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Wissenschaft

"Nutzer sind die dunkle Materie der Innovation"

Ob Software, Fahrräder, Surfbretter, Rasenmäher oder Frankiermaschinen, Kunden verändern Produkte, passen sie ihren Bedürfnissen an und entwickeln sie weiter. "Die Anzahl der Kunden, die innovativ tätig werden, übersteigt die Anzahl von Personen, die dies in Unternehmen tun", sagt Eric von Hippel. Der 70-jährige Professor an der MIT Sloan School of Management erforscht seit den 80er-Jahren Nutzerinnovationen und entwickelt Methoden, wie Innovations- und Entwicklungsprozesse mit Hilfe von Nutzern verbessert werden können. Vergangene Woche war Von Hippel bei der "Open and User Innovation"-Konferenz am Institut für Entrepreneurship und Innovation an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) zu Gast. Die futurezone hat den Begründer der Nutzerinnovationsforschung zur Kreativität der Nutzer und die Auswirkungen auf Unternehmen und Gesellschaft befragt.

futurezone: Was motiviert Nutzer, Produkte weiterzuentwickeln?
Eric von Hippel: Sie haben einen Bedarf an diesen Innovationen. Unsere Studien haben ergeben, das Massenprodukte nur rund 40 Prozent der Nutzerbedürfnisse abdecken. Die Hersteller halten es wirtschaftlich auch nicht für sinnvoll, auf all diese heterogenen Bedürnisse einzugehen. Die Nutzer wollen diese Produkte also ihren Bedürfnissen anpassen. Durch neue technologische Möglichkeiten ist es für die Nutzer auch einfacher geworden, innovativ tätig zu werden. Dazu nötige Software wird billiger und besser. Das Internet macht die Kommunikation zwischen Nutzern einfacher.

In welchen Bereichen finden Nutzerinnovationen statt?
In fast allen Bereichen. Leute beschäftigen sich mit Dingen, die ihnen wichtig sind. Und es ist tatsächlich so, dass fast alles für irgendjemanden wichtig ist. In meinen Kursen am MIT haben wir häufig Unternehmen, die das nicht glauben wollen. Es gibt etwa das wunderbare Beispiel eines Unternehmens, das Rasenmäher herstellt. Im Netz haben wir sehr schnell Leute gefunden, die diese Rasenmäher zu Robotern umfunktioniert haben, sodass sie sie mit GPS steuern konnten. Oder nehmen Sie zum Beispiel Frankiermaschinen. Es gibt nichts langweiligeres als Frankiermaschinen. Sie finden aber auch Leute, denen diese Produkte wichtig sind.

In welcher Größenordnung bewegt sich die Nutzerinnovation?
In manchen Industrien haben wir Werte von bis zu 40 Prozent der Nutzer. Wir haben vor kurzem begonnen, Zahlen zu Nutzerinnovationen in der Gesamtbevölkerung zu erheben. Vergangenes Jahr führtenwir unsere erste Studie in Großbritannien durch. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass 6,2 Prozent der Bevölkerung Produkte weiterentwickeln. Das sind 2,9 Millionen Personen. Gemeinsam wenden sie 2,3 Mal soviel Zeit an der Weiterentwicklung von Produkten auf, wie alle Unternehmen zusammengenommen.  Die Innovationen der Nutzer fließen aber nicht in die offiziellen Statistiken ein, weil sie frei weitergegeben und nicht verkauft werden. Wenn also beispielsweise eine Million Leute das freie Betriebssystem Linux nutzen, scheint das nicht in den offiziellen Statistiken auf. Nutzer sind die dunkle Materie der Innovation. Wir wollen auch Studien in anderen Ländern, etwa in den USA durchführen, um ein politisches Umdenken zu bewirken.

Verfolgt man aktuelle Diskussionen über die Verschärfung von Gesetzen zum Schutz des geistigen Eigentums und des Urheberrechts in Europa und den USA, dürfte es einigen Nachholbedarf geben.
Die Politik weiß mit Nutzerinnovationen nichts anzufangen. Sie geht davon aus, dass Innovationen von Unternehmen kommen. Die Politik geht immer noch davon aus, dass Innovationen von Unternehmen kommen. Regierungen verwenden heute viel Zeit darauf, Unternehmen beim Schutz ihrer Rechte an geistigem Eigentum zu unterstützen. Offenheit sollte aber den gleichen Stellenwert haben. Die Politik sollte die Leute auch dabei unterstützen, Innovationsprozesse zu öffnen. Denn Nutzerinnovationen verbessern das Leben der Bürger. Sie ermöglichen es ihnen, das zu bekommen, was sie wollen und nicht das, was ihnen jemand verkaufen will.

