Österreichs Industrie im Kampf mit dem Bahnlärm
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Neben Lichtsmog und Luftverschmutzung zählt der Verkehrslärm durch Luftfahrt, Straßen- und Schienenverkehr zur größten Belastung für Menschen in der industrialisierten Welt. Die Schiene gilt - nicht zuletzt aufgrund der Vermeidung von CO2 - sowohl für den Transport von Gütern, aber auch Personen als umweltfreundliche Alternative zur Straße und soll laut EU-Plänen in den kommenden Jahrzehnten weitaus stärker als bisher zum Einsatz kommen. Neben logistischen Herausforderungen wird dabei aber auch die steigende Lärmbelastung zum Problem.
Hohe Dezibelbelastung
„Durch die höheren Geschwindigkeiten der Züge, aber auch Material-Änderungen an Rädern und Schienen, hat die Belastung durch Schallemissionen in den vergangenen Jahren stark zugenommen“, erklärt Jost Bernasch, Geschäftsführer des Grazer Forschungs- und Entwicklungszentrums Virtual Vehicle, im Gespräch mit der futurezone. „Während die WHO in der Nacht etwa bereits ab 42 dB(A) von einer Beeinträchtigung des Menschen spricht, sind 70 bis 80 dB(A) an österreichischen Hauptstrecken keine Seltenheit“, so Bernasch, der über das Thema auch bei den diesjährigen Technologiegesprächen in Alpbach referierte.
Gemeinsam mit der starken heimischen Rail-Industrie - zu den Partnern zählen etwa die voestalpine Schienen, die voestalpine VAE, Siemens, Wiener Linien, aber auch Plasser & Theurer - sollen deshalb neue Wege und Lösungen aufgezeigt werden, wie die Lärmbelastung durch den Zugverkehr eingedämmt und gleichzeitig Instandhaltungskosten durch verringerte Verschleißerscheinungen gesenkt werden können. Denn die beiden Themen sind eng miteinander verbunden.
Rad vs. Schiene
Laut Bernasch entsteht die größte Schallemission bei einer Fahrtgeschwindigkeit bis 180 km/h durch den Kontakt zwischen Rad und Schiene. Beide Elemente dienen dabei als Schallkörper, deren Beschaffenheit und Konstruktion wesentlich dazu beitragen, wie laut ein Zug durch die Gegend donnert. Weitere Geräuschverursacher sind der Antrieb, der allerdings nur bei Geschwindigkeiten bis 25 km/h eine wesentliche Rolle spielt, und die Bremsen. Erst ab 200 km/h spielt der aeroakustische Effekt neben dem Rollgeräusch die Hauptrolle.
Negativ für die Geräuschentwicklung ist die Rauhigkeit von Rad und Schiene, die durch den Abrieb der beiden Komponenten hervorgerufen wird. „Die Hersteller haben zwar in der Vergangenheit sowohl das Material von Schienen als auch Räder noch härter gestalten können, durch die fehlende Abstimmung der betroffenen Komponenten und des Gesamtsystems hat das bei der Lärmentwicklung und teilweise auch beim Verschleiß trotzdem nicht uneingeschränkt positive Effekte hervorgerufen“, sagt Bernasch.
Komplexe virtuelle Simulationsmodelle, auf die sich Virtual Vehicle spezialisert hat, sollen hier Abhilfe schaffe. Mithilfe derartiger Simulationen, die physikalische Effekte bis hin zu Wetter- und Umwelteinflüssen genau abbilden und berücksichtigen können, sollen Bahnbetreibern und deren Zulieferpartnern ein abgestimmtes Gesamtsystem finden, dessen Abnutzung aber auch die Lärmemissionen möglichst gering gehalten wird. Denn werden Schienen, aber auch andere Komponenten stark beansprucht, steigt nicht nur die Lärmbelästigung, sondern müssen auch in kürzeren Abständen teure Wartungsarbeiten durchgeführt werden.
Made in Vorarlberg
Ebenfalls einen Beitrag in Richtung Lärmvermeidung und verlängerter Lebensdauer des Schienennetzes leistet der Vorarlberger Hersteller Getzner Werkstoffe, der sich im Nischen-Bereich Schwingungsisolierungen zum Weltmarktführer im Bahngeschäft emporgearbeitet hat. Das seit 45 Jahren existierende Hightech-Unternehmen hat sich auf Polyurethan-Elastomere spezialisiert, die als Federdämpf-Elemente direkt unterhalb der Schiene, als Schwellenbesohlung bzw. auch als Matte unter dem Schotter angebracht sind.
