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Science

Simulationsforscher warnt vor “schwierigem” Corona-Herbst

Mit einer „potenziell schwierigen Ausbreitungssituation“ im Herbst rechnet Simulationsforscher Niki Popper von der Technischen Uni (TU) Wien beim Blick auf die COVID-19-Epidemie. Die aktuelle „Dynamik bei den Jungen“ könne zeitversetzt auch dazu führen, dass die älteren Risikogruppen wieder stärker mit dem Virus konfrontiert sind. Bei der Eindämmung gebe es noch Luft nach oben, so Popper zur APA.

Tatsächlich hat sich im Sommer der Anteil der COVID-19-Fälle stark in Richtung der Altersgruppe der 15- bis 30-Jährigen verschoben: Für Mitte August zeigen Auswertungen der EMS-Daten durch Popper und sein Team etwa, dass rund die Hälfte der über den Monat hinweg kontinuierlich steigenden Fallzahlen in dieses Alterssegment fallen. Zur Erinnerung: Am Beginn der Epidemie lag der Schwerpunkt auf den 45- bis 60-Jährigen und 60- bis 75-Jährigen.

Gesundheitssystem bleibt unproblematisch

Die Prognosen des TU Wien Modells um den Lockdown im März hätten relativ bald erkennen lassen, dass die Kapazitäten im Gesundheitssystem ausreichen werden. Aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Monate sieht der Simulationsforscher auch jetzt keine problematischen Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, speziell die Hospitalisierungen zukommen, „weil die Therapie viel effizienter ist als im Frühling“.

Kritisch sei aber die Ausbreitung zu sehen: „Der Druck ist schon höher als er damals war. Das liegt unter anderem daran, dass wir diesmal nicht bei null oder zwei Fällen anfangen, sondern jetzt weit verbreitet viele Herde haben und wahrscheinlich auch eine höhere Dunkelziffer“, sagte Popper. Dass die Fallzahl momentan nicht stark steigt, liege den Modellen folgend vermutlich an der Struktur der Cluster, dem „Gegendruck“, den die Maßnahmen noch ausüben und einem derzeit ausreichenden Isolieren positiver Fälle.

Indoor-Aktivitäten steigen

Wenn im Herbst nun wieder verstärkt Indoor-Aktivitäten mit größeren Menschenmengen anfahren und zeitversetzt mit den fallenden Temperaturen der Wintertourismus und die Grippesaison einsetzen, würden sich die Strukturen in den Ausbreitungsnetzwerken ändern und die gesetzten Maßnahmen in ihrer Wirkung schwächer. Gleichzeitig wird der Aufwand der Test- und Nachverfolgungsstrategie (TTI-Strategie) mit steigenden Fallzahlen schnell höher und dürfte für diesen Fall noch immer nicht ausreichend gut funktionieren.

Auf Basis der aktuellen Daten scheint das vor allem regional sehr unterschiedlich zu sein. „Die Tests dauern zu lange, es ist nach wie vor oft unklar, wer warum getestet wird, und das Nachverfolgen der Kontakte dürfte laut den zur Verfügung stehenden Zahlen sehr unterschiedlich in den Bundesländern sein“, so Popper, der hier aktuell „viele Mini-Epidemien“ sieht, „die wir eigentlich auch im Griff haben könnten“. Die Instrumente dazu seien da, lediglich das Zusammenspiel „funktioniert halt nicht ausreichend“.

Dritte Septemberwoche

In den neuen Modellrechnungen von Popper kommt es unter sich verschlechternden Voraussetzungen um die dritte September-Woche zu einem merklichen Anstieg. Popper: „Dann sagen alle, die Schulen sind schuld“, obwohl die Gründe vielschichtiger seien. Eine richtige zweite Welle erwartet der Forscher zwar nicht, aber ein „Dahinmäandern“, das ab einem gewissen Zeitpunkt in den Modellen auch wieder schnell ansteigt. „Der Anstieg hängt in den Simulationen direkt vom Wechselspiel gesetzter Maßnahmen zur Kontaktreduktion, Abstand und Hygiene sowie der TTI Strategie ab. Wenn sich durch die Entwicklung ein Faktor erhöht, muss man an den anderen arbeiten“, so der Experte.

Die Mechanismen hinter der Epidemie verstehe man mittlerweile viel besser als noch im Frühjahr. Wenn jetzt der Covid-19-Anteil unter den recht mobilen und oft asymptomatisch infizierten 15- bis 30-Jährigen höher ist, sei auch damit zu rechnen, dass die momentan „gut geschützten vulnerablen Gruppen“ wieder verstärkt mit dem Erreger in Kontakt kommen. Spätestens dann schlage sich die Entwicklung auch wieder in einer Vervielfachung an Personen nieder, die eine Spitals- oder Intensivbehandlung brauchen, sagte Popper. Da der Anteil der schweren Fälle durch verbesserte Therapien aber auch bei diesen Gruppen niedriger sein dürfte, kann das Gesundheitssystem länger gut damit umgehen als im Frühling, auch wenn man sich eben nicht in Sicherheit wiegen dürfe.

Bessere Kontrolle

Damit es nicht so weit kommt und der „Grunddruck“ überschaubar bleibt, müsste - um möglichst viel im Herbst öffnen zu können - auch die TTI-Strategie in der Umsetzung effizienter werden. Popper verweist auf eine durchaus positive Eigenschaft des SARS-CoV-2-Virus, der laut den Berechnungen stark über „Superspreader“ verteilt wird. Holt man die Superspreader aus den Kontaktnetzwerken, kann man so die Ausbreitung sehr viel besser kontrollieren als bei anderen Erkrankungen, betonte der Forscher.
Im Bereich der Schulen gelte es etwa das Durchmischen von Klassen zu vermeiden, im Wintertourismus brauche es geschickte Konzepte zur Besuchersteuerung und kein Indoor-Apres-Ski. „Am Ende ist aber das Screening und eine effektive Strategie zur Unterbrechung der Ausbreitungsnetzwerke das Entscheidende.“

Die geplante Corona-Ampel des Gesundheitsministeriums wertet Popper als „wichtigen Schritt“. Es werde aber vieles daran liegen, wie die Politik mit den Empfehlungen der Ampel-Kommission umgeht. Da hier - im Gegensatz zum Vorgehen in Deutschland - sehr viele Indikatoren, wie die Testzahlen, die Cluster-Situation oder die Krankenhausressourcen mitberücksichtigt und transparent gemacht werden, verspreche die Konstruktion viel Positives, weil man viel differenzierter auf die Dynamik der Ausbreitung reagieren kann. Er hofft, dass mit derartigen Systemen künftig „nicht zielgerichtete und zu breite Reaktionen“ vermieden und stattdessen regional sinnvolle Aktionen gesetzt werden.

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