Wie wichtig sind Offenheit und das Teilen im Zusammenhang mit Nutzerinnovationen?
Das Prinzip, dass man von Innovationen erst dann profitiert, wenn sie verkauft werden, gilt nicht mehr. Nutzer profitieren von ihren Innovationen, indem sie sie nutzen. Es ist ihnen egal, ob ihre Innovationen auch von anderen Nutzern verwendet werden, weil sie sie nicht verkaufen wollen. Wir haben in unseren Studien herausgefunden, dass sowohl industrielle Nutzer als auch Konsumenten ihre Innovationen üblicherweise mit anderen teilen und frei zugänglich machen. Aus der Sicht der Nutzer ist das eine klare Sache. Wenn Sie etwa Verbesserungen an einem Mountain-Bike vornehmen, dann ist es für Sie von Vorteil, wenn auch ich diese Innovationen nutzen kann, weil wir dann gemeinsam Radfahren können. Oft sind diese Innovationen auch in Zusammenarbeit mit anderen Nutzer entstanden, sodass der Urheber gar nicht festgestellt werden kann. Offenheit ist auf der Seite der Nutzer eine Notwendigkeit, weil viele dieser Innovationen auf den Ideen anderer Nutzer aufbauen.

Welche Chancen bieten sich Unternehmen durch die Innovation der Nutzer?
Für Unternehmen ist es wichtig, zu erkennen, dass Nutzer ihre Produkte weiterentwickeln. Ob sie es mögen oder nicht. Sie müssen also versuchen, zu diesen Nutzern Beziehungen aufzubauen. Sie müssen lernen, wie sie diese Nutzer dabei bestmöglich unterstützen können. Sie müssen sich auch überlegen, wie sie die Nutzer dafür belohnen können und was von den Nutzern für fair erachtet wird. Dann werden die Nutzer auch mit ihnen zusammenarbeiten.

Bemerken Sie ein Umdenken?
Unternehmen verfolgen ihre Geschäftsmodelle üblicherweise solange, bis sie zum Umdenken gezwungen werden. Innovationen sind für Unternehmen auch Kostenfaktoren. Wenn Unternehmen mit anderen Unternehmen konkurrieren, die niedrigere Kosten haben, weil ihr Geschäftsmodell auch User-Innovationen berücksichtigt, dann haben sie gar keine andere Wahl, als sich zu verändern. Da entsteht auch ein neuer Wettbewerb zwischen Unternehmen. Sie müssen sich überlegen, wie sie Nutzer dazu bekommen können, ihre Produkte zu verbessern.

Nicht alle Unternehmen mögen es, wenn Nutzer ihre Produkte modifizieren. Sony etwa drohte vor kurzem einem Hacker mit einer Klage, weil er die Sicherheitssysteme der PlayStation3 unterwanderte und so die Installation von Software von Drittentwicklern ermöglichte.
Sony ist dafür berüchtigt, Leute zu verklagen, die seine Produkte verbessern wollen. Sony versuchen mit solchen Maßnahmen Piraterie zu unterbinden, aber es trifft auch innovativen Kunden. Auch wenn sie es nicht beabsichtigen. Es ist vielen Unternehmen gar nicht bewusst, welchen Kollateralschaden solche Maßnahmen anrichten. Aus meiner Sicht, sind sie Narren. Sie verfolgen eine veraltete Strategie. Sie haben jedes Recht dazu, das zu tun. Aber das bedeutet auch, dass innovative Nutzer wohl auf die Geräte anderer Unternehmen zurückgreifen werden.