Durch die Elastomere werden die durch einen fahrenden Zug ausgelösten Vibrationen minimiert, was einerseits zur Lärmreduktion führt, andererseits aber auch den Verschleiß entscheidend verringert. „Vor allem in Kurven, von denen es in Österreich bekanntermaßen einige gibt, aber auch bei Übergängen von freiliegenden Strecken in Tunnel und Brücken, ist die Belastung des Materials enorm. Mit unserer Entwicklung kann die Instandhaltungszeit um bis zu 250 Prozent verlängert werden“, sagt Getzner-CEO Jürgen Rainalter im Gespräch mit der futurezone. Mittel- bis langfristig gesehen werde das Thema Elastizität beim nachhaltigen Schienennetzbau eine noch viel wichtigere Rolle spielen.
Lange Bahntradition
Dass Österreich über derart viel Expertise bei Bahntechnologien verfügt - neben der voestalpine, die mit ihren Töchterunternehmen Weichen und Schienen in die ganze Welt liefert, stellt Österreich mit Plasser und Theurer auch den Weltmarktführer beim Thema Schienen- und Netzwartung - führt Rainalter auf die lange Tradition der Bahn und die technologische Offenheit der Bahnbetreiber in Österreich zurück. Durch die hohe Spezialisierung und das notwendige Know-how könne ein Unternehmen wie Getzner auch vom Standort Vorarlberg aus im Weltmarkt mitmischen.
Neben Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich entwickeln sich vor allem China mit seinen über 130.000 Kilometern Bahnnetz, aber auch Südamerika und Indien, wo die Bahninfrastruktur noch nicht auf dem neuesten Stand sei, zu interessanten Zukunftsmärkten. Aber auch in Europa führt laut Rainalter kein Weg an der Schiene vorbei: „Wenn man Verschleiß, Umweltverschmutzung, Unfallstatistik und Transporteffizienz berücksichtigt, kann man gerade im Güter-Fernverkehr nur zum Schluss kommen, dass die Bahn ausgebaut werden muss.“
Billiger ist oft teurer
Als Herausforderung sieht Rainalter allerdings die angespannte finanzielle Situation in vielen Ländern, die zumeist auch als Infrastruktur-Instandhalter agieren bzw. über Private-Public-Partnerschaften Netzprojekte auf Schiene bringen wollen. Denn qualitativ hochwertige Strecken zu bauen komme über die Jahrzehnte gerechnet definitiv billiger als ein Streckennetz, das zwar in der Erstellung vermeintlich günstiger sei, nach zehn Jahren aber schon wieder komplett erneuert werden müsse.
Auch der Geschäftsführer von Virtual Vehicle, Jost Bernasch, plädiert dafür, dass die stärkere Abnützung etwa durch ältere Lokomotiven und Waggons in Zukunft stärker berücksichtigt werden müsse. Um hier entgegenzuwirken, aber auch Gesamtsysteme leiser zu gestalten, werde man vermutlich um politische Vorgaben seitens der EU nicht umhinkommen, glaubt Bernasch. Im EU-weiten Forschungsprojekt Shift2Rail, für das sich auch ein österreichisches Konsortium unter Federführung von Virtual Vehicle bewirbt, sollen ab 2015 wichtige Antworten in puncto Lebensdauer und Lärmvermeidung gefunden werden. Es ist mit über 900 Millionen Euro dotiert.
Gegen die Wand
Von der sichtbarsten Gegenmaßnahmen gegen Bahnlärm - den ästhetisch meist wenig überzeugenden Lärmschutzwänden - hält Bernasch übrigens nicht allzu viel. „Natürlich kommt man mancherorts einfach nicht um solche Maßnahmen herum, aber es kann ja auch keine Lösung sein, dass man Hunderte Kilometer weit zwischen Betonwänden fährt, die sowohl für Fahrgäste kein Genuss sind, als auch die Landschaft verschandeln und darüber hinaus gewisse Lärmbelastungen erst recht nicht abhalten können.“ Verbesserungen am Gleis, aber auch bei Lokomotiven und Wägen, damit der Lärm erst gar nicht entsteht, seien definitiv der nachhaltigere Weg, um Lärm einzudämmen, so Bernasch im Gespräch mit der futurezone.
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