The Space Elevator
The Space Elevator
© Alan Chan and the Space Elevator Visualization Group

Vision

Mit dem Weltraumlift vom Äquator direkt ins All

Der dritte Tag der Space Elevator Conference beginnt mit einer Brainstorming-Runde der fantastischen Art. „Stellt euch vor, der Weltraumlift ist fertig. Was macht ihr jetzt damit?", fragt Bryan Laubscher in die Runde, und die Arme fliegen in die Höhe. Siedlungen im Asteroidengürtel, eine Titanschaumfabrik, ein Dritter will jede Woche einen Roboter hinaufschicken, um späteres Terraforming am Mars vorzubereiten. Michael Fitzgerald, der an Projekten für DARPA arbeitet, den Forschungsarm des US-Verteidigungsministeriums, witzelt, dass wohl auch dort oben eine Hauptverkehrsstraße entstehen würde: ein paar Gemischtwarenläden von 7-Eleven, dazwischen Starbucks-Filialen und ein paar offene Anstalten.

Knapp 50 Wissenschafter, Ingenieure, Hobbyisten, Studenten und ein paar Unternehmer trafen sich Ende August in Seattle zur Space Elevator Conference und diskutierten drei Tage lang über technische Details des sagenumwobenen Weltraumlifts. Laubscher, der früher am Los Alamos National Lab forschte, arbeitet einer neuen Methode zur Herstellung von Kohlenstoffnanoröhren, jenem Material, aus dem das Liftseil entstehen soll: „Alles, was wir brauchen, ist ein billiger Weg ins Orbit, und schon sind wir im Geschäft.“

Der Turm ins All

Die Idee des Weltraumlifts geht auf den russischen Mathematiklehrer und Amateurforscher Konstantin Ziolkowski zurück, der 1903 als Erster die Raketengrundgleichung aufstellte. Ziolkowski war auf der Pariser Weltausstellung vom Eiffelturm beeindruckt, danach tüftelte er am Konzept eines Turms, der bis ins geostationäre Orbit (GEO) reichen und an dessen Spitze eine Raumstation untergebracht sein sollte. Doch ein Turm, der 35.800 Kilometer über den Meeresspiegel bis ins GEO ragt, müsste einen Durchmesser von hunderten Kilometern haben, um sein eigenes Gewicht tragen zu können.

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Später wurde die Idee vom Erfinder und Science Fiction-Autor Arthur C. Clarke aufgegriffen. 1945 publizierte er einen Artikel über geostationäre Kommunikationssatelliten und inspirierte den Ingenieur und Weltraumforscher Jerome Pearson zum Konzept der „Orbit-Türme“. Mit Pearsons Paper im Journal Acta Astronautica hatte der Weltraumlift sein erstes physikalisches Fundament. Um die Masse möglichst gering zu halten, schlug Pearson eine keilförmige Konstruktion vor: der Durchmesser sollte von der Erde aus in Richtung GEO zunehmen. Außerdem müsste der Lift über die Umlaufbahn der Wetter- und Kommunikationssatelliten hinausreichen, um zwischen Erdanziehung- und Fliehkraft ausbalanciert zu sein. Die von Pearson berechnete notwendige Länge des Weltraumlifts: 144.000 Kilometer.

Clarkes Roman „Fahrstuhl zu den Sternen“, der 1979 erschien, und bei dem Pearson mit technischer Beratung geholfen hatte, machte die Idee schließlich bei Science-Fiction-Fans bekannt. Aus welchem Material das Liftseil sein sollte, darauf hatten weder Clarke noch Pearson eine Antwort. In den 1970ern galt Kevlar zwar als neues Wundermaterial. Doch obwohl die Kunstfaser besonders leicht und bei gleichem Gewicht fünf Mal so fest wie Stahl ist, müsste das Liftband laut Pearsons Berechnungen im GEO 250 Mio. Mal dicker sein als auf der Erde.

