Warum die Impfstoff-Produktion nicht schneller geht
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Covid-19-Impfstoffe sind derzeit in der EU und vielen Ländern der Welt noch nicht flächendeckend verfügbar. Warum die Produktion nicht mal eben beschleunigt werden kann, dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Unter anderem liege das an speziellen Fetten, die zur Herstellung benötigt werden, und an Glasfläschchen zum Abfüllen, erklärte Thomas Frischmuth, Geschäftsführer der deutschen Firma Baseclick, die auch an einem mRNA-Impfstoff gegen das Coronavirus arbeitet.
Wie werden mRNA-Impfstoffe überhaupt hergestellt?
Zunächst muss die sogenannte mRNA erzeugt werden. Das m steht für Messenger, auf Deutsch: Bote - daher spricht man auch von Boten-RNA. Die Ribonukleinsäure (RNA) ähnelt vom Aufbau der DNA, hat aber nur einen Strang. Die mRNA enthält eine Art Bauplan für eine Oberflächen-Struktur des Coronavirus SARS-CoV-2. Nach einer Impfung soll der Körper so das ungefährliche Teilstück des Virus bilden, um die Körperabwehr darauf zu trainieren.
Ist die Herstellung von mRNA-Impfstoffen ein Problem?
Die Herstellung solcher mRNA sei lange bekannt und nicht das Problem, sagt Frischmuth. Kniffeliger werde es, weil die mRNA für den Impfstoff in eine Art Hülle verpackt werden muss. Die besteht aus speziell hergestellten Fetten (Lipiden). „Es gibt nicht sehr viele Firmen, die diese Fette herstellen können.“ Zudem seien es nicht die Giganten, sondern recht kleine Unternehmen. Hinzu kommt, dass die Corona-Impfstoffe die ersten auf Basis von mRNA sind. Die Zulieferketten seien bisher also gar nicht auf die Produktion der nun benötigten Mengen ausgelegt gewesen, sagte Frischmuth, dessen Firma in Neuried bei München sitzt.
Ähnlich äußerte sich Dietmar Katinger von Polymun. Die Firma mit Hauptsitz in Niederösterreich arbeitet unter anderem mit Biontech und Curevac zusammen bei der Herstellung der Mini-Fettkügelchen. „Bis vor einem Jahr war das noch eine Idee im Labor und auf einmal wartet die Welt auf Millionen Dosen.“ Unter anderem brauche man zwei speziell für die Anwendung entwickelte Lipide und synthetisches Cholesterin. Auch letzteres sei bisher nicht in derartigen Mengen gebraucht worden.
Schon im vergangenen Frühjahr habe er alles an Spezial-Lipiden aufgekauft, was auf dem Markt verfügbar war, sagte Biontech-Vorstandsmitglied Sierk Poetting. Mit den wenigen Anbietern habe man dann angefangen, die Produktionsmengen zu erhöhen. Daher rechne er auch ab dem zweiten Quartal mit einer Entspannung. „Gerade wird noch alles, was reinkommt, sofort am nächsten Tag verarbeitet.“)
Kann man mehr Produktionsstätten schaffen?
Ja. Daran arbeiten die Firmen auch, bauen neue Werke auf oder kooperieren miteinander. Viele Unternehmen hätten ihre Produktionskapazitäten ausgebaut und Lohnfertiger rekrutiert, die Komponenten zuliefern oder einzelne Herstellungsschritte übernehmen, heißt es beim deutschen Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Katinger betonte, die Hersteller müssten zudem schon zu einem Zeitpunkt hohe Summen investieren, in dem noch Tests laufen und unklar sei, ob ihr Produkt am Ende jemand brauche.
Und auch neue Kooperationen brauchen Zeit, wie Bayer und Curevac am Montag deutlich machten: Zwar will der Pharmariese bei der Produktion der Tübinger Biotechnologiefirma helfen. Doch wegen aufwendiger Vorarbeiten, hoher Qualitätsstandards und umfangreicher Validierung der Anlagen sei ein Start vor Ende dieses Jahres nicht möglich - und selbst der jetzige Zeitplan sei sehr ambitioniert, hieß es. Rund ein dreiviertel Jahr brauche man für die nötigen Genehmigungen, schätzt Frischmuth.
