© Johann G Zaller

Datensammler

Von MH370 bis Naturkunde: Citizen Science am Vormarsch

Es ist noch nicht so lange her, da tat so mancher Wissenschaftler die Beobachtungen und Vermessungen von Bürgern als amateurhaft ab. Doch damit ist es nun allmählich vorbei, erklärt Rick Bonney von der Cornell University im US-Staat New York, der dazu einen Artikel in der Fachschrift „Science“ verfasste. „Es gibt zunehmend mehr Studien, die auf den Daten von Citizen Scientists beruhen. Und das in hochangesehenen Fachschriften.“

Eine diese Woche veröffentlichte, australische Studie über Riffhaie um die Pazifikinsel Palau etwa verglich die Zählungen von Tauchern – also den Laien – mit den Daten, die Forscher über die, an den Flossen von Haien angebrachten Sensoren sammeln. 62 rekrutierte Taucherführer zählten auf 2300 Tauchgängen über fünf Jahre lang Haie. Laut Protokol mussten sie Ort, Datum, Art, Anzahl der Exemplare, Wassertiefe, Wasserklarheit und Strömung festhalten. Die Forscher kamen zu dem Schluss: Die Zahlen der Taucher als Wissenschaftler sind mit jenen der Sensoren durchaus vergleichbar. Mit ein bisschen Training könnten Laien hier eine wichtige Informationslücke schließen. Denn weltweit nehmen die Hai-Populationen durch Überfischen dramatisch ab. Doch wieviele und welche Arten wo besonders gefährdet sind, - da fehlt es schlicht an ausreichenden Daten sowie an den Forschungsbudgets, diese zu sammeln.

Mehr Daten und mehr Präzision dank Technologie

„Citizen Science“ ist ein moderner Begriff für eine Sache mit langer Tradition. So genannte Bürgerwissenschaftler, wie man sie früher nannte, hatten schon immer ein waches Auge auf ihre Umwelt. In Japan gibt es seit Jahrhunderten Aufzeichnungen über die Kirschblüte. Auch Vogelbeobachtungen gibt es seit langem. Der Unterschied zwischen damals und heute: „Technologie und das Internet erleichtern Laien das Sammeln sowie Übermitteln von präzisen Daten“, erklärte Rick Bonney. Er hat an der Cornell University mehrere Citizen Science-Projekte ins Leben gerufen. Ganz besonders erfolgreich ist eBird mit monatlich fünf Millionen Einträgen von Daten und Beobachtungen aus aller Welt. „Wenn man mit einem Smartphone im Feld ist, muss man nicht erst den Ort eingeben. Das Smartphone weiß genau, wo man sich zu diesem Zeitpunkt aufhält. Exakt, mit den korrekten geografischen Koordinaten. Man kann also schneller und einfacher in Echtzeit einzugeben.“ Die Informationen, die Vogelbeobachter auf eBird zusammentrugen, wurden bisher in mehr als 90 wissenschaftlichen Studien verwertet.

Der Bürger als gratis Handlanger der Wissenschaftler?

Mindestens ebenso erfolgreich ist die Plattform Zooniverse, wo etablierte Organisationen Bürger zum Mitmachen auffordern. Die US-Wetter- und Ozeanbehörde NOAA bittet über um die Analyse von Stürmen; die Betreiber von Tanzanias Serengeti-Nationalpark möchte gerne Millionen Bilder von Kamerafallen gesichtet und klassifiziert haben; unter „Explore the Moon“ kann man für die US-Weltraumbehörde NASA Bilder von der Mondoberfläche beschreiben.

Diese Mitarbeit bei wissenschaftlichen Projekten kann für den Laien durchaus spannend und bildend sein. „Doch man soll eines nicht vergessen“, meint Rick Bonney, „Citizen Scientists sind durchaus in der Lage eigene Fragestellungen zu formulieren und Ideen dazu zu entwickeln.“ Die Stärkung von Citizen Science ist auch im EU-Forschungsrahmenprogramm, Horizont 2020, ausdrücklich festgehalten. Damit auch die Organisation von künftigen Projekten länderübergreifend klappt, wurde dieEuropean Citizen Science Associationgegründet. Daran ist auch die Universität für Bodenkultur Wien beteiligt. „Es wäre eine Verschwendung von Resourcen, wenn zwei Gruppe von Forschern und Bürgern in zwei verschiedenen Ländern jeweils an der gleichen Sache arbeiten, aber nichts voneinander wissen“, erklärt Florian Heigl von der neu eingerichtetenCitizen-Science-Plattform der Boku.

Von platten Fröschen und toten Katzen

Das erste Citizen Science-Projekt der Boku heißt „Roadkill“, - der prägnante englische Begriff für Tiere, die von Autos überfahren werden. Roadkill existiert erst seit kurzem und hat es schon auf 200 wissenschaftlich engagierte Bürger als Mitarbeiter gebracht. Die Dateneingabe wurde bewusst so einfach wie möglich gestatlet. „Nicht jeder hat ein Smartphone“, meint Florian Heigl. Wer also ein totes Tier sichtet, gibt die Details auf dem Roadkill-Internetformular ein, lädt – so vorhanden – ein Foto hoch und markiert die Stelle via Google Maps. Geplant ist, für Österreich flächendeckend zu erfassen, wo Tiere Opfer des Straßenverkehrs werden.

Die Daten, die Bürger erheben, kommen ihnen gegebenenfalls selber zugute. Wenn das Projekt lange genug läuft, kann man analysieren: Wo werden welche Tiere besonders oft überfahren? „Wo die Hot Spots sind, kann man auch etwas unternehmen.“ Frösche sind beispielsweise die Opfer Nummer eins. „Da könnte man Amphibientunnel unter der Straße bauen“, meint Florian Heigl. „Aber das passiert nur dann, wenn es vorab dazu gesicherte Daten vorliegen.“

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Madeleine Amberger

mehr lesen
Madeleine Amberger

Kommentare