Am seidenen Faden

Die Anfang der 90er-Jahre erfundenen Kohlenstoffnanoröhren schienen plötzlich den Anforderungen an das Liftseil zu entsprechen. Je nach Aufbau – einwandig oder mehrwandig – sind die röhrenförmigen Gebilde, bei denen sich Kohlenstoffatome zu einer wabenartigen Struktur zusammensetzen, nur ein Drittel dichter als Wasser und gleichzeitig 30 Mal so stark wie Stahl. Abseits des Mikroskops sieht die Substanz aus wie dunkler Staub. Als verwobenes Material ähnelt sie einem seidigen, sehr dünnen Wollfaden.

Weil Kohlenstoffnanoröhren mit nur rund einem Zehntel-Millimeter pro Sekunde äußerst langsam wachsen, werden sie auf großen Flächen hergestellt. Doch nach der Verarbeitung zu Fäden sinkt auch die Reißfestigkeit des Materials. Als Lösung gelten längere Kohlenstoffnanoröhren, die die Reißfestigkeit des Endprodukts erhöhen sollen. Allerdings wird die für den Weltraumlift benötigte Länge, bei gleichzeitig hoher Festigkeit, heute noch nicht erreicht.

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Physiker Laubscher will indes eine passende Herstellungsmethode entdeckt haben. Viel mehr als den Namen der Technologie – Trekang – und dass er mit seinem Unternehmen Odysseus Technologies gemeinsam mit der University of Washington und der University of Cincinnati daran arbeitet, verrät er nicht. Nur, dass er dabei ohne heißes Gas auskommt. Immerhin würde dieses die Kohlenstoffnanoröhren bei der üblichen chemischen Herstellung, der Gasphasenabscheidung, zu stark beschädigen.

Liftbasis am Äquator

Das Liftseil mag noch fehlen, doch das restliche Konzept werde immer ausgereifter, sagt Peter Swan, Präsident des International Space Elevator Consortium (ISEC), das sich um die Weiterentwicklung der Weltraumlift-Idee kümmert und die jährliche Konferenz ausrichtet. Bei den Eckdaten für den Weltraumlift orientieren sich die Wissenschafter am Buch „The Space Elevator“ des Physikers Bradley C. Edwards, der unter anderem NASA-Studien einbezieht. Jedes Jahr justiert die ISEC die technischen Details nach.

Als Standort für den Weltraumlift haben sich die Wissenschafter auf eine Position rund tausend Kilometer westlich der Galapagos-Inseln geeinigt, laut Swan eine ruhige, wenig bewölkte Meeresgegend am Äquator. Der Weltraumlift soll dort an einer beweglichen Plattform befestigt sein – halb Frachter, halb Bohrinsel –, um unter anderem Weltraumschrott auszuweichen zu können. Als Eckdaten für das Liftseil gelten derzeit zehn Meter Breite auf der Erde bei einer Reißfestigkeit von 240 Gigapascal. Bis zur geostationären Umlaufbahn hin soll sich das Band um den Faktor sechs verbreitern. Das sei im Verhältnis zur geplanten Last sogar ein noch größerer Sicherheitspolster als in der Luftfahrt, so Swan.

Laser oder Bungee-Seil

Die Klettereinheit („climber“) soll eine Mischung aus Satellit und Roboter mit Greifarm sein, im Leerzustand sechs Tonnen wiegen und weitere 14 Tonnen an Fracht aufnehmen können. Die Mitnahme von Personen ist vorerst nicht geplant. Entsprechend der vielen Fragezeichen rund um den Antrieb, sind die Daten für die Geschwindigkeit vage: diese könnte zwischen mehreren Metern pro Sekunde und mehreren Dutzend Metern pro Sekunden liegen.

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Die Forscher sind sich zwar einig, dass außerhalb der Atmosphäre Sonnenkollektoren die beste Art der Energiegewinnung seien. Doch wie der Roboter ins Orbit gelangen soll, darüber gehen die Ansichten auseinander. Edwards schlägt in seinem Buch Laser als beste Antriebsmethode vor. In Seattle gaben sich die Konferenzteilnehmer dazu vorsichtig. Laser würde die Verwendung von Waffentechnologie bedeuten. Zu den technischen Herausforderungen, einen 20-Tonnen-Roboter mittels Laser in knapp 40 Kilometer Höhe zu transportieren, kämen dann womöglich noch politische, hieß es. 2012 einigte sich die ISEC, dass Laser eine „gangbare“ Lösung sei, es aber noch kein System gäbe, das den Anforderungen entspricht. Alternative Transportvorschläge reichen von einem Ballon hin zu einer Art Verlängerungskabel, mit dem das Liftseil gespannt und der Roboter in die Höhe geschnellt werden soll. Es ist nicht weiter überraschend, dass diese Methode nur als „Plan B“ gilt.

Raketentechnologie ausgereizt

Eines der wichtigsten und bodenständigeren Argumente für den Weltraumlift ist der vergleichsweise billige Zugang zum Orbit. 20.000 Dollar kostet es heute, um einen Kilogramm Ladegut mittels Rakete in die Umlaufbahn zu transportieren. Mit dem Weltraumlift soll der Kilogramm-Preis auf 500 Dollar sinken. Anstatt teure und empfindliche Fracht auf explosiven Treibstofftanks zu befestigen, die ins Orbit rumpeln, sollen die Vibrationen beim Weltraum gerade einmal mit einem „Marshmallow, das in einen Pool fällt“ vergleichbar sein, so die ISEC in ihrem Bericht.

„72 stinkende Raketenstarts“ hätte es alleine 2012 gegeben, sagt Swan, der damit auf die Umweltbelastung der Technologie anspielt. Bis zu 95 Prozent der Raketenmasse sei Treibstoff, eine weitere Effizienzverbesserung schließt er aus. Insgesamt ist auf der Konferenz ein deutliches Misstrauen gegenüber Raketenbauern und ihrer wirtschaftlichen Stärke merkbar, einige Teilnehmer erwarten sich auch Widerstand gegen das Lift-Projekt.

20 Jahre bis zur Lift-Inbetriebnahme

Clarkes Roman über den Bau eines Weltraumlifts prägte die Fantasie vieler, die heute an dem Projekt arbeiten. Wenn den Studenten, der gerne Chinas Repräsentant für das Weltraumlift-Projekt werden möchte, den ehemaligen Air Force-Oberstleutnant, der seit seiner Pensionierung als Satelliten-Systemanalytiker für Motorola arbeitet und den Physiotherapeuten mit Hang zu technischen Gedankenexperimenten etwas vereint, dann ist es die Begeisterung für Science Fiction.

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Auf die Frage eines Journalisten, wann es den Weltraumlift denn endlich geben würde, antwortete Clarke seinerzeit: „Ungefähr zehn Jahre, nachdem die Leute aufgehört haben darüber zu lachen.“ Swan wird heute schon konkreter: „Wir sind 20 Jahre von der Inbetriebnahme entfernt“, sagt er. Das für das Liftseil nötige Material würde ab 2015 in den Labors entwickelt werden. Dann fügt er noch hinzu: „Es gibt noch so viele Fragen zu klären. Es ist also völlig in Ordnung zu sagen, wir haben keine Ahnung.“

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Alexandra Riegler

neufrucht

Alexandra Riegler arbeitet seit sieben Jahren als freie US-Korrespondentin. Von ihrem aktuellen Standort Seattle aus berichtet sie über wissenschaftliche und technologische Themen mit Schwerpunkt Pazifischer Nordwesten und Kalifornien. Alexandra hat eine Vorliebe für Reportagen und skurrile Forschungsstorys.

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