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Interview

„Smart Cities müssen für Menschen da sein“

In Zukunft werden nicht nur Menschen zunehmend über das Internet vernetzt sein, auch die Dinge, die uns im Alltag begegnen - seien es Geräte in unserem Zuhause oder intelligente Technologien im Bereich Verkehr oder Energie. Schon jetzt kommunizieren viele Dinge in unseren Städten miteinander und nutzen eine Vielzahl an Daten, die zur Steuerung komplexer Prozesse verwendet werden. Unsere Städte werden immer “smarter” und sollen so unser Leben dauerhaft verbessern.

Doch was heißt “Smart City” überhaupt, sind die Menschen schon bereit für die totale Vernetzung und welche Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang notwendig, um uns für die Zukunft zu rüsten? Rudolf Giffinger, Professor an der TU Wien und Leiter des Fachbereichs für Stadt- und Regionalforschung, spricht im futurezone-Interiew über intelligente Stadtentwicklung und wie wir davon profitieren können.

futurezone: “Smart Cities” ist ein Begriff, der immer häufiger strapaziert wird. Aber was macht eine Stadt überhaupt smart?
Rudolf Giffinger: Wenn heute von einer smarten Stadt die Rede ist, ist Technologie natürlich nicht wegzudenken. Es geht aber im Grunde nicht um die Technologie selbst, sondern um eine möglichste benutzerorientierte Anwendung. Oft geht es dabei gar nicht so sehr um neue Technologien, vieles ist schon in den 1980er Jahren oder frühen 1990er Jahren eingeführt worden, wo jetzt noch immer überlegt wird, wie diese Technologien sinnvoll in die Stadtentwicklung integriert werden können.

Hier spielt auch das “Internet der Dinge” eine Rolle. Wie gut können Dinge heute schon miteinander kommunizieren?
Es gibt viele Dinge, die längst miteinander kommunizieren, beispielsweise im Infrastrukturbereich. Die Systeme sind schneller geworden, heute geht es bis hin zur Echtzeit-Kommunikation. Die Vernetzung spielt etwa eine sehr wichtige Rolle im Verkehrswesen zur Steuerung der Mobilität, aber auch im Gesundheitswesen gibt es Systeme, die davon abhängig sind.

Müssen die Menschen verstehen, wie diese Dinge funktionieren, oder kann uns diese Entwicklung mehr oder weniger “einfach passieren”?
Genau darin liegt das Risiko. Wir brauchen nicht neue Menschen, sondern Technologien für die Menschen. Wir brauchen Systeme, die von Menschen bedient werden können und die für Benutzergruppen brauchbar sind - nicht umgekehrt.

Thema E-Mobilität: Die Stadt Wien setzt derzeit verstärkt darauf, Öffis auszubauen, weniger darauf, die Entwicklung und Verbreitung von E-Cars oder E-Bikes voranzutreiben. Halten Sie das für sinnvoll?
E-Mobilität ist ein Beispiel, das von technologischer Seite derzeit wahnsinnig promoted wird. Ich persönlich wage noch kein Urteil, was hier am besten ist. Die Frage ist, wie man etwa von den nicht erneuerbaren Ressourcen wegkommt. Insofern sind Elektroautos schon sinnvoll und werden in naher Zukunft auch die Kapazitäten bieten, um beispielsweise einen Tag in einer Großstadt wie Wien durchzukommen. Das Problem des Verkehrs löst man damit allerdings nicht. Das Hauptproblem ist nicht der fließende Verkehr, sondern der stehende Verkehr. Daher die Botschaft: Nicht die Technologie ist es, die unsere Mobilität verändert. Wichtig ist, welche Werte wir damit verbinden. Insofern sind neue Organisationsmodelle gefragt. Umwelttechnisch, wären E-Cars sicherlich ein Vorteil, aber wir müssen den Verkehr auf der Straße reduzieren. Lösungsansätze wären also: Carsharing, aber eben auch der öffentliche Verkehr.

Wie können die Menschen von solchen neuen Modellen überzeugt werden?
Sicherlich nicht über die technologische Seite. Zunächst einmal gilt eines: Wir müssen unsere Werte verändern. Ein Aspekt ist auf Umweltbewusstsein zu setzen, der andere, auf lebenswertere Stadtstrukturen zu kommen. Hilfreich sind sicherlich auch Best Practice Beispiele, wo man sich anschauen kann, wie solche Modelle anderswo funktionieren. Hier kommen in erster Linie Prozesse zum Tragen, die mit einer Verhaltensveränderung verbunden sind.

