Miau, schnurr!
Miau, schnurr!
© Reuters/SHANNON STAPLETON

Peter Glaser: Zukunftsreich

Die Fingerspitzengefühlsmaschinen

Die Katze saß auf dem Fensterbrett auf einem Gartenhandschuh, der orange unter ihrem Bauch hervorgriff. Ein Freund von mir, der gerade da war, schüttelte dem Handschuh die Hand. Die Katze staunte, elegant und umfassend wie Katzen eben staunen. Grummel, sagte der Nachmittagshimmel draußen, dann begann es zu regnen.

„Es rechnet“, sagte ich. Ich hatte vor einer halben Stunde den Garten gegossen.

„Gadgets, die wir uns von Computerherstellern wünschen“, antwortete mein Freund mit der Stimme von jemandem, der einen Lehrfilm vertont, „Heute: Die Schreimaschine.“

Wir setzten uns vor meinen Rechner. Nicht jeder vor seinem, sondern beide vor einen. Natürlich mußte man sich so – „laß mich einmal kurz...“ – eine gewisse Zurückhaltung auferlegen und sozusagen dem anderen nicht ständig ins Lenkrad greifen.

Facebook floß über den Bildschirm. „Am Stream bitte zurücktreten. Statusmeldungen schließen selbsttätig. Vorsicht bei der Abfahrt.“

Die Katze setzte sich neben den Rechner. Ich streichelte sie und sie schnurrte, dann war alles wieder wie vorher, nur angenehmer. „Warum baut niemand Maschinen, die wie Katzen sind?“, wollte ich wissen. „Nicht Maschinen, die wie Katzen aussehen, sondern Maschinen, die wie Katzen *sind*.

„Ist doch schon. Mit dem Multitouch-Display des iPhone hat Apple eine neue Ära der Zuwendung eingeleitet, die wir Maschinen entgegenbringen. Einen Computer zu bedienen, indem man sanft über seine Oberfläche streicht, war eine Zäsur. Die eigentliche Revolution ist nicht mobil, sondern taktil. Erst waren wir im PC-Zeitalter. Hacken. Klicken. Diese Bewegung, wie wenn man nervös die Asche von einer Zigarette klopft. Jetzt hat die Epoche der Fingerspitzengefühlsmaschinen begonnen.“

So ist es doch. Tastaturgeklacker und Mausbedienung haben nichts mehr mit der sinnlichen Eleganz zu tun, mit der wir inzwischen mit unseren Gadgets umgehen. Trackpads waren die Vorübung. Jetzt werden Rechner zu Intimbereichen. Die zärtlichen Finger haben mit dem iPhone, den Smartphones, den Tablets den Schutz der Schamhaftigkeit verloren. Und wer könnte etwas dagegen haben, dass in einer von Rohheit heimgesuchten Zeit kleine Geräte einem hypermodernen Zartgefühl zu mehr Öffentlichkeit verhelfen?

Intime Objekte

„Ich hatte mir doch da was notiert“, mein Freund grub in seinen Hemd- und Hosentaschen.

„Etwa auf einem *Zettel*?“

Bill Campbell“, sagte er nach einem Blick auf seine Notizen, „ein Mann aus dem Apple-Vorstand. Er sieht eine Zeit heraufziehen, in der neue Geräte immer mehr das sein werden, was er „intimate objects” nennt. Körpernahes Equipment. Wearables. Selbstüberwachungsmaschinen, vom Fitnesstracker bis zur iWatch. Riesige Bildschirme aus biegsamen Displays auch, die uns halb umschließen (damit man jedes Pixel aus derselben Entfernung sieht). Die uns umarmen.“

Neben der Katze lief ein Lied und sie versuchte, es einzufangen.

Eine der Firmen von Steve Jobs war Pixar, wo man bekanntlich das Geschichtenerzählen mit Animationsfilmen neu erfunden hat, und ich machte meinen Besucher darauf aufmerksam, dass die Grundlage so wundervoller Filme wie „Finding Nemo“ immer Tierbeobachtungen sind, und dass Apple-Chef Tim Cook, wenn er wirklich klug ist, damit weitermachen sollte - nicht bei Pixar, sondern in der Entwicklungsabteilung von Apple. Sie sollten zum Beispiel das neue Hauptquartiers-Ufo in Cupertino für Tiere bauen und dann zu Gast bei den Katzen sein. Aus den Katzenbeobachtungen würden dann Dinge entstehen, die naturminimalistisch sind und sich gut anfühlen, und die ungeheure Lebensqualität ausstrahlen, wie Katzen eben.

Etwas, das einmal das Fernsehen gewesen war

Die Katze sagte Miau.

„Wußtest du, dass Katzen nur Menschen anmiauen, nie andere Katzen?“ – mein Freund bediente die Benutzeroberfläche der Katze. Die Katze schnurrte und die externe Platte des Rechners begann eifersüchtig ebenfalls zu schnurren. Da saßen wir nun, zwei Menschen aus dem Reich der Mieze, und fragten uns ob wir nun unsere Gadgets domestiziert haben, sodass sie zutraulich wie Katzen geworden sind, schnurrend, ganz nah an unserem Körper? Oder ob es vielleicht umgekehrt war und wir nun endlich soweit sind, uns auf vertraulichere Weise der digitalen Technik anzunähern?

Etwas, das einmal Vollbild-Fernsehen gewesen war, quetschte sich in einem kleinen Fenster rechts unten auf dem großen Bildschirm des Rechners in die Ecke. Jemand hielt eine Rede. Ich hatte den Ton weggeschaltet. „Der muß doch schon Sprechblasen haben vor lauter Reden.“

Fernsehn war gestern, heute ist Nahsehn. Trotzdem glaube ich, dass die Ferne gesiegt hat. Das muß nicht schlecht sein. All die Dinge, die mit Tele- beginnen und die seit 100 Jahren die Welt in etwas vollkommen Neues verwandeln – Telefon, Television, Telekommunikation. Was in den Medien vor sich geht, übt eine viel größere Attraktion auf uns aus als das, was unmittelbar um uns herum ist...

„Nee, nee“, sagte Karlchen auf Höchstdeutsch.

Ich verstand „Nähe. Nähe.“

Der Unterschied zwischen Mensch und Tür ist, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, alles falsch zu verstehen.

„Stimme ich Tür zu“, sagte Karlchen.

„Wußtest du, dass Katzen sprechen können, es aber aus Klugheit nicht tun?“

„Das Mehrchen vom Weniger“, ich winkte ab.

Dann sagte ich nichts mehr, um zu zeigen, dass auch ich klug bin und die Klappe halten kann.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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