Ein Implantat gegen jede Krankheit
Ein Implantat gegen jede Krankheit
© Tonis Pan - FotoliaTonis Pan - Fotolia

Ein Implantat gegen jede Krankheit

Ein Implantat gegen jede Krankheit

Was lange Zeit als Zukunftsmusik galt bzw. eher in Science-Fiction-Filmen angesiedelt war, könnte in absehbarer Zeit die Medizin revolutionieren. Kleine Chip-Implantate gelten als Hoffnungsträger, um gezielt Medikamente für bestimmte Patientengruppen und Krankheitsbilder zu entwickeln oder den Gesundheitszustand von chronisch Kranken und älteren Patienten auf einfache Weise im Auge zu behalten.

Seit Jahrzehnten ein Thema „Das Thema war vor 20 Jahren schon einmal groß im Gespräch, vieles war damals technisch aber noch nicht umsetzbar“, erklärt Gerald Urban vom Institut für Mikrosystemtechnik an der Universität Freiburg gegenüber der futurezone. „Jetzt ist man gerade bei der Energieversorgung, aber auch bei der chipbasierten Sensorik soweit, dass kleine Implantate auch abseits von Herzschrittmachern bei einer Vielzahl von Personen denkbar sind.“

Um einfache Körperfunktionen wie Temperatur, Bewegung, aber auch Atemfunktionen zu überwachen oder ein EKG durchzuführen, genügt das Implantieren eines Chips direkt unter der Haut. „Das dauert zwei Minuten und ist operations- und kostentechnisch keine große Sache“, ist Urban überzeugt. Derartige Implantate, welche die gesammelten Informationen drahtlos an eine Messstelle übertragen und beim Erreichen von bestimmten Grenzwerten Alarm schlagen können, würden Ärzten die Diagnostik erheblich erleichtern.

Überwachung vs. medizinische SicherheitPatienten, die an einer chronischen Erkrankung leiden oder einen allgemein schlechten Gesundheitszustand aufweisen, könnten sich durch ein derartiges Monitoring sicher sein, dass akute Verschlechterungen bzw. besorgniserregende Entwicklungen frühzeitig entdeckt werden und rasch medizinische Hilfe in Anspruch genommen werden kann. „Andererseits handelt es sich natürlich um einen Eingriff, bei dem man nachher einen Chip im Körper hat. Und Patienten müssen sich auch die Frage stellen, will ich, dass mein Gesundheitszustand und etwa mein Aufenthaltsort ‚überwacht’ werden, damit schnelle Hilfe garantiert werden kann“, gibt Urban zu bedenken.

Dass Mikrochips und Sensorik, seien sie nun auf oder unter der Haut angebracht, derzeit in der Medizinforschung eine große Rolle spielen, steht außer Zweifel. Beim Forschungskongress Euripides im Frühsommer in Graz wurde etwa ein Hightech-Pflaster vorgestellt (die futurezone

), das in Zukunft für mobiles Monitoring eingesetzt werden könnte. Ebenfalls dort wurden auch neueste Erkenntnisse hinsichtlich der Entwicklung von biologisch abbaubaren Implantaten vorgestellt, die sich nach einer gewissen Zeit im Körper einfach auflösen können. Selbstauflösende ImplantateAnnelie-Martina Weinberg von der Medizinischen Universität Graz etwa forscht im dort angesiedeltenLaura Bassi-Exzellenzzentrum (BRIC)an revolutionären Materialien für Implantate, die bei komplizierten Frakturheilungen diese unterstützen und nach getaner Arbeit vom Körper einfach absorbiert werden. Ein zweiter Eingriff zum Entfernen des Implantats wäre somit hinfällig, was gerade in der Kinderchirurgie eine erhebliche Erleichterung darstellen würde. Als große Hoffnung sieht Weinberg den Einsatz von resorbierbaren Implantaten auf Magnesium-Basis.

