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Start-ups

"Eltern weinen noch immer, wenn sich ihre Kinder selbstständig machen"

In der österreichischen Gesellschaft ist die Gründung eines Unternehmens noch immer nicht etabliert, meint Selma Prodanovic. Eine Beamtenkarriere treffe nach wie vor auf mehr Akzeptanz, auch innerhalb der Familie.

Das Infofestival „Business Maniacs 2021“ steht bevor. Die Wirtschaftsagentur Wien und die Junge Wirtschaft Wien laden am 18. November unter dem Motto „Nur Mut – zum Gründen!“ Gründer*innen, Start-ups und Jungunternehmer*innen ein, virtuelle Beratungsstände zu besuchen und sich bei Online-Vorträgen informieren zu lassen. Der erste Vortrag kommt von der Angel-Investorin Selma Prodanovic

Sie hat gemeinsam mit Stefanie Pingitzer die Gründung der Austrian Angel Investors Association initiiert und gibt Online-Kurse rund um das Thema Start-up. Prodanovic arbeitet, eigener Angabe nach, an einer Reihe an Möglichkeiten, Start-ups zu unterstützen, weil sie „die Lösungen schaffen, die wir brauchen“. Die futurezone hat sich mit ihr über das Gründen, Scheitern und Wachsen in der Pandemie, sowie über Frauen im österreichischen Start-up-Kosmos unterhalten.

Sie sprechen bei den Business Maniacs 2021 über „Mut zum Start-up“. Ein Start-up zu gründen ist ja risikobehaftet. Was raten Sie Jungunternehmer*innen für den Start?

Selma Prodanovic: Eines vorab: Wenn es kein Risiko gäbe, würde es keinen Mut brauchen. Man muss sich klar sein, wieso man das Unternehmen gründen möchte. Im Idealfall haben Entrepreneur*innen ein Problem, das sie lösen wollen. Sonst habe ich keinen Markt und kann auch nicht wirklich erfolgreich sein. Der zweite entscheidende Faktor ist das Netzwerk.

Wie sieht so ein Netzwerk aus?

Hier widmet man sich der Frage: Mit wem soll ich das machen? Seien es jetzt Mitgründer*innen, Investor*innen oder andere Personen, die mich unterstützen oder helfen.

Was, wenn es nicht klappt?

Natürlich kann man und wird wahrscheinlich in bestimmten Phasen nicht so erfolgreich sein oder sogar wirklich scheitern, aber das ist ganz normal im Leben. Als Baby lernen wir zu gehen, indem wir 10.000 Mal hinfallen, bevor wir wirklich aufstehen und gehen können. Fehler werden passieren, aber die Frage ist: Wie steh ich auf und was mach ich damit?

Was ist ein Vorteil, wenn man selbstständig ist?

Die Freiheit der Gestaltung. Wenn es für mich z. B. wichtig ist, ein familienfreundliches oder klimaneutrales Unternehmen zu gründen, dann kann ich es auch so gestalten und mir auch entsprechende Partner und Kund*innen dafür suchen, um es zu realisieren.

„Die Angst die am Anfang der Pandemie da gewesen ist, hat sich umgewandelt“

Wieso ist es wichtig, jene zu unterstützen, die eine eigene Firma gründen wollen?

Ich bin überzeugt, dass Unternehmer*innen Lösungen schaffen für die Probleme, die wir heute haben. Daher ist es im Sinne von uns allen, diese Leute zu unterstützen. Ein großer Teil der Start-ups arbeitet an technischen Lösungen, die es ermöglichen Sachen, besser, schneller und effizienter zu tun oder sie überhaupt zu ermöglichen.

Was könnte aus Ihrer Sicht der Grund sein, dass in Österreich wenige Menschen im Unternehmertum tätig sind?

In der österreichischen Gesellschaft wird eine Beamtenkarriere immer noch positiver angesehen. Wir haben noch immer die Situation, wo Eltern weinen, wenn sie hören, dass die Kinder sich selbstständig machen werden. Natürlich besteht ein großes Risiko. Man gründet ein Unternehmen mit dem Gedanken, erfolgreich zu sein, aber es kann auch durchaus sein, dass ich scheitern werde. Damit muss man klarkommen.

Verändert sich das?

Die Start-up-Szene in Österreich existiert seit 10-12 Jahren und es hat sich viel geändert, wodurch das Unternehmertum positiver wahrgenommen wird. Außerdem leben wir in einer Zeit der Veränderung. Es ist kaum mehr der Fall, dass man seine ganze Karriere bei einem einzigen Unternehmen verbringt. Außerdem kommen immer mehr neue Jobs auf. In drei Jahren wird es Arbeitsplätze geben, über die wir heute noch Garnichts wissen. Daher brauchen wir heutzutage eine gewisse Flexibilität und das lösungsorientierte Denken, das „Entrepreneurial Mindset“.

Laut dem Austrian Start-up Monitor gaben im Herbst 2020 einige Start-ups an, mit negativen Folgen der Pandemie zu kämpfen. Würden sie auch während Krisen zu Gründungen raten?

Absolut. Die Angst die am Anfang der Pandemie da gewesen ist, hat sich umgewandelt. Es ist eigentlich noch nie so viel Geld in Start-ups geflossen. Eine Krise ist genau der richtigen Zeit, um ein Problem anzugehen. Wann sonst? Wenn alles perfekt ist? Der Bedarf an dem, was ich anbiete, ändert sich zwar, aber es ist also absolut sinnvoll und logisch, ein Unternehmen in einer Krise gründen zu wollen. Beispielsweise Zoom, mit dem wir gerade sprechen, hat in der Pandemiezeit das größte Wachstum erlebt. Natürlich gab es Unternehmen, die verloren haben, aber andere sind genau in dieser Zeit entstanden oder gewachsen.

Aber es verfolgt doch nicht jedes Unternehmen das Ziel, im Wohl der Allgemeinheit zu wirtschaften oder?

Das stimmt, aber es muss trotzdem ein existierendes Problem auf dem Markt gelöst werden. Ich kann jetzt kein Unternehmen gründen, dass gelbe Kerzen produziert, wenn sie nicht notwendig sind. Bspw. In der Pandemie gab es das Problem: Was mach ich mit den Kindern? Dafür wurden Unternehmen gegründet oder für das Thema mentale Gesundheit. Ich muss dieses Problem im Idealfall spüren, entdecken oder sehen. 

Wie sehen Sie die Unterstützung der Regierung für die Start-ups in der Pandemie? War es genug? Wurde an den richtigen Stellen und in der richtigen Art und Weise geholfen?

Es ist sehr unterschiedlich ausgefallen für die diversen Bereiche. Es ist Geld in verschiedensten Formen geflossen. Es war administrativ schwierig und kompliziert. Aus der Sicht der Start-up-Szene war es zu wenig. Versprechungen wurden abgegeben, die nicht eingehalten wurden.

Wie haben sich aus ihrer Sicht bei den staatlichen bzw. gesetzlichen Rahmenbedingungen für Start-ups und Investor*innen in den letzten Jahren geändert?

Es wurde schon vieles thematisiert, aber wenig umgesetzt. Wir reden über die Vereinfachung der Gesellschaftsgründung, die Mitarbeiterbeteiligung, Investitionsanreize schon seit Jahren und es ist noch nichts passiert. Wir werden sehen, wie sich die Regierung in der jetzigen Form verhalten wird. Uns muss klar sein, dass wir in Konkurrenz mit anderen Ländern stehen, die bessere oder einfachere Bedingungen für Start-ups und Investor*innen haben wie zum Beispiel Estland.

Selma Prodanovic

Welche Entwicklungen der österreichischen Start-up-Szene konnten Sie beobachten?

Es gibt einen riesen Wachstum, den wir uns vor 10 Jahren nicht erträumen konnten. Angefangen von Unicorns, großen Unternehmen und große Exits – das sind die, die auch die nächste Generation von Gründer*innen inspirieren. In der Pandemie hat sich auch gezeigt, dass Unternehmen, die einen Mehrwert schaffen bzw. eine positiven Impact haben, besser dastehen als andere und ein besseres Verhältnis mit ihren Kunden*innen hatten. SDGs (Sustainable Development Goals) werden immer wichtiger.

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht Diversität in einem Start-up?

Alle Statistiken und Studien belegen, dass Unternehmen sowie Start-ups besser dastehen, wenn sie gemischte und diverse Teams haben. In Start-ups ist es absolut normal, dass Menschen aus unterschiedlichsten Ländern gemeinsam zusammenarbeiten und diese Diversität führt zu besseren Ergebnissen.

Laut dem Austrian Start-up Monitor 2020 gibt es jetzt rund 1.300 Start-up-Gründerinnen, aber 5700 Start-up-Gründer. Wieso ist die Start-up-Szene in Österreich eine Männer-Domäne?

Die Start-up-Szene ist weltweit noch eine Männerdomäne und das hängt an vielen Faktoren. Sie ist im klassischen Sinne eine technologiebezogene Entwicklung, was früher Männern zugewiesen wurde. Ihnen wird es sozusagen viel mehr in die Wiege gelegt, ein Unternehmen zu gründen. Eine Frau wird mangelhaft gefördert und hat auch noch den Nachteil in der Karriere, weil sie Kinder kriegen wird, also die „motherhood penalty“. Es liegt auch an Unconscious Bias, also falsche Wahrnehmungen, die uns gar nicht bewusst sind. Das äußert sich beim Investmentverhalten und in den Medien, wo viel mehr Männer als Frauen präsent sind. Ein Gründer muss mutig sein, um erfolgreich zu sein - eine Gründerin noch mutiger.

Welche Veränderungen haben Sie hier beobachtet?

Mittlerweile gibt es viel mehr Investment, das in Richtung weiblich geführter Start-ups fließt. Es gibt auch Organisationen wie die Female Founders, die dafür einen besonderen Beitrag leisten. Seit den letzten Jahren steigt die Anzahl von weiblichen Gründerinnen und weiblichen Investorinnen.

Was kann getan werden, um das zu ändern?

Wir müssen Role Models zeigen – die Medien müssen uns hier unbedingt helfen. Einerseits entspricht es teilweise der Realität auf dem Markt. Andererseits, wenn wir das nicht medial ändern und Vorbilder zeigen, wird sich das nicht ändern.  Man kann dafür auch Bedingungen schaffen wie finanzielle Boni. Also das auch tatsächlich gefördert wird, dass Frauen selbstständig werden.

Gäbe es etwas, was sie speziell Frauen raten würden, die im Start-up-Bereich tätig werden wollen?

Ehrlich gesagt, es war noch nie eine bessere Zeit, um eine Frau zu sein - Go for it. Es gibt viele Tausende Probleme und man hat es in vielen Bereichen schwerer, aber man kann es schaffen. Man kann immer die eigene Schwäche in die eigene Stärke umdrehen. Ich wünsche mir, dass viel mehr Frauen den Mut dafür haben.

„Ehrlich gesagt, es war noch nie eine bessere Zeit, um eine Frau zu sein“

Worauf achten Sie als Business Angel bei Investitionen?

In erster Linie geht es um die Persönlichkeit der Gründerin bzw. des Gründers. Ein Unternehmen aufzubauen ist schwierig. Es gibt viele Risiken und es bieten sich viele Möglichkeiten an. Die Person muss tatsächlich ausstrahlen, dass sie fähig ist, es durchzuziehen. Auch das Team, das dahintersteht, ist von Bedeutung. Dann muss es eben ein Problem geben, das gelöst wird. Es muss einen Markt geben, der sehr groß ist.

Wie unterscheidet sich ein Start-up von einem gewöhnlichen Unternehmen?

Es zeichnet sich durch Innovation oder innovativen Modellen und einem exponentiellen Wachstum aus. Dieses exponentielle Wachstum kann nur durch Investitionen ermöglicht werden, nicht durch das reguläre Geschäft des Unternehmens.

Wodurch unterscheiden sich Business Angel von anderen Investor*innen?

Business Angels geben mehr als Geld, sie investieren Smart Money und engagieren sich für das Unternehmen. Das bedeutet, wir geben drei Sorten von Kapital. Wir geben neben Financial Capital, Human Capital, also das Wissen in einer bestimmten Industrie bzw. über einen Markt. Und Social Capital, das Netzwerk bzw. die Verbindungen zu Kund*innen und Partner*innen.

Der Frauenanteil bei den Business Angels ist sehr niedrig. Welche Gründe hat das?

Er liegt bei etwa unter 10 Prozent. Traditionell haben sich Frauen nicht selbst um ihr Geld gekümmert und auch nicht selbst investiert. Es ist eben meistens über den Mann oder den Bankberater abgewickelt worden. Wir sehen hier aber eine Entwicklung von immer selbstbewussteren Frauen, die es selbst in die Hand nehmen und Entscheidungen treffen.

Wie wirkt sich das aus?

Kommt man zu einem Business Angel Event, sind dort gefühlt 99 Prozent Männer. Da fühlt man sich als Frau nicht wohl, aber wir arbeiten intensiv daran und haben einige Angebote, die sich speziell an Frauen richten. Die Austrian Angel Investors Association hofft auch durch dieses Interview Investorinnen anzusprechen.

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Armin Nadjafkhani

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Redakteur bei der futurezone seit Oktober 2021 Interessiere mich für Wissenschaft, Technologie und Medien, aber auch für Hiphop und Filmwerke.

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