Sie haben vor einigen Jahren das “European Smart Cities Ranking” erstellt. Darin sind 70 Städte gelistet, Linz liegt relativ weit vorne auf Platz neun. Was macht Linz so smart?
Da geht es ebenfalls nicht um einen technologiebasierten Ansatz. Bevor wie uns damit beschäftigt haben, gab es auch den Begriff “Smart Cities” nicht. Unsere Ambition war, ganz unterschiedliche Herausforderungen abzubilden und miteinander in Beziehung zu setzen. Insgesamt haben wir sechs Bereiche definiert. Smart ist für uns, wenn unter Beteiligung der Bevölkerung nachgedacht wird und man dabei weiterkommt, die eine oder andere Herausforderung angenommen wird. Das zieht sich vom gesellschaftlichen über den wirtschaftlichen bis hin zum demografischen Bereich. Technologie steckt natürlich dahinter, ist aber nicht das Ausschlaggebende. Derzeit widmen wir uns etwa sehr stark dem Bereich Energie und versuchen lokale oder stadtorientierte Lösungen zu finden. Eine allgemein gültige Lösung gibt es nicht, es geht immer um die Bedingungen in einer bestimmten Stadt oder einem bestimmten Stadtteil.

Gibt es eine “direkte Wirkung” einer Smart City, wird den Menschen unmittelbar bewusst, dass sie in einer intelligenten Stadt wohnen, wenn sie hinaus auf die Straße gehen?
Der Mensch profitiert vor allem dann davon, wenn er selbst teilnimmt. Die dänische Stadt Aarhus (Anm. im Ranking auf Platz zwei) ist etwa ein Beispiel dafür, wie vieles bereits gut umgesetzt und angenommen wurde. Es gibt natürlich auch manche Städte, die sich in einzelnen Aspekten großartig entwickelt haben, aber nicht das ganze Spektrum weiterentwickelt haben.

Wenn wir uns dem Thema Wettbewerbsfähigkeit zuwenden, welche Maßnahmen sind dann ausschlaggebend? Welche innovativen Lösungen lassen sich relativ schnell umsetzen?
Marktlösungen lassen sich meistens schnell umsetzen, sind aber auch kurzlebig. Wenn es um Infrastruktur geht, ist es schon schwieriger. Natürlich sind Märkte sehr brauchbar, wenn es um kleinteilige Entscheidungen geht, zum Beispiel wenn es um die Frage, der Stadterneuerung geht. Da können nur Einzelentscheidungen weiterhelfen. Grundsätzlich muss jedoch die Politik bestimmte Werte vorgeben.

Hinter Ihrer Arbeit steckt eine Unmenge an Daten. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die zunehmende Vernetzung irgendwann auch zur totalen Überwachung führt?
Das ist natürlich ein sensibler Bereich. Wie das geschützt werden kann, ist extrem problematisch. Wir haben auch völlig unterschiedliche Zugänge zu der Veröffentlichung von Daten. Wenn es um Daten bei staatlichen Institutionen geht, die Daten produzieren, dann denkt man natürlich schnell auch an “Big Brother” und somit liegt eine sehr hohe Verantwortung bei diesen staatlichen Institutionen. Der Vorteil dabei ist jedoch, dass ein hohes Niveau an Daten gewährleistet ist. Würde man die Datenproduktion freigeben, wie es auch die Ambition der Europäischen Union ist, dann muss natürlich der Personendatenschutz gewährleistet sein. Allerdings sehe ich da beispielsweise die Videoüberwachung im öffentlichen Raum als viel problematischer an. Überall, wo Personen im Spiel sind, wird es natürlich schwierig. Für uns als Raumwissenschaftler sind solche Daten prinzipiell natürlich sehr wichtig, aber wir wollen selbstverständlich mit anonymisierten Daten arbeiten.

Welche Datenquellen nutzen Sie aktuell für Ihre Arbeit?
Es gibt im Wesentlichen zwei Quellen, auf die wir im Bereich Verkehr zurückgreifen: Open Street Map und Daten, die wir von Teleatlas, die mit Google zusammenarbeiten, beziehen. Im Bereich Energie ist es schon deutlich schwieriger. Es sind kaum verräumlichte Statistiken über die Energieverbrauch, etwa über einzelne Stadtteile. Das ist ein großes Problem.

Was sind aktuell ihre wichtigsten Projekte?
Gerade sind wir an einem Relaunch von “European Smart Cities” dran, leider bekommen wir Daten nicht automatisch, sondern sind hier von europäischen Statistiken abhängig. Es ist nun hoch an der Zeit, das Modell mit neuen, aktuelleren Daten zu füttern. In einigen Wochen sollen die neuen Daten dann online sein. Weiters beschäftigen wir uns derzeit in einem EU-Projekt mit der Entwicklung des zentraleuropäischen Raums, hier stehen fünf europäische Großstädte - unter anderem Wien - im Mittelpunkt. Infolge soll es dann auch ein Smart Cities Ranking für 50 Großstädte geben. Die Ergebnisse werden jedoch erst 2012 veröffentlicht. Das dritte Projekt, ist ein TU-internes Projekt: Es heißt “Energie im urbanen Raum” und dabei geht es um die Identifikation von Energieeinsparungspotenzialen, speziell im Siedlungsraum.

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Claudia Zettel

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futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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