„In der Akutbehandlung war das Thema bislang kaum existent, da entsprechende Werkstoffe fehlen“, sagt Weinberg im Gespräch mit der futurezone. Dabei könnten resorbierbare Implantate etwa bei der Knochenheilung nach Unfällen einen wertvollen Beitrag zu einer individualisierten medizinischen Betreuung leisten.

In Zukunft resorbierbare Chips?Statt einer standardisierten Frakturheilung, die mithilfe von starren temporären Implantaten durchgeführt wird, schweben der Unfallchirurgin elastische Implantate vor, die sich nach der ersten Heilungsphase den Knochenbegebenheiten des jeweiligen Patienten anpassen und schließlich ohne Rückstände vom Körper absorbiert werden. Besonders spannend, wenn auch noch Zukunftsmusik, ist für Weinberg die Verknüpfung mit vom Körper resorbierbaren Chip-Sensoren.

„Je mehr ich schon im Vorfeld einer Operation über die tatsächliche biomechanische Beschaffenheit des Bewegungsapparates in Erfahrung bringen kann, desto individualisierter kann die medizinische Behandlung erfolgen – man denke etwa nur an das Einsetzen einer neuen Hüfte“, so Weinberg. Da niemand einen Körper voller kleiner Chips wolle und chirurgische Eingriffe vermieden werden sollen, sieht Weinberg die Entwicklung von sich selbst auflösender Chips als vielversprechenden Zukunftsweg.

Ein Implantat gegen jede Krankheit

Körper beschießt FremdkörperSeit Anbeginn der Implantate-Forschung gilt die Biokompatibilität, also die Verträglichkeit von Implantaten im Körper als große Herausforderung. Neben der Verkapselung, die etwa das Aufzeichnen von Messwerten bei sensorbasierten Implantaten verhindert, ist das Implantat umgekehrt auch dem gesamten Waffenarsenal des menschlichen Körpers ausgesetzt.

„Wenn der menschliche Körper einen Fremdkörper entdeckt, wird dieser mit aggressivsten körpereigenen Chemikalien beschossen. Selbst Siliziumnitrid, das sonst für Hartmetallbeschichtungen für Werkzeuge verwendet wird, wird bei Implantation  in wenigen Monaten  agressiv vom Körper angegriffen“, erklärt Urban. Auch Abstoßreaktionen des Implantats nach einer gewissen Zeit seien weiterhin eine Herausforderung, wie etwa im Bereich der schon eingesetzten Retina-Implantate, die derzeit laut Urban alle ein bis zwei Jahre bei Patienten erneuert werden müssten.

Für manche Patienten gibt es kein MedikamentOb der verstärkte Einsatz von Sensoren und das Sammeln und Auswerten individueller Patientendaten einmal zu einer völlig personalisierten Medizin und revolutionär besseren Behandlungsmethoden führen werde, bleibe abzuwarten. „Solange man diese Daten nicht hat, weiß man auch nicht, ob maßgeschneiderte Behandlungen den Aufwand rechtfertigen“, sagt Urban. Schon jetzt gebe es aber etwa in der Krebsbehandlung einige Medikamente, die ganz gezielt bei bestimmten Krankheits-Subtypen verwendet werden können.

„Natürlich kann es auch bedeuten, dass man durch die Auswertung der individuellen Daten bei manchen Patienten dann zur Erkenntnis kommt: Für Dich und Deinen Krankheitsverlauf habe ich derzeit einfach kein wirksames Medikament. Aber auch das ist vermutlich allemal besser, als wenn der Patient über Monate hinweg eine Chemotherapie über sich ergehen lassen muss, die außer Nebenwirkungen keine sichtbare Wirkung in der Bekämpfung des Krebs zeigt“, meint Urban.

Mehr zum Thema

  • Hightech-Pflaster misst Temperatur und Puls
  • NFC setzt sich mit oder ohne Apple durch“
  • Technologieforum Euripides findet in Graz statt

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

mehr lesen
Martin Jan Stepanek

Kommentare