Demonstration against corona measures
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Warum Verschwörungstheoretiker kaum zu bekehren sind

Bill Gates und die Pharmafirmen haben das Coronavirus in die Welt gesetzt, um von Impfstoffen zu profitieren. Oder handelt es sich um eine chinesische Biowaffe oder eine Folge des Mobilfunkstandards 5G? Andere wiederum glauben, dass das Virus gar nicht existiert und nur ein Vorwand ist, um Leute von der Straße zu halten. Verschwörungsmythen sind im vergangenen Jahr regelrecht explodiert. Wir haben mit der Psychologin und Psychotherapeutin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen darüber gesprochen, was solche Verschwörungsmythen mit der Gesellschaft machen und wie man auf Leute reagieren soll, die ihnen anhängen.

futurezone: Verschwörungstheorien sind während der Corona-Pandemie regelrecht explodiert. Warum?
Ulrike Schiesser: Verschwörungstheorien sind in Krisenzeiten grundsätzlich besonders virulent. Sie geben Ängsten, die vorhanden sind, ein Gesicht und sie geben Leuten, die ihnen anhängen, Kontrolle zurück. Es passieren zwar ganz schlimme Dinge und man ist dagegen hilflos. Es ist aber befriedigend zu denen zu gehören, die verstehen, was passiert. In Zeiten, in denen unglaublich komplexe medizinische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen zusammenwirken, reduzieren sie Komplexität. Es gibt wieder Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Verschwörungstheorien ordnen das Chaos.

Deshalb sind Leute bereit, selbst die abstrusesten Geschichten zu glauben?
Am Anfang ist es oft harmlos. Viele dieser Mythen basieren auf realen Problemen, etwa dass große Konzerne viel Einfluss haben. Es ist anfangs schwer auseinanderzuhalten wo die Verschwörungstheorie beginnt und wo es noch eine kritische Sicht auf das Weltgeschehen ist. Aber dann geht es relativ schnell. Wenn man sich mit dem von den Verschwörungstheorien vermittelten Weltbild angefreundet hat, scheint plötzlich alles möglich. Verschwörungstheorien nehmen reale Befürchtungen und überzeichnen sie. Den Betroffenen fällt dabei auch nicht mehr auf, dass sie immer extremer werden.

Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen

Oft hängen auch Leute, die in der Mitte der Gesellschaft stehen, Verschwörungsmythen an. Warum?
Dass es große Bevölkerungsgruppen betrifft, ist eine neue Entwicklung. Früher war das vielfach auf Menschen beschränkt, die sich in einer Krise befanden und deshalb besonders anfällig waren. Im vergangenen Jahr hat sich das stark verändert. Es trifft derzeit ganz viele Menschen, die nicht in das typische Schema hineinpassen. Es ist noch zu früh, das erklären zu können. Man muss sich die Daten genauer anschauen.

Warum vermuten Sie, dass das so ist?
Ich habe den Eindruck, es betrifft oft Leute, die besonders sensibel und empathisch sind. Sie können die vermeintliche Verschwörung nicht abschütteln, es belastet sie. Sie leiden unter den Horrorszenarien und wollen andere warnen. Diese eifrigen Appelle schaffen aber erst recht wieder soziale Distanz. Das Umfeld reagiert schockiert und weiß nicht, wie es damit umgehen soll. Es werden relativ schnell Kontakte abgebrochen. Dann bleibt den Leuten nichts anderes, als sich mit denen zu verbinden, die auch diesen Ideen anhängen. Dadurch verstärkt sich dieser Effekt weiter.

Welche Rolle spielen Online-Netzwerke dabei?
Das Internet ist ein Brandbeschleuniger. Früher hatten Verschwörungstheorien mehr Probleme, Interessenten zu finden. Jetzt finden selbst die abstrusesten Mythen schnell Anhänger, die das teilen. Man bekommt dann schnell den Eindruck, dass vielleicht doch etwas dahinter steckt, weil das so viele Leute tun. Die Blasenbildung verstärkt das noch. Wir sind als soziale Wesen von Anerkennung abhängig. Wenn in solchen Netzwerken Verschwörungstheorien geteilt werden, gibt es sofort 100 Likes.

Inwiefern werden Verschwörungsmythen auch politisch instrumentalisiert?
In der rechten Szene waren Verschwörungstheorien immer schon beliebt. Oft ist auch Antisemitismus ein starker Grundton. Politische Bewegungen sind leicht verführt, zuerst die Angst vor einem Außenfeind zu schüren und sich dann als Retter anzubieten. Das wird besonders stark von rechtsextremer Seite angewandt.

Demonstrations against Corona restrictions in Konstanz

Nicht alle die bei Anti-Corona-Demos mitmachen, lassen sich aber den Rechten zurechnen. Sie wollen ihren Ärger zeigen, es herrscht bei manchen auch eine gewisse Naivität. Viele wollen nicht wahrnehmen, mit wem sie sich da ins Boot setzen. Derzeit höre ich oft von Menschen, die in Verschwörungstheorien hineingleiten und aus dem linksliberalen, grünen Umfeld kommen. Verschwörungstheorien lösen Grenzen auf. Man ist vom übermächtigen, gemeinsamen Feind so geblendet, dass man eigene Prinzipien zur Seite stellt und nicht mehr genau hinschaut, wer da vom eigenen Engagement profitiert.  

Wann wird das für die Gesellschaft gefährlich?
Dann, wenn Verschwörungstheoretiker konkrete Maßnahmen planen, um sich zu wehren. Wenn es anfängt, tätlich zu werden gegen Personen, die man als Feindbilder erlebt, beispielsweise Jüdinnen und Juden, oder Sabotageakte ausgeführt werden, etwa gegen 5G-Masten. Aber auch das, was jetzt passiert, ist nicht ungefährlich, weil dadurch Spaltung und Hass gefördert werden.

Wie soll man mit Freunden oder Familienmitgliedern umgehen, die solchen Mythen anhängen?
Wenn Sie der Meinung sind, dass es sich um eine Verschwörungstheorie handelt, würde ich das auch klar aussprechen. Auch wenn sie antisemitisch oder menschenfeindlich sind, würde ich das deutlich sagen. Man muss im Umgang auch immer abchecken, ob jemand noch für Informationen zugänglich ist und ob es noch Sinn macht, zu diskutieren. Dann soll man versuchen Falschinformationen richtig zu stellen.

Wenn das nicht mehr der Fall ist?
Dann macht es auch keinen Sinn mehr, über Inhalte zu diskutieren. Das würde den Glauben daran nur verstärken. Man kann aber darüber sprechen, woher die Informationen kommen, über Quellen und warum ihnen vertraut wird. Wenn aber das Weltbild schon sehr umfassend ist, kommt man auch da nicht weiter, weil die Personen ja davon ausgehen, dass jede Information gesteuert wird.

Welche Möglichkeiten hab ich dann noch?
Ich kann die Person fragen, wie es sich anfühlt, in einer solchen Welt zu leben und was das für die persönliche Beziehung zu mir oder wenn es sich um ein Familienmitglied handelt, für die Familie bedeutet. Wie gehen wir damit um, dass du dieser Meinung bist und wir einer anderen? Weil es wichtig ist, dass man in Kontakt bleibt, ist es auch wichtig, das gemeinsam zu beschließen. Man sollte auch darauf achten, dass das Thema nicht zu dominant wird. Wir müssen versuchen mit der Frustration, dass wir uns gegenseitig nicht überzeugen können, zu leben und Dinge suchen, die darüber hinaus verbindend sind, die die Beziehung stärken.

Wird sich die Situation entspannen, wenn die Corona-Krise vorbei ist?
Ich befürchte, dass viel Paranoia und Irrationalität bleiben wird. Es gibt Parallelen von Verschwörungsmythen zu sektenartigen Gemeinschaften. Aus diesem Feld wissen wir, dass ein Gesinnungswandel ein sehr langfristiger Prozess ist.

Wie kann man aus einem solchen Irrglauben wieder herauskommen?
Hinein kippen geht schneller als wieder rauszukommen. Es gibt viele Widerstände. Man muss seine gesamte Weltsicht hinterfragen. Ein solcher Prozess ist auch mit viel Scham verbunden. Viele haben sich mit solchen Verschwörungstheorien stark exponiert. Sich davon zu distanzieren, kann zu einem Gesichtsverlust führen. Es ist beunruhigend, dass die eigene Urteilsfähigkeit versagt hat. Einige werden danach extreme Gegenpositionen einnehmen und solchen Verschwörungstheorien besonders kritisch gegenüberstehen. Ich sehe das aber nicht als Massenbewegung. Viele werden versuchen das zu vermeiden und selbst dann, wenn alles dagegen spricht, an solchen Mythen festhalten oder zumindest ein Grundmisstrauen gegenüber Staat und Medizin beibehalten. Und das wird zu mehr Extremen und mehr Spaltungstendenzen in der Gesellschaft führen.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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