Sie haben das Konzept der Lead User entwickelt. Was macht diese Nutzergruppen aus. Wie können sie gefunden werden?
Lead User haben zwei Charakteristika. Sie sind in ihren Bedürfnissen dem Massenmarkt voraus. Sie haben Anforderungen an Produkte, für die es noch keinen Markt gibt und müssen diese Produkte deshalb selbst weiterentwickeln. Sie haben auch einen besonders hohen Anreiz das zu tun, weil sie es dringend brauchen. Lead User gibt es sowohl unter Unternehmen als auch unter Konsumenten. Nehmen sie etwa das Beispiel von Pixar, einem Unternehmen, das auf Computeranimationen und Spezialeffekte spezialisiert ist. Pixar hat besondere Anforderungen an Software für den Videoschnitt, die den üblichen Anforderungen an solche Produkte weit voraus sind, und sie brauchen diese Software für ihre Produkte. Pixar ist also ein typischer Lead User.

Sind Unternehmen für die Innovationsentwicklung bald überflüssig?

Wir sprechen hier vom Design. Wir sehen, dass Nutzern dieselben technologischen Möglichkeiten bei der Entwicklung von Designs zur Verfügung stehen, wie großen Unternehmen. Sie können sich Software günstig herunterladen und verfügen über leistungsfähige Computer. Die Nutzer brauchen also die Unternehmen nicht mehr, um Produkte zu entwickeln. Im Falle von Informationsgütern wie etwa Software, bei denen das Design das Produkt ist, brauchen sie keine Hersteller mehr. Mit physischen Produkten, die produziert und vertrieben werden müssen, kommen aber wieder Unternehmen ins Spiel.

Auch 3-D-Drucker, mit denen sich von digitalen Designvorlagen ausgehend, dreidimensionale Objekte herstellen lassen werden zunehmend auch für Endnutzer zu leistbaren Preisen verfügbar. Welche Auswirkungen hat das?
Ich habe einen 3-D-Drucker zu Hause. Die Möglichkeiten dieser Geräte sind noch sehr begrenzt. Sie ermöglichen es Nutzern vielleicht einmal, spezielle Produkte für sich herzustellen.Aber Massenproduktionstechnologien, mit denen Gegenstände des allgemeinen Bedarfs billiger hergestellt werden können, wird es auch weiterhin geben. Heute hat wahrscheinlich jeder einen 2-D-Drucker zu Hause. Wenn Sie aber ein Buch drucken wollen, werden sie dennoch zu einer Druckerei gehen, weil sie größere Maschinen hat. Hersteller werden also noch weiterhin existieren.

Wie sehen Sie die Zukunft der Innovation?
Ich glaube, dass Innovationsprozesse offener und freier werden. Immer mehr Leute, werden in der Lage sein, Dinge zu entwickeln, die für sie nützlich sind.  Jene, die auch für andere nützlich sind, werden wohl von Unternehmen übernommen und am Markt angeboten werden. Das läuft auf eine enormes Wachstum an Entwicklungen im Produkt- und Dienstleistungsbereich hinaus. Davon profitieren wir alle. Die Prozesse werden offener und das ist gut so.

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Eric von Hippel gilt als Begründer der User-Innovationsforschung. Der 70jährige Ökonom ist Professor an der MIT Sloan School of Management und hat zahlreiche Publikationen zu Nutzerinnovationen und Free and Open Source Software (FOSS) veröffentlicht und unter anderem die Lead-User-Methode entworfen, die es Unternehmen ermöglicht, innovative Nutzer zu identifizeiren und Nutzerinnovationen für sich zu nutzen.

Literatur
Von Hippels Bücher "The Sources of Innovation" (1988) und "Democratizing Innovation" (2005) stehen  unter einer Creative-Commons-Lizenz auf seiner Website zum Download bereit.

Forschung zu Open and User Innovation
In den vergangenen Jahren weckten die Innovationen von Nutzern zunehmend das Interesse der Wissenschaft. Nutzerinnovationsforschung gilt längst nicht mehr als exotisches akademisches Feld. Österreichische Forscher nehmen auf dem Gebiet eine zentrale Position ein. Das von Nikolaus Franke und Christopher Lettl geleitete Institut für Entrepreneurship und Innovation an der WU Wien gilt als das weltweit führende Kompetenzzentrum im Bereich Open und User Innovation.

Konferenz
An der  "Open and User Innovation"-Konferenz, die Anfang Juli an der WU Wien stattfand, nahmen 170 Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen teil.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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