Um ein Werk betreiben zu können, brauche es Reinräume, spezielle Technik und Fachleute, die damit arbeiten können, sagte Poetting. Weil die Anforderungen gerade in der Pharmazie sehr hoch seien und jeder Fehler, jede Abweichung mindestens zu Verzögerungen führe, müsse das Personal besonders geschult sein. Mindestens drei Monate müsse man da selbst bei fachkundigen Mitarbeitern einplanen.
Zudem müssten mehrere Behörden Technik, Abläufe und Produkte abnehmen. Die arbeiteten zwar rund um die Uhr, sagte Poetting. Aber selbst für das extra in Marburg angepasste Werk, in dem Ausstattung und Personal prinzipiell vorhanden waren, habe es knapp ein halbes Jahr gedauert, bis jetzt die Produktion anlaufen und überprüft werden kann. „Wenn Sie im Produktionsaufbau bei null anfangen, dauert es mindestens eineinhalb Jahre.“
Gibt es auch beim Material einen Flaschenhals?
Ja. Laut Frischmuth geht es dabei vor allem um die Glasfläschchen, mit denen die Impfseren an Impfzentren und Ärzte verteilt werden. Auch der vfa erklärte, dass diese Durchstichfläschchen sowie Abfüllanlagen als möglicher Flaschenhals für die Versorgung ausgemacht wurden. Zur Lagerung müssen manche mRNA-Impfstoffe sehr stark gekühlt werden. Doch die meisten Glasprodukte seien nicht für Temperaturen bis minus 80 Grad gemacht, erklärte Frischmuth. „Das ist nicht so trivial und stellt spezielle Herausforderungen an das Glas.“
Hersteller wie Gerresheimer, Stevanato und Schott haben eine umfassende Versorgung mit pharmazeutischen Behältern für die Impfstoffe zugesichert. Eine Sprecherin der Schott AG aus Mainz teilte am Dienstag mit, bis Ende 2021 würden genügend Fläschchen ausgeliefert, um mehr als zwei Milliarden Dosen diverser Covid-19-Impfstoffe abzufüllen. Den mit Pharmaunternehmen diesbezüglich geschlossen Vereinbarungen „werden wir nachkommen“.
Welche weiteren Hürden kann es geben?
In vielen Impfzentren haben die Helfer gerade Pause, weil es an Impfstoff mangelt. Wenn es aber mal richtig losgeht und breit geimpft wird, könnte es Engpässe beim Personal geben. Auch die Kühlkette darf nicht - beziehungsweise nicht zu lange - unterbrochen werden. Hier kann es ebenfalls Probleme geben, wenn zum Beispiel in einem Transporter die Kühlaggregate ausfallen. Das hält Frischmuth aber für Ausnahmen und Marginalien - wenn erstmal ausreichend Impfstoff verfügbar ist. Denkbar ist auch, dass mal ganze Chargen wegen Problemen bei der Produktion nicht verwendet werden können. Auch das passiere aber eher selten, so Frischmuth. „Wenn die Produktion nicht standardisiert wäre, bekämen Sie gar keine Zulassung.“
Waren die Probleme absehbar?
Ja. Die deutsche Bundesregierung etwa hatte von Anfang an gesagt, dass die Impfaktion langsam starten werde. Im Streit zwischen der EU und dem Hersteller Astrazeneca über die Liefermengen hatte das Unternehmen unter anderem erklärt, es sei vertraglich nicht zur Lieferung bestimmter Mengen verpflichtet. Vielmehr habe man nur einen „best effort“ zugesagt, sich also im besten Sinne zu bemühen. Aus Sicht von Frischmuth sind solche weichen Formulierungen ein Hinweis, dass man mögliche Probleme bedacht hat. Er wolle auch weder Industrie noch Politik Schuld zuweisen, sagte der Unternehmer. „Ich vermute, man hat das Tempo unterschätzt, wie schnell wir wie viele Dosen brauchen.“
Welche positiven Entwicklungen gibt es?
Zum einen wird vielerorts am Aufbau weiterer Produktionskapazitäten gearbeitet. Zum anderen haben erst drei Impfstoff-Hersteller eine Zulassung: Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca. Curevac und Johnson & Johnson rechnen in den kommenden Monaten damit. Dann wird das Angebot automatisch größer.
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