Wie ein Biochip Tierversuche überflüssig machen soll
An Tausenden Hunden werden in der EU jedes Jahr Medikamente wie Schmerzmittel, Blutdrucksenker und Antibiotika getestet. Auch medizinische Geräte wie Herzschrittmacher werden ihnen eingesetzt, bevor diese an Menschen ausprobiert werden. Das, obwohl Hunde in unserer Gesellschaft einen besonderen Stellenwert haben: Für vielen Menschen sind sie Freunde, Familienmitglieder. Seit Jahrtausenden sind sie an unserer Seite.
Ähnlichkeit mit uns
Ein Grund, warum sie bis heute für Tierversuche eingesetzt werden, ist ihre physiologische Ähnlichkeit mit uns. Sie sind z. B. Allesfresser – Fleisch, Gemüse und Kohlenhydrate stehen auf ihrem Speiseplan. Wegen solcher Ähnlichkeiten lassen sich die Ergebnisse aus Hunde-Tierversuchen gut auf den Menschen übertragen: An den Tieren kann z. B. getestet werden, ob gewisse Medikamente wirken. „Ihr Magen-Darm-Trakt ist unserem ähnlich, weshalb gewisse Sachen dort ausprobiert werden,“ erklärt der Tiermediziner Iwan Burgener von der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Die einzige tiermedizinische Universität in Österreich züchtet die Hunde für ihre Forschung selbst – laut der EU-Versuchsdatenbank ALURES wurden dort in den letzten Jahren vor allem Tierversuche im Rahmen der Ausbildung zukünftiger Tierärzt*innen unternommen. An den Hunden werden etwa bestimmte Untersuchungsmethoden geübt.
Beagels sind Hund der Wahl
„Wir haben in der Kleintierklinik zwischen 10 und 14 Beagles, die für die Ausbildung von Student*innen im Einsatz sind. Die Hunde haben alle Besitzer*innen, mit denen sie am Abend mit nach Hause gehen“, erklärt Burgener. Bei diesen Besitzer*innen leben die Hunde in der Regel auch weiter, nachdem sie nach wenigen Jahren nicht mehr im „Dienst“ sind. Die Hunderasse gilt in der Forschung schon lange als der Versuchshund schlechthin – er wird schon seit geraumer Zeit extra für die Forschung gezüchtet.
Wenn es nach Burgener geht, sollen Forscher in Zukunft allerdings überhaupt keine Tierversuche mehr an echten Tieren durchführen müssen. Er und sein Team lassen sich wesentlich von dem „3R Prinzip“ leiten, das 1959 erstmals definiert wurde. Dieses besagt, dass Tierversuche nach Möglichkeit ersetzt werden sollen (Replacement), so weniger Tiere zu Schaden kommen (Reduction) und das Leid durch die Verbesserung von Methoden gesenkt wird (Refinement).
Organ-on-a-Chip
Den Tierversuchsverzicht soll eine biotechnologische Innovation möglich machen: Bei einem „Organ-on-a-Chip“ werden Mini-Organe, sogenannte „Organoide“, auf einem Biochip gezüchtet, der ca. die Größe einer Speicherkarte hat. Dazu werden Gewebeproben von gesunden Tieren entnommen, aus denen dann im Labor kleine Zellverbände gezüchtet werden. Burgener und sein Team konzentrieren sich bei ihren Organoiden vor allem auf den Magen-Darm-Trakt des Hundes. „Wir wollen das so kleinteilig zusammenbringen, dass wir auf einem Chip mehrere Vertiefungen mit verschiedene Organe drin haben“, erklärt er.
Jede Kerbe enthalte kleine Mini-Organe, die dann miteinander verbunden werden – vergleichbar mit dem Blutkreislauf: „Wir haben kleine Kanälchen, in denen Botenstoffe ausgetauscht werden: Im ersten Versuch haben wir vier verschiedene Organe auf diesem kleinen Plättchen verbunden. Wir untersuchen damit, wie diese Teile miteinander kommunizieren und Botenstoffe austauschen“, erklärt der Tiermediziner. Verschiedene, änderbare Organoid-Anordnungen sollen dann etwa ermöglichen, die Wirkung von neuen Medikamenten auf einzelne Organe zu testen.
Stammzellen
Möglich wurde die Zucht dieser Organoide durch eine Revolution in der Stammzellen-Forschung. „Die Zelllinien, die wir bisher immer in der Forschung verwendeten, waren Tumorzelllinien und keine physiologisch gesunden Zellen, wie wir nun mit dieser Organoid-Technologie haben. Das konnte man bis vor 15 Jahren nicht, bis diese Stammzellen identifiziert und zum Wachsen gebracht wurden,“ erklärt Burgener. Dank der Stammzellen-Methode wurde „Organ-on-a-Chip“ erst möglich.
Insgesamt gehe es in Burgeners Forschung nicht nur um Ersatzmethoden für Tierversuche, sondern auch um personalisierte Medizin. Von jedem Hund können eigene Stammzellen entnommen und dann individuelle Therapieformen entwickelt werden. Noch sind diese Methoden sehr teuer, aber das muss nicht so bleiben. „Man muss ehrlicherweise sagen, dass es im Moment noch nicht ganz ohne Tierversuche geht. Aber dort müssen wir hin“, meint Burgener hoffnungsvoll.
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