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Kommentar

Microsoft droht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken

Die Zahlen geben Microsoft eigentlich Recht. 24,5 Milliarden Dollar Umsatz im Weihnachtsquartal 2013 und eine Gewinnsteigerung auf 6,6 Milliarden Dollar. Berichten zufolge soll der US-Konzern auf einem Geldberg von über 80 Milliarden US-Dollar sitzen. „Die Investitionen in Geräte und Services zahlen sich aus“, frohlockte Ex-CEO Steve Ballmer, der nun nach einer wochenlangen Suche vom Microsoft-Urgestein Satya Nadella beerbt wurde.

Grobe Fehleinschätzungen

Ungeachtet des wirtschaftlichen Erfolges: Ein sonniger Spaziergang waren die vergangenen Jahre für Microsoft nicht, im Gegenteil. Vielmehr verbrachte der Software-Gigant den Großteil des letzten Jahrzehnts damit, spektakuläre Managementfehler auszubügeln und Markttrends nachzulaufen, die man aus der Position des Marktführers einfach ignoriert oder abgetan hatte. Vergessen wird dabei gerne, dass auch Bill Gates einige schwere Fehleinschätzungen unterlaufen sind, an denen Microsoft bis heute knabbert.

So erkannte der Softwarekonzern in den späten 90ern die Wichtigkeit von Suchmaschinen-Technologien nicht und unterschätzte das aufstrebende Start-up Google und das dahinterstehende Geschäftsmodell komplett. Die fahrlässige Überheblichkeit, die Microsoft zudem nach dem gewonnenen Browserkrieg an den Tag legte – der Internet Explorer wurde jahrelang einfach nicht weiterentwickelt – kostete den Softwarekonzern neben dem Imageschaden nicht weniger als die Vormachtstellung beim Einstieg ins Internet. Der an Mozilla Firefox und Google Chrome verlorene Marktanteil konnte bislang nicht einmal in Ansätzen wieder zurückerobert werden.

Wer braucht ein iPhone?

Den vermutlich schwersten Fehler der vergangenen Jahre machte Microsoft – in der Person von Steve Ballmer – als es zunächst Apples iPhone und das damals radikal neue mobile Betriebssystem-Konzept iOS ignorierte und selbst da noch auf der Bremse stand, als es Apple mit seinem iPad bereits gelang, erste Marktanteile vom Gesamt-PC-Markt wegzufressen. Während sich auch Google im Schatten von Apple emsig mit Android den Mobiltelefon-Markt erarbeitete, hielt Microsoft stur an seiner festgefahrenen Windows-Mobile-Strategie fest.

Bei einer schonungslosen Betrachtung der vergangenen Jahre muss man zwangsläufig zum Schluss kommen, dass Microsoft in vielen Bereichen zwar seine Marktdominanz konservieren und auch einige teuer erkaufte Erfolge – etwa bei der Xbox – feiern konnte. Der Technologiebranche ihren Stempel aufgedrückt und für Begeisterung gesorgt haben aber im Normalfall andere: Google, Apple, Facebook, Amazon und vermutlich auch kommerziell weniger erfolgreiche Services wie Twitter, Netflix, Spotify oder Dropbox.

Innovation gefragt, nicht Tradition

In seinem ersten Brief an alle Microsoft-Mitarbeiter bringt der frisch gekürte CEO Satya Nadella das Microsoft-Dilemma auf den Punkt: „Unsere Industrie respektiert nicht die Tradition, sie respektiert nur die Innovation.“ Das lässt sich 1:1 auch auf Medien, Konsumenten und Business-Kunden umlegen. Der im Brief nachfolgende Satz, dass Microsoft alles in Richtung mobiler Nutzung und Cloud auslegen und neu erfinden müsse, mag harmlos klingen. Wenn man aber weiß, dass Microsoft trotz größter Anstrengungen im Smartphone- und Tablet-Bereich mit wenigen Prozent Marktanteil immer noch praktisch irrelevant ist, kann man erahnen, in welchen Problemen Microsoft in Wahrheit steckt.

Es wäre unfair, die Anstrengungen und Ideen Microsofts der vergangenen Jahre nur schlecht zu reden. Windows Phone braucht sich als mobiles Betriebssystem nicht zu verstecken, das Kartenmaterial von Bing Maps ist Google Maps in vielerlei Fällen überlegen und auch bei Windows 8 muss man Microsoft zumindest zugutehalten, dass der Software-Konzern eine kreative und mutige Neuinterpretation der Bedienoberfläche versuchte.

Dass man Innovation aber nicht mit der Brechstange erzwingen kann, ist wohl die schmerzhafte Lehre, die Microsoft aus dem Windows-8-Abenteuer und der monatelangen Diskussion um den abgeschafften Windows-Startknopf ziehen muss. Dazu passt auch, dass Microsoft die spannendste Entwicklung der jüngeren Konzerngeschichte eher zufällig passiert ist, nämlich bei der Xbox-Steuerung Kinect. Diese wurde schon bald weit über ihren ursprünglichen Einsatzort hinaus von Wissenschaftlern, Tüftlern und Kunststudierenden für diverse Projekte eingesetzt. Hier reagierte Microsoft nach einer kurzen Schockstarre zur Abwechslung auch richtig, indem die Entwicklerschnittstellen freigegeben wurden.

Gegen die Bedeutungslosigkeit

Selbst Microsoft-affine Menschen müssen bei einer ehrlichen Betrachtung aber wohl oder übel zum Schluss kommen, dass der Konzern in den vergangenen Jahren praktisch in der Bedeutungslosigkeit versunken ist, was die Führerschaft bei technologischen Innovationen betrifft. Diese Analyse müsste nicht zuletzt auch Microsoft-Gründer Bill Gates nachdenklich stimmen. Die Ankündigung, dass er als technischer Berater inhaltlich wieder mehr zur Weiterentwicklung von Microsoft beitragen wolle, kann folglich als Reaktion auf diese Bestandsaufnahme verstanden werden.

Auch Nadellas Ansporn an seine Mitarbeiter kann dahingehend interpretiert werden, dass wirtschaftlicher Erfolg manchmal zu wenig ist – gerade bei einem Technologiekonzern wie Microsoft. Jeder Microsoft-Mitarbeiter müsse eine Bedeutung („meaning“) in seiner Arbeit finden, spielt Nadella ebenfalls auf diesen Begriff an. Für den technischen Fortschritt und die Innovationsfähigkeit der gesamten Branche bleibt folglich nur zu hoffen, dass Microsoft unter Nadella sein angestaubtes Image abstreifen und mit frischen Ideen und innovativen Entwicklungen punkten kann.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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