von Medizinprodukten steht die Sicherheit der Patient*innen an oberster Stelle. Einerseits gibt es strenge Regelungen, die festlegen, welche die Produkte mindestens erfüllen müssen, andererseits werden die Produkte im Anschluss auch gründlich darauf untersucht, ob sie Hautreizungen oder Hautsensibilisierungen hervorrufen können.

Künstliche Haut ersetzt Tierversuche

Bei Tierversuchen läuft die Untersuchung der Sicherheit eines Produkts folgendermaßen ab: „Das Tier, etwa ein Hase, wird am Rücken rasiert. Dann wird die Testsubstanz aufgebracht. Nach mehreren Tagen oder Wochen wird die Hautstelle begutachtet und auf einer Skala eingeschätzt, wie die Stelle aussieht. Also etwa, ob sich Pusteln gebildet haben, oder ob die Stelle gerötet ist. Das wird also optisch evaluiert“, erklärt Mertl.

Bei In-Vitro-Screening-Methoden hingegen kommt künstliche Haut ins Spiel. „Man kann Haut so züchten, dass man mehrere Schichten hat. Ganz oben ist eine Hornhaut, wie in Echt. Das lässt sich im Labor nachzüchten. Auf die künstliche Haut kommt dann die Testsubstanz drauf und nachher sieht man sich an, wie gut es den Zellen geht“, beschreibt die OFI-Forscherin den geänderten Prozess.

Um zu sehen, ob Zellen in unterschiedlichen Hautschichten am Leben sind, oder ob sie absterben, wird eine Färbelösung aufgetragen, mit der vitale Zellen sichtbar und messbar gemacht werden. „Anhand der lebendigen Zellen lässt sich eine Aussage treffen, welchen Effekt die Substanz auf die Haut hat“, sagt Mertl. Für den Sensibilisierungstest wird eine Kombination aus 2 Methoden herangezogen, denn ob etwas eine Allergie auslöst oder nicht, ist noch etwas schwieriger herauszufinden.

Dr. Elisabeth Mertl im OFI-Labor bei der Forschung

Warum die Methode viele Vorteile mit sich bringt

"Dieses Testsystem ist viel geeigneter, um herauszufinden, wie Menschen reagieren, als Tierversuche", sagt die Forscherin. „Die große Herausforderung war es, komplexe Probleme, die im Körper auftreten können, wie z.B. eine Allergie, auf einzelne Schritte in einem Zellsystem herunterzubrechen und sie so erfassbar zu machen“, erklärt Mertl.

Doch wie anerkannt ist diese Methode bereits? „Prinzipiell sind alle Hersteller sehr glücklich mit der Entwicklung, weg von Tierversuchen zu gehen. Es gibt aber von manchen noch eine gewisse Angst, wie Zulassungsstellen reagieren“, so die Forscherin. Während es bei europäischen Zulassungsstellen kaum Probleme gebe, seien manche Hersteller vorsichtig, wenn sie ein Produkt in den USA oder Asien auf den Markt bringen wollen.

„Beim Irritationstest gibt es kaum Probleme, bei den anderen Verfahren, die gerade erst fertig entwickelt wurden, sieht die Sache noch ein wenig anders aus“, so Mertl. Generell würden die neuen Methoden neben der Tatsache, dass diese ethisch korrekt seien, auch viele weitere Vorteile für Hersteller mit sich bringen: Sie sind billiger und schneller. „Mit tierversuchsfreien Methoden ist es möglich, auch Zwischenschritte in der Entwicklung zu testen, um Informationen zur Produktqualität zu erhalten“, sagt die Forscherin. Mit Tierversuchen lassen sich hingegen nur Endprodukte testen.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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