Sascha Lobo: "In jedem von uns steckt ein Troll"
Sascha Lobo: "In jedem von uns steckt ein Troll"
© Jakob Steinschaden

Sascha Lobo: "In jedem von uns steckt ein Troll"

Sascha Lobo: "In jedem von uns steckt ein Troll"

Sascha, du hast die Haare schön“, „Trollforschung: Was es nicht alles gibt“, „Volle Halle beim Lobo“: Der deutsche Blogger, Autor und Netz-Journalist Sascha Lobo ist das wohl bekannteste Gesicht der deutschen Internet-Szene, und das nicht nur wegen seiner rotgefärbten Irokesenfrisur. Seine Rede auf der Blogger-Konferenz re:publica in Berlin war ein gutbesuchtes Highlight und wurde mit vielen Tweets bedacht. Lobo ist bekannt dafür, Entwicklungen im Netz („Ihr twittert ja nur, weil ihr lange Sätze und Gedankengänge vermeiden wollt“) in angriffslustigen Vorträgen in Frage zu stellen und sich gleichzeitig ins Rampenlicht zu drängen („Ich habe von WikiLeaks bis Chatroulette alles erklärt, was vorne ein http hat“).

 

Zwischen Lobos Polemiken blitzen aber immer wieder bemerkenswerte Ideen und Positionen auf. Mit der futurezone hat er über Internet-Trolle, die Lügen der Internet-Branche und das wachsende Problem der Mikro-Öffentlichkeiten gesprochen.

 

futurezone: Ihr Vortrag auf der re:publica zum Reizthema „Trolle im Internet“ war gut besucht. Wer sind diese Trolle, die den anderen durch Schimpfereien in Internet-Foren und E-Mails das Leben schwer machen?Sascha Lobo: In jedem von uns steckt ein Troll. Je nach Situation nimmt der Trollanteil in uns zu oder ab. Das ist ein bisschen so wie mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Wenn man tagsüber ganz entspannt ist, dann verdächtigt einen niemand, am Abend das Monster zu sein.

 

Facebook oder Disqus bieten externen Webseiten Kommentar-Systeme, die im Wesentlichen dafür sorgen sollen, dass Internetnutzer nicht mehr anonym, sondern unter echtem Namen posten. Wird das das Troll-Problem lösen?Nein, definitiv nicht. Sie werden das Problem eindämmen und Inseln der Glückseligkeit schaffen, wo weniger Trolle sind. Das wird auf Dauer aber nicht funktionieren. Zum einen kann man innerhalb weniger Sekunden einen Facebook-Account mit falschem Namen anlegen, zum anderen hat der Trend zu echten Namen eine Gegenwelle erzeugt. Die meisten Leute haben inzwischen nicht nur einen Account mit echtem Namen, sondern auch einen anderen mit einem Pseudonym.

 

Sascha, du hast die Haare schön“, „Trollforschung: Was es nicht alles gibt“, „Volle Halle beim Lobo“: Der deutsche Blogger, Autor und Netz-Journalist Sascha Lobo ist das wohl bekannteste Gesicht der  deutschen Internet-Szene, und das nicht nur wegen seine rotgefärbten Irokesenfrisur. Seine Rede auf der Blogger-Konferenz re:publica in Berlin war ein gutbesuchtes Highlight.

In Ihrem aktuellen Buch „Strohfeuer“ zeichnen Sie ein sehr negatives Bild der Start-up-Szene Deutschlands um die Jahrtausendwende: verlogen, geldgierig, aufgeblasen. Entspricht das der Realität?Ich fürchte, dass ist noch untertrieben. Ich habe die New Economy und diesen Goldrausch selbst erlebt. Der NEMAX (Aktienindex des Neuen Marktes, Anm.) listete Ende der Neunziger 50 Unternehmen aus der New Economy, also etwa dem Internet oder Biotech. Zwölf dieser Firmen hatten später mit Betrugsvorwürfen oder gar Verurteilungen wegen Betrugs zu tun. Das sind fast 30 Prozent des NEMAX. In diesem Goldrausch sind eine ganze Menge an Leuten mitgerauscht, die keine Unternehmer waren, denen im Zweifel Legalität völlig egal waren.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die fantastischen Milliardenbewertungen von Web-Firmen wie Facebook, Twitter oder Groupon. Baut sich da die nächste Internet-Blase auf?Nein. Bei der ersten Dotcom-Blase hatten Firmen mit einem Umsatz von Null Millionen- oder Milliardenbewertungen. Das ist jetzt nicht so. Natürlich kann man darüber streiten, ob Facebook 50 Milliarden Dollar wert ist. Völlig unbestritten ist aber, dass Facebook ein Phänomen ist, und zwar auch ein wirtschaftliches. Sie haben 2010 immerhin zwei Milliarden Dollar Umsatz gemacht und ein Viertel der gesamten Werbung im Netz weltweit ausgeliefert. Das sie ihre Aufmerksamkeit noch nicht ausreichend monetarisieren, liegt unter anderem daran, dass sie noch nicht die ideale Werbeform gefunden haben. Wenn sie die finden, ist Facebook eine echte Goldgrube, wie es Google jetzt schon ist.

Wenn man sich die deutsche Internetlandschaft ansieht, wird man das Gefühl nicht los, dass hier fast immer US-Start-ups kopiert werden. Haben die Deutschen zu wenig eigene Ideen?Es wird tatsächlich sehr viel kopiert, und zwar deswegen, weil es geht. Ideen, die in den USA funktionieren, werden hier finanziert, bevor die Amerikaner die Chance haben, sie zu exportieren. Diese Mechanik hat aber nicht nur mit den Gründern, sondern vielmehr mit den Investoren zu tun. US-Investoren investieren in etwas Neues und kennen das Risiko. Deutsche Investoren aber wollen gar kein Risiko eingehen und wollen vorher den Beweis haben, dass etwas funktioniert. Deswegen hat man es in Deutschland sehr viel einfacher, mit einem kopierten Unternehmen Geld zu machen als mit einem ganz neuen.

Auf der re:publica war eines der meist diskutierten Themen die vermeintliche Social-Media-Revolution in Nordafrika. Wie beurteilen Sie als Beobachter der Geschehnisse die Situation? War es ein Facebook-Aufstand?Das Internet hatte einen wesentlichen Anteil an den Revolutionen in Nordafrika. Allerdings ist das Internet wie Papier oder Rundfunk, es hat die Situation begünstigt. Am Ende kommt es aber darauf an, dass Menschen ihr Leben auf der Straße riskieren. Das ist der Kern dieser Revolution gewesen, und es haben auch Menschen ihr Leben verloren. Da steht Facebook, um es mal vorsichtig zu sagen, ein wenig zurück.

In Deutschland wiederum hatten die massiven Pro-Guttenberg-Proteste auf Facebook nur marginale Offline-Folgen in Form von kleinen Demonstrationen. Warum?Das liegt daran, dass die Leute schnell einmal klickten, weil sie den Herrn, der seine Frisur so seltsam gelt, sympathisch fanden. Das hat aber wenig mit politischem Engagement zu tun, das war eher so ein dumpfes Unmutsgefühl, dass sich auf Facebook äußerte. Von da bis hin zu einer echten politischen Aktivität ist es ein sehr weiter Weg und nicht damit zu vergleichen, für seine Überzeugung auf die Straße zu gehen.

Sie haben davor gewarnt, dass Internetnutzer immer mehr in so genannte Mikro-Öffentlichkeiten abdriften. Verstärkt sich das Problem durch Online-Netzwerke, in denen die Menschen immer mehr Zeit verbringen?Dieses Phänomen ist im Social Network relativ jung und wird ein langfristiges Problem. Facebook unternimmt sehr wenig, um eine plurale Meinung abzubilden, und sehr viel, dass das, was im Stream steht, genau das ist, was man gerne liest - und zwar deswegen, damit man mehr anklickt. Wenn man die Welt immer mehr durch Facebook erfährt, wo man sich seine Quellen selbst aussucht, bekommt man immer das – Überraschung! - was man gerne hören möchte. Man kann seinen Freunden vieles zutrauen, aber man sollte sich nicht auf sie verlassen, wenn es um die Auswahl der richtigen Nachrichten geht.

Sie sind ein vehementer Befürworter von Google Street View. In Österreich ist der Dienst noch immer nicht gestartet. Was verpassen wir Österreicher?Österreich bringt sich um eine neue Möglichkeit, seine Umwelt zu erkunden, die weit über das hinaus geht, was bisher digital möglich war. Die Nutzungsmöglichkeiten sind so vielfältig, dass man erst in den kommenden Jahren sehen wird, welche Vorteile „Street View“ hat.

Zum Beispiel?In Frankreich gibt es das Phänomen, dass Hoteliers Google bitten, ihre Straße in Street View aufzunehmen. Denn die Gäste wollen sich die Hotels vorher ansehen, und zwar nicht auf den Fotos, die das Hotel selbst gemacht hat, weil dort die Müllkippe gegenüber nicht zu sehen ist, genauso wenig wie die Umgebung. Auf Google Street View abgebildete Hotels haben eine höhere Chance, gebucht zu werden. Österreich lebt sehr intensiv vom Tourismus, und was ist, wenn die Leute in die Schweiz oder nach Norditalien fahren, weil sie dort diese Informationen bekommen?

Wie geht es bei Ihnen 2011 weiter?Im Herbst kommt ein neues Buch, ich verrate aber erst im Mai, um welches Thema es gehen wird.

Letzte Frage: Färben Sie Ihren Irokesen selber oder gehen Sie zum Friseurr?Ich gehe zum Friseur, weil ich ein großer Anhänger der Professionalisierung bin. So etwas Delikates wie Haarefärben kann nicht jeder Amateur machen, also auch nicht ich.

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Zur Person: Der Berliner Sascha Lobo (36) bloggt unter SaschaLobo.com, hat bis dato vier Bücher veröffentlicht (u.a. „Wir nennen es Arbeit“, „Strohfeuer“) und ist außerdem als Autor für Spiegel Online tätig. Er sitzt im Online-Beirat der SPD und ist Ende 2010 als vehementer Befürworter des Google-Dienstes Street View aufgetreten. In der idealistischen Blogger-Szene ist er unter anderem deswegen umstritten, weil er 2009 für den Mobilfunker Vodafone Werbung gemacht hat.

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Jakob Steinschaden

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