StitchingWorlds
StitchingWorlds
© StitchingWorlds

“Wir sticken einen funktionierenden Computer”

“Wir sticken einen funktionierenden Computer”

Die Künstlerinnen Ebru Kurbak und Irene Posch betreiben mit dem Techniker Matthias Mold und internationalen Kollaborateuren an der Universität für angewandte Kunst in Wien seit 2014 das Forschungsprojekt “Stitching Worlds”, das vom österreichischen Wissenschaftsfonds gefördert wird. Dabei erkunden sie die Schnittstelle zwischen Textilverarbeitung und Elektrotechnik. Mit Objekten wie einem zum Pullover gewobenen Radiosender oder einem gestickten Computer soll Stitching Worlds, das seinen Abschluss Anfang 2017 in einer Ausstellung finden wird, zum Nachdenken anregen.

Ebru Kurbak

Auf derMaker Faire in Wienwerden die beiden Künstlerinnen ihre Arbeit in einem Vortrag präsentieren. “Wir erfinden elektronische Komponente und Geräte komplett neu und zeigen, dass Dinge auch auf andere Weise hergestellt werden können. In der Elektronikindustrie werden bestimmte Prozesse bevorzugt, weil sie lange Tradition haben. Das in Frage zu stellen erlaubt einen neuen Blick auf alte Technologie”, sagt Projektleiterin Kurbak im futurezone-Interview.

Irene Posch

Als erste Schritte haben die Künstler elektronische Bausteine wie Widerstände oder Kondensatoren mit textilen Fertigungsmethoden nachgebaut. Als Material dienen dabei Fasern, die mit Metall vermengt sind, damit sie Strom leiten können. Der Nutzen, den die Produkte haben, steht bei Stitching Worlds nicht im Vordergrund. “Wir wissen, dass unsere Objekte sich in einer Sphäre bewegen, in der auch das Silicon Valley mit Google und Co tätig ist. Wir wollen aber vor allem die Betrachter zum Nachdenken anregen. Deshalb schauen wir darauf, dass unsere Werke nicht zu nützlich sind”, sagt Kurbak.

Gestrickter Speicher

StitchingWorlds

Dem Projekt Stitching Worlds vorausgegangen ist das Werk “Knitted Radio”, ein Pullover, mit dem Radiosignale ausgestrahlt werden können. Das Kleidungsstück wurde aus dünnem Kupferdraht, Seide und Wolle hergestellt. Damit es funktioniert, müssen lediglich ein Mikrofon und ein Transistor angeschlossen werden. Verbreitet werden kann die Technik in Form einer detaillierten Strickanleitung. “Dieser potenzielle Kontrast zwischen dem Elektronikprodukt und der eher traditionellen Leserschaft eines Strickmagazins hat uns gereizt”, sagt Posch. Zur Zeit, als Knitted Radio entstand, fanden in der Türkei gerade die Gezi-Park-Proteste statt. Auch das haben die Künstlerinnen in dem Werk verarbeitet. “Unser Sende-Pullover kann in einem Occupy-Szenario verwendet werden, um unbemerkt Informationen unter die Leute zu bringen. Auch das Verstecken subversiver Information in scheinbar unpolitischen Produkten wie Strickanleitungen hat uns fasziniert”, sagt Kurbak. In der Ausstellung sollen diese verschiedenen Ebenen für die Besucher herausgearbeitet werden.

Der gestrickte Radiosender war aber nur der Anfang. Mittlerweile haben die Künstlerinnen deutlich größere Ziele: “Wir sticken derzeit einen funktionierenden Computer”, sagt Kurbak. Bislang gibt es Prototypen einzelner Systemkomponenten, bis zur Ausstellung im nächsten Frühjahr soll aber ein 8-Bit Universalrechner entstehen, gefertigt mit Materialien und Techniken aus der Stickerei. “Der Computer ist heute allgegenwärtig und beeinflusst, wie wir mit der Welt interagieren. Auch die Entstehung der Technologie ist hochinteressant, vom Zuse-Rechner zum modernen Smartphone”, erklärt Posch die Anziehungskraft des Computers als Objekt für Stitching Worlds.

Textilspeicher des Apollo-Programms

Die Fragen, was gewesen wäre, wenn andere Technologien sich bei der Computerherstellung durchgesetzt hätten, wollen die Künstlerinnen ebenfalls beleuchten. “Wir suchen nach Alternativen. Was wäre gewesen wenn dervon Frauen gewebte Speicher, der im Apolloprogramm verwendet wurde, sich zum Standard entwickelt hätte? Dann wäre wohl einiges in der Geschichte anders gelaufen”, sagt Kurbak.

Dieser Artikel ist im Rahme einer Kooperation zwischen futurezone und Maker Faire entstanden.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Markus Keßler

mehr lesen
Markus Keßler